Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

noch deutlicher, als in einem schönen Körper aufzuspüren. Aber diese Höhe haben seine Schüler noch nicht erreicht: sie können nur in dem einzelnen schönen Liebling eine Modification der allgemeinen Harmonie ahnen. Wohlan! Er lehrt sie nun, ihren Blick zu erweitern, und sich zu dem Unsinnlichen, und endlich zum Unsterblichen zu erheben.

Der Sokrates des Xenophon ist nüchtern in Liebe, so wie in Speise und Trank, weil er mäßig ist. Der Sokrates des Plato ist nüchtern in allen diesen Dingen, weil er stark genug ist sie zu vertragen. Jener enthält sich der Berührung schöner Gestalten, ißt und trinkt nicht mehr, als er zu seiner Erhaltung bedarf, weil er sich gewöhnt hat, es nicht zu thun, und das Uebermäßige ihn nun nicht mehr reitzen kann. Dieser bringt Nächte an der Seite schöner Gestalten zu, ohne gerührt zu werden: trinkt die Gäste unter den Tisch, und hält Strapatzen besser aus, wie jeder Andere.

Der Sokrates des Xenophon verdammt die Ausschweifungen der Knabenliebe, und ob er gleich die Befriedigung körperlicher Begierden bey Weibern gleichfalls für etwas Gemeines hält, so läßt er sie doch mit Nachsicht, und als etwas Unentbehrliches zu. Der Sokrates beym Plato aber hält die eine Art der Befriedigung körperlicher Begierden für eben so gemein und unedel, als die andere; aber er behandelt die Ausgelassenheit der Männerliebe in seinem Phädrus, in seinem Gastmahle, und in seiner Republik 24) mit einer Nachsicht, die beynahe den Verdacht erregen

24) De Republica. Libr. III. S. 403. Libr. V. p. 468.

noch deutlicher, als in einem schönen Körper aufzuspüren. Aber diese Höhe haben seine Schüler noch nicht erreicht: sie können nur in dem einzelnen schönen Liebling eine Modification der allgemeinen Harmonie ahnen. Wohlan! Er lehrt sie nun, ihren Blick zu erweitern, und sich zu dem Unsinnlichen, und endlich zum Unsterblichen zu erheben.

Der Sokrates des Xenophon ist nüchtern in Liebe, so wie in Speise und Trank, weil er mäßig ist. Der Sokrates des Plato ist nüchtern in allen diesen Dingen, weil er stark genug ist sie zu vertragen. Jener enthält sich der Berührung schöner Gestalten, ißt und trinkt nicht mehr, als er zu seiner Erhaltung bedarf, weil er sich gewöhnt hat, es nicht zu thun, und das Uebermäßige ihn nun nicht mehr reitzen kann. Dieser bringt Nächte an der Seite schöner Gestalten zu, ohne gerührt zu werden: trinkt die Gäste unter den Tisch, und hält Strapatzen besser aus, wie jeder Andere.

Der Sokrates des Xenophon verdammt die Ausschweifungen der Knabenliebe, und ob er gleich die Befriedigung körperlicher Begierden bey Weibern gleichfalls für etwas Gemeines hält, so läßt er sie doch mit Nachsicht, und als etwas Unentbehrliches zu. Der Sokrates beym Plato aber hält die eine Art der Befriedigung körperlicher Begierden für eben so gemein und unedel, als die andere; aber er behandelt die Ausgelassenheit der Männerliebe in seinem Phädrus, in seinem Gastmahle, und in seiner Republik 24) mit einer Nachsicht, die beynahe den Verdacht erregen

24) De Republica. Libr. III. S. 403. Libr. V. p. 468.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0229" n="229"/>
noch deutlicher, als in einem schönen Körper aufzuspüren. Aber diese Höhe haben seine Schüler noch nicht erreicht: sie können nur in dem einzelnen schönen Liebling eine Modification der allgemeinen Harmonie ahnen. Wohlan! Er lehrt sie nun, ihren Blick zu erweitern, und sich zu dem Unsinnlichen, und endlich zum Unsterblichen zu erheben.</p>
          <p>Der Sokrates des Xenophon ist nüchtern in Liebe, so wie in Speise und Trank, weil er mäßig ist. Der Sokrates des Plato ist nüchtern in allen diesen Dingen, weil er stark genug ist sie zu vertragen. Jener enthält sich der Berührung schöner Gestalten, ißt und trinkt nicht mehr, als er zu seiner Erhaltung bedarf, weil er sich gewöhnt hat, es nicht zu thun, und das Uebermäßige ihn nun nicht mehr reitzen kann. Dieser bringt Nächte an der Seite schöner Gestalten zu, ohne gerührt zu werden: trinkt die Gäste unter den Tisch, und hält Strapatzen besser aus, wie jeder Andere.</p>
          <p>Der Sokrates des Xenophon verdammt die Ausschweifungen der Knabenliebe, und ob er gleich die Befriedigung körperlicher Begierden bey Weibern gleichfalls für etwas Gemeines hält, so läßt er sie doch mit Nachsicht, und als etwas Unentbehrliches zu. Der Sokrates beym Plato aber hält die eine Art der Befriedigung körperlicher Begierden für eben so gemein und unedel, als die andere; aber er behandelt die Ausgelassenheit der Männerliebe in seinem Phädrus, in seinem Gastmahle, und in seiner Republik <note place="foot" n="24)"><hi rendition="#aq">De Republica. Libr. III.</hi> S. 403. <hi rendition="#aq">Libr. V. p. 468.</hi></note> mit einer Nachsicht, die beynahe den Verdacht erregen
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[229/0229] noch deutlicher, als in einem schönen Körper aufzuspüren. Aber diese Höhe haben seine Schüler noch nicht erreicht: sie können nur in dem einzelnen schönen Liebling eine Modification der allgemeinen Harmonie ahnen. Wohlan! Er lehrt sie nun, ihren Blick zu erweitern, und sich zu dem Unsinnlichen, und endlich zum Unsterblichen zu erheben. Der Sokrates des Xenophon ist nüchtern in Liebe, so wie in Speise und Trank, weil er mäßig ist. Der Sokrates des Plato ist nüchtern in allen diesen Dingen, weil er stark genug ist sie zu vertragen. Jener enthält sich der Berührung schöner Gestalten, ißt und trinkt nicht mehr, als er zu seiner Erhaltung bedarf, weil er sich gewöhnt hat, es nicht zu thun, und das Uebermäßige ihn nun nicht mehr reitzen kann. Dieser bringt Nächte an der Seite schöner Gestalten zu, ohne gerührt zu werden: trinkt die Gäste unter den Tisch, und hält Strapatzen besser aus, wie jeder Andere. Der Sokrates des Xenophon verdammt die Ausschweifungen der Knabenliebe, und ob er gleich die Befriedigung körperlicher Begierden bey Weibern gleichfalls für etwas Gemeines hält, so läßt er sie doch mit Nachsicht, und als etwas Unentbehrliches zu. Der Sokrates beym Plato aber hält die eine Art der Befriedigung körperlicher Begierden für eben so gemein und unedel, als die andere; aber er behandelt die Ausgelassenheit der Männerliebe in seinem Phädrus, in seinem Gastmahle, und in seiner Republik 24) mit einer Nachsicht, die beynahe den Verdacht erregen 24) De Republica. Libr. III. S. 403. Libr. V. p. 468.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-20T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-20T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-20T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.
  • Geviertstriche (—) wurden durch Halbgeviertstriche ersetzt (–).
  • Übergeschriebenes „e“ über „a“, „o“ und „u“ wird als moderner Umlaut (ä, ö, ü) transkribiert.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798/229
Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798/229>, abgerufen am 24.11.2024.