Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

möglich ist, daß es der einzelne Bürger seyn kann, und wie es zu wünschen wäre, daß alle dortige Bürger es seyn möchten. Beym Plato ist er ein Kosmopolit, der nach Wiedervereinigung mit einer außer den Grenzen der Welt wohnenden Urschönheit strebt, und darum ein guter Bürger in Athen ist, weil der vollkommene Mann in allen seinen Verhältnissen den Gesetzen der ewigen Harmonie huldigt. Xenophon zeigt sich überall als einen hellen Kopf, der den Menschen im Ganzen kennt, und gesunde Vernunft mit Biederkeit des Herzens verbindet. Plato blickt viel tiefer in den einzelnen, außerordentlichen Menschen, erkennt besser, was dieser in seiner höchsten Veredlung vermöchte, und hat überhaupt viel mehr Phantasie und Abstraktionsgabe.

Unläugbar haben Beyde den Sokrates zum Muster der Nachahmung, als Ideal eines vollkommenen Mannes darstellen wollen. Plato ist darin dem Originale weniger treu geblieben als Xenophon; aber auch er hat gewisse Grundzüge in dem Charakter und einige Maximen beybehalten, die dem wahren Sokrates unstreitig eigen gewesen seyn müssen.

Dahin rechne ich in Rücksicht auf die Verbindungen mit Jünglingen seine Festigkeit gegen die Anfälle unreiner Begierden. Er scheint für seine Person völlig davon frey gewesen zu seyn. Er scheint aber auch bey seinen Schülern die Sitte der Athenienser, wornach eine engere Verbindung zwischen Jünglingen, die nicht frey von der Mitwirkung gröberer Begierden war, um mancher heilsamen Folgen für den Staat aber Nachsicht fand, zur Ausbildung

möglich ist, daß es der einzelne Bürger seyn kann, und wie es zu wünschen wäre, daß alle dortige Bürger es seyn möchten. Beym Plato ist er ein Kosmopolit, der nach Wiedervereinigung mit einer außer den Grenzen der Welt wohnenden Urschönheit strebt, und darum ein guter Bürger in Athen ist, weil der vollkommene Mann in allen seinen Verhältnissen den Gesetzen der ewigen Harmonie huldigt. Xenophon zeigt sich überall als einen hellen Kopf, der den Menschen im Ganzen kennt, und gesunde Vernunft mit Biederkeit des Herzens verbindet. Plato blickt viel tiefer in den einzelnen, außerordentlichen Menschen, erkennt besser, was dieser in seiner höchsten Veredlung vermöchte, und hat überhaupt viel mehr Phantasie und Abstraktionsgabe.

Unläugbar haben Beyde den Sokrates zum Muster der Nachahmung, als Ideal eines vollkommenen Mannes darstellen wollen. Plato ist darin dem Originale weniger treu geblieben als Xenophon; aber auch er hat gewisse Grundzüge in dem Charakter und einige Maximen beybehalten, die dem wahren Sokrates unstreitig eigen gewesen seyn müssen.

Dahin rechne ich in Rücksicht auf die Verbindungen mit Jünglingen seine Festigkeit gegen die Anfälle unreiner Begierden. Er scheint für seine Person völlig davon frey gewesen zu seyn. Er scheint aber auch bey seinen Schülern die Sitte der Athenienser, wornach eine engere Verbindung zwischen Jünglingen, die nicht frey von der Mitwirkung gröberer Begierden war, um mancher heilsamen Folgen für den Staat aber Nachsicht fand, zur Ausbildung

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0227" n="227"/>
möglich ist, daß es der einzelne Bürger seyn kann, und wie es zu wünschen wäre, daß alle dortige Bürger es seyn möchten. Beym Plato ist er ein Kosmopolit, der nach Wiedervereinigung mit einer außer den Grenzen der Welt wohnenden Urschönheit strebt, und darum ein guter Bürger in Athen ist, weil der vollkommene Mann in allen seinen Verhältnissen den Gesetzen der ewigen Harmonie huldigt. Xenophon zeigt sich überall als einen hellen Kopf, der den Menschen im Ganzen kennt, und gesunde Vernunft mit Biederkeit des Herzens verbindet. Plato blickt viel tiefer in den einzelnen, außerordentlichen Menschen, erkennt besser, was dieser in seiner höchsten Veredlung vermöchte, und hat überhaupt viel mehr Phantasie und Abstraktionsgabe.</p>
          <p>Unläugbar haben Beyde den Sokrates zum Muster der Nachahmung, als Ideal eines vollkommenen Mannes darstellen wollen. Plato ist darin dem Originale weniger treu geblieben als Xenophon; aber auch er hat gewisse Grundzüge in dem Charakter und einige Maximen beybehalten, die dem wahren Sokrates unstreitig eigen gewesen seyn müssen.</p>
          <p>Dahin rechne ich in Rücksicht auf die Verbindungen mit Jünglingen seine Festigkeit gegen die Anfälle unreiner Begierden. Er scheint für seine Person völlig davon frey gewesen zu seyn. Er scheint aber auch bey seinen Schülern die Sitte der Athenienser, wornach eine engere Verbindung zwischen Jünglingen, die nicht frey von der Mitwirkung gröberer Begierden war, um mancher heilsamen Folgen für den Staat aber Nachsicht fand, zur Ausbildung
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[227/0227] möglich ist, daß es der einzelne Bürger seyn kann, und wie es zu wünschen wäre, daß alle dortige Bürger es seyn möchten. Beym Plato ist er ein Kosmopolit, der nach Wiedervereinigung mit einer außer den Grenzen der Welt wohnenden Urschönheit strebt, und darum ein guter Bürger in Athen ist, weil der vollkommene Mann in allen seinen Verhältnissen den Gesetzen der ewigen Harmonie huldigt. Xenophon zeigt sich überall als einen hellen Kopf, der den Menschen im Ganzen kennt, und gesunde Vernunft mit Biederkeit des Herzens verbindet. Plato blickt viel tiefer in den einzelnen, außerordentlichen Menschen, erkennt besser, was dieser in seiner höchsten Veredlung vermöchte, und hat überhaupt viel mehr Phantasie und Abstraktionsgabe. Unläugbar haben Beyde den Sokrates zum Muster der Nachahmung, als Ideal eines vollkommenen Mannes darstellen wollen. Plato ist darin dem Originale weniger treu geblieben als Xenophon; aber auch er hat gewisse Grundzüge in dem Charakter und einige Maximen beybehalten, die dem wahren Sokrates unstreitig eigen gewesen seyn müssen. Dahin rechne ich in Rücksicht auf die Verbindungen mit Jünglingen seine Festigkeit gegen die Anfälle unreiner Begierden. Er scheint für seine Person völlig davon frey gewesen zu seyn. Er scheint aber auch bey seinen Schülern die Sitte der Athenienser, wornach eine engere Verbindung zwischen Jünglingen, die nicht frey von der Mitwirkung gröberer Begierden war, um mancher heilsamen Folgen für den Staat aber Nachsicht fand, zur Ausbildung

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-20T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-20T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-20T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.
  • Geviertstriche (—) wurden durch Halbgeviertstriche ersetzt (–).
  • Übergeschriebenes „e“ über „a“, „o“ und „u“ wird als moderner Umlaut (ä, ö, ü) transkribiert.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798/227
Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798/227>, abgerufen am 19.05.2024.