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Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.

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Eher vor den Augen der ganzen Welt als vor den Augen seines Geliebten würde der Liebhaber sein Glied verlassen, oder seinen Schild von sich werfen: Lieber würde er einen dreyfachen Tod sterben, und sogar seinen Geliebten selbst verlassen, als einem Andern in Gefahr nicht beystehen. Keiner ist so feig, den nicht Amor zur Tapferkeit entflammen sollte, und so wie Homer von seinen Helden sagt:

Ihre Brust erfüllten mit hohem Muthe die Götter,
so wirkt bey Liebenden die Kraft der Liebe. Für einander zu sterben sind nur Liebende fähig, nicht bloß Männer, sondern auch Weiber. Wer kennt nicht Alcesten und ihre Heldenthat? Sie allein war bereit für ihren Gatten zu sterben. Er hatte noch Vater und Mutter; aber ihre Liebe übertraf an Stärke die Zärtlichkeit der Eltern. Ihre That gefiel nicht bloß den Menschen; die Götter selbst, die sonst nur Wenigen aus der großen Zahl der Vortrefflichen die Rückkehr aus dem Orkus erlaubten, machten, von dieser herrlichen That gerührt, mit Alcesten eine Ausnahme. Sie kehrte ins Leben zurück zu ihrem Admet. So wird Tugend aus Liebe selbst von den Göttern geehrt! Orpheus hingegen mußte, ohne seinen Zweck erreicht zu haben, aus der Unterwelt zurück kehren. Sie zeigten ihm bloß ein Schattenbild derjenigen, um derentwillen er hinabgestiegen war; die Gattin selbst gaben sie ihm nicht zurück. Denn der Weichling hatte nicht gewagt, wie Alceste, aus Liebe zu sterben, sondern war bloß mit Hülfe seines Saitenspiels in den Orkus hinabgestiegen. Eben deßwegen ließen sie ihn auch durch Weiberhände sterben. Ganz anders ehrten sie den Achilles. Ihn versetzten

Eher vor den Augen der ganzen Welt als vor den Augen seines Geliebten würde der Liebhaber sein Glied verlassen, oder seinen Schild von sich werfen: Lieber würde er einen dreyfachen Tod sterben, und sogar seinen Geliebten selbst verlassen, als einem Andern in Gefahr nicht beystehen. Keiner ist so feig, den nicht Amor zur Tapferkeit entflammen sollte, und so wie Homer von seinen Helden sagt:

Ihre Brust erfüllten mit hohem Muthe die Götter,
so wirkt bey Liebenden die Kraft der Liebe. Für einander zu sterben sind nur Liebende fähig, nicht bloß Männer, sondern auch Weiber. Wer kennt nicht Alcesten und ihre Heldenthat? Sie allein war bereit für ihren Gatten zu sterben. Er hatte noch Vater und Mutter; aber ihre Liebe übertraf an Stärke die Zärtlichkeit der Eltern. Ihre That gefiel nicht bloß den Menschen; die Götter selbst, die sonst nur Wenigen aus der großen Zahl der Vortrefflichen die Rückkehr aus dem Orkus erlaubten, machten, von dieser herrlichen That gerührt, mit Alcesten eine Ausnahme. Sie kehrte ins Leben zurück zu ihrem Admet. So wird Tugend aus Liebe selbst von den Göttern geehrt! Orpheus hingegen mußte, ohne seinen Zweck erreicht zu haben, aus der Unterwelt zurück kehren. Sie zeigten ihm bloß ein Schattenbild derjenigen, um derentwillen er hinabgestiegen war; die Gattin selbst gaben sie ihm nicht zurück. Denn der Weichling hatte nicht gewagt, wie Alceste, aus Liebe zu sterben, sondern war bloß mit Hülfe seines Saitenspiels in den Orkus hinabgestiegen. Eben deßwegen ließen sie ihn auch durch Weiberhände sterben. Ganz anders ehrten sie den Achilles. Ihn versetzten

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[189/0189] Eher vor den Augen der ganzen Welt als vor den Augen seines Geliebten würde der Liebhaber sein Glied verlassen, oder seinen Schild von sich werfen: Lieber würde er einen dreyfachen Tod sterben, und sogar seinen Geliebten selbst verlassen, als einem Andern in Gefahr nicht beystehen. Keiner ist so feig, den nicht Amor zur Tapferkeit entflammen sollte, und so wie Homer von seinen Helden sagt: Ihre Brust erfüllten mit hohem Muthe die Götter, so wirkt bey Liebenden die Kraft der Liebe. Für einander zu sterben sind nur Liebende fähig, nicht bloß Männer, sondern auch Weiber. Wer kennt nicht Alcesten und ihre Heldenthat? Sie allein war bereit für ihren Gatten zu sterben. Er hatte noch Vater und Mutter; aber ihre Liebe übertraf an Stärke die Zärtlichkeit der Eltern. Ihre That gefiel nicht bloß den Menschen; die Götter selbst, die sonst nur Wenigen aus der großen Zahl der Vortrefflichen die Rückkehr aus dem Orkus erlaubten, machten, von dieser herrlichen That gerührt, mit Alcesten eine Ausnahme. Sie kehrte ins Leben zurück zu ihrem Admet. So wird Tugend aus Liebe selbst von den Göttern geehrt! Orpheus hingegen mußte, ohne seinen Zweck erreicht zu haben, aus der Unterwelt zurück kehren. Sie zeigten ihm bloß ein Schattenbild derjenigen, um derentwillen er hinabgestiegen war; die Gattin selbst gaben sie ihm nicht zurück. Denn der Weichling hatte nicht gewagt, wie Alceste, aus Liebe zu sterben, sondern war bloß mit Hülfe seines Saitenspiels in den Orkus hinabgestiegen. Eben deßwegen ließen sie ihn auch durch Weiberhände sterben. Ganz anders ehrten sie den Achilles. Ihn versetzten

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Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798/189>, abgerufen am 26.11.2024.