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Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.

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Sokrates empfiehlt die Freundschaft in der Liebe aufzusuchen: er giebt dieser Liebe einen wackern, rüstigen Charakter; mithin sollte man wähnen, er habe nur Freundschaft unter Männern zugelassen. Aber warum sagt er denn nicht geradezu, daß Männer nur Freunde seyn sollten: warum spricht er von einer mit Liebe verbundenen Freundschaft, von Liebhabern, von Geliebten, von der Verbindung reiferer Männer mit Jünglingen? Freundschaft findet doch hauptsächlich unter Männern von gleichem Alter, gleichen Verhältnissen Statt; sie beruhet überhaupt auf dem Hange zum Gleichartigen, auf dem Triebe, unsere Stärke durch die Stärke eines Andern, unsere Zartheit durch seine Zartheit zu erhöhen, und uns als Individuen unsers Geschlechts zu verbessern. Wie findet dieser Hang in der Verbindung zwischen dem reiferen Manne und dem Jünglinge, der beynahe noch Knabe ist, Befriedigung? Mehr! Sokrates billigt das Verhältniß zwischen dem Callias und Autolykus, das doch offenbar das Gepräge einer zwar keuschen, aber von der Einwirkung der körperlichen Gestalt nicht befreyeten Leidenschaft an sich trägt: einer Geschlechtsliebe, die man dreist mit derjenigen vergleichen kann, die bey uns ein edler Mann zu einem schönen, aber gebundenen Frauenzimmer empfinden würde, wenn er den Ausbruch seiner Triebe zu unterdrücken suchte!

Ohne dem Sokrates, so wie ihn Xenophon darstellt, sehr genaue Distinktionen zwischen gröberer und feinerer Geschlechtssympathie beylegen zu wollen, erscheint doch so viel klar, daß er dasjenige Verhältniß, das mit Begeisterung und mit einem leidenschaftlichen

Sokrates empfiehlt die Freundschaft in der Liebe aufzusuchen: er giebt dieser Liebe einen wackern, rüstigen Charakter; mithin sollte man wähnen, er habe nur Freundschaft unter Männern zugelassen. Aber warum sagt er denn nicht geradezu, daß Männer nur Freunde seyn sollten: warum spricht er von einer mit Liebe verbundenen Freundschaft, von Liebhabern, von Geliebten, von der Verbindung reiferer Männer mit Jünglingen? Freundschaft findet doch hauptsächlich unter Männern von gleichem Alter, gleichen Verhältnissen Statt; sie beruhet überhaupt auf dem Hange zum Gleichartigen, auf dem Triebe, unsere Stärke durch die Stärke eines Andern, unsere Zartheit durch seine Zartheit zu erhöhen, und uns als Individuen unsers Geschlechts zu verbessern. Wie findet dieser Hang in der Verbindung zwischen dem reiferen Manne und dem Jünglinge, der beynahe noch Knabe ist, Befriedigung? Mehr! Sokrates billigt das Verhältniß zwischen dem Callias und Autolykus, das doch offenbar das Gepräge einer zwar keuschen, aber von der Einwirkung der körperlichen Gestalt nicht befreyeten Leidenschaft an sich trägt: einer Geschlechtsliebe, die man dreist mit derjenigen vergleichen kann, die bey uns ein edler Mann zu einem schönen, aber gebundenen Frauenzimmer empfinden würde, wenn er den Ausbruch seiner Triebe zu unterdrücken suchte!

Ohne dem Sokrates, so wie ihn Xenophon darstellt, sehr genaue Distinktionen zwischen gröberer und feinerer Geschlechtssympathie beylegen zu wollen, erscheint doch so viel klar, daß er dasjenige Verhältniß, das mit Begeisterung und mit einem leidenschaftlichen

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[171/0171] Sokrates empfiehlt die Freundschaft in der Liebe aufzusuchen: er giebt dieser Liebe einen wackern, rüstigen Charakter; mithin sollte man wähnen, er habe nur Freundschaft unter Männern zugelassen. Aber warum sagt er denn nicht geradezu, daß Männer nur Freunde seyn sollten: warum spricht er von einer mit Liebe verbundenen Freundschaft, von Liebhabern, von Geliebten, von der Verbindung reiferer Männer mit Jünglingen? Freundschaft findet doch hauptsächlich unter Männern von gleichem Alter, gleichen Verhältnissen Statt; sie beruhet überhaupt auf dem Hange zum Gleichartigen, auf dem Triebe, unsere Stärke durch die Stärke eines Andern, unsere Zartheit durch seine Zartheit zu erhöhen, und uns als Individuen unsers Geschlechts zu verbessern. Wie findet dieser Hang in der Verbindung zwischen dem reiferen Manne und dem Jünglinge, der beynahe noch Knabe ist, Befriedigung? Mehr! Sokrates billigt das Verhältniß zwischen dem Callias und Autolykus, das doch offenbar das Gepräge einer zwar keuschen, aber von der Einwirkung der körperlichen Gestalt nicht befreyeten Leidenschaft an sich trägt: einer Geschlechtsliebe, die man dreist mit derjenigen vergleichen kann, die bey uns ein edler Mann zu einem schönen, aber gebundenen Frauenzimmer empfinden würde, wenn er den Ausbruch seiner Triebe zu unterdrücken suchte! Ohne dem Sokrates, so wie ihn Xenophon darstellt, sehr genaue Distinktionen zwischen gröberer und feinerer Geschlechtssympathie beylegen zu wollen, erscheint doch so viel klar, daß er dasjenige Verhältniß, das mit Begeisterung und mit einem leidenschaftlichen

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Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798/171>, abgerufen am 28.11.2024.