Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

ihm ruhen durften: und weil die Freundschaft selbst einen von den edleren Gegenständen ausmachte, die um ihrer selbst willen gewünscht werden mußten, und denen der Weise daher nachstreben sollte. Die Freundschaft gehörte daher in den Begriff der Weisheit, theils als Gegenstand des Nachstrebens, theils als Zustand des Gemüths für den Weisen. Sie gehörte zu seinem Wohlstande, als vernünftiges Wesen betrachtet: ohne sie konnte er zwar bestehen, aber er wollte es nicht, und er endigte ein einsames Leben, als ein solches das seiner moralischen Natur nicht angemessen war.

Hieraus läßt sich die Stelle beym Cicero erklären. Der Glanz der Schönheit, der zur Freundschaft einladet, liegt für den Stoiker nicht in der äußern Gestalt, sondern in der Sache selbst. Nicht der Freund, sondern die Freundschaft, das Verhältniß, ist es, das durch seine Schönheit den Weisen einladet, sich in die dazu nöthige Stimmung zu versetzen. Wenn ihm daher ein Freund abstirbt, so sucht er ihn geschwind durch einen andern zu ersetzen, und er hört erst dann auf zu leben, wenn er keinen weiter finden kann.

Ich brauche wohl nicht erst aufmerksam darauf zu machen, daß dieß System einem verfeinerten Egoismus angehört. Es bricht dieser auch allenthalben beym Seneka durch. Er freuet sich über die Fortschritte seines Freundes - weil er es ist, der ihn gebildet hat. 3) Er ist überzeugt, daß die Freundschaft durch die Abwesenheit noch gewinne, weil man sich häufiger und besser in Ideen vereinigen könne. 4) "Ich habe,

3) Epist. 34.
4) Epist. 55.

ihm ruhen durften: und weil die Freundschaft selbst einen von den edleren Gegenständen ausmachte, die um ihrer selbst willen gewünscht werden mußten, und denen der Weise daher nachstreben sollte. Die Freundschaft gehörte daher in den Begriff der Weisheit, theils als Gegenstand des Nachstrebens, theils als Zustand des Gemüths für den Weisen. Sie gehörte zu seinem Wohlstande, als vernünftiges Wesen betrachtet: ohne sie konnte er zwar bestehen, aber er wollte es nicht, und er endigte ein einsames Leben, als ein solches das seiner moralischen Natur nicht angemessen war.

Hieraus läßt sich die Stelle beym Cicero erklären. Der Glanz der Schönheit, der zur Freundschaft einladet, liegt für den Stoiker nicht in der äußern Gestalt, sondern in der Sache selbst. Nicht der Freund, sondern die Freundschaft, das Verhältniß, ist es, das durch seine Schönheit den Weisen einladet, sich in die dazu nöthige Stimmung zu versetzen. Wenn ihm daher ein Freund abstirbt, so sucht er ihn geschwind durch einen andern zu ersetzen, und er hört erst dann auf zu leben, wenn er keinen weiter finden kann.

Ich brauche wohl nicht erst aufmerksam darauf zu machen, daß dieß System einem verfeinerten Egoismus angehört. Es bricht dieser auch allenthalben beym Seneka durch. Er freuet sich über die Fortschritte seines Freundes – weil er es ist, der ihn gebildet hat. 3) Er ist überzeugt, daß die Freundschaft durch die Abwesenheit noch gewinne, weil man sich häufiger und besser in Ideen vereinigen könne. 4) „Ich habe,

3) Epist. 34.
4) Epist. 55.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0243" n="243"/>
ihm ruhen durften: und weil die Freundschaft selbst einen von den edleren Gegenständen ausmachte, die um ihrer selbst willen gewünscht werden mußten, und denen der Weise daher nachstreben sollte. Die Freundschaft gehörte daher in den Begriff der Weisheit, theils als Gegenstand des Nachstrebens, theils als Zustand des Gemüths für den Weisen. Sie gehörte zu seinem Wohlstande, als vernünftiges Wesen betrachtet: ohne sie konnte er zwar bestehen, aber er wollte es nicht, und er endigte ein einsames Leben, als ein solches das seiner moralischen Natur nicht angemessen war.</p>
          <p>Hieraus läßt sich die Stelle beym Cicero erklären. Der Glanz der Schönheit, der zur Freundschaft einladet, liegt für den Stoiker nicht in der äußern Gestalt, sondern in der Sache selbst. Nicht der Freund, sondern die Freundschaft, das Verhältniß, ist es, das durch seine Schönheit den Weisen einladet, sich in die dazu nöthige Stimmung zu versetzen. Wenn ihm daher ein Freund abstirbt, so sucht er ihn geschwind durch einen andern zu ersetzen, und er hört erst dann auf zu leben, wenn er keinen weiter finden kann.</p>
          <p>Ich brauche wohl nicht erst aufmerksam darauf zu machen, daß dieß System einem verfeinerten Egoismus angehört. Es bricht dieser auch allenthalben beym Seneka durch. Er freuet sich über die Fortschritte seines Freundes &#x2013; weil er es ist, der ihn gebildet hat. <note place="foot" n="3)"><hi rendition="#aq">Epist. 34.</hi></note> Er ist überzeugt, daß die Freundschaft durch die Abwesenheit noch gewinne, weil man sich häufiger und besser in Ideen vereinigen könne. <note place="foot" n="4)"><hi rendition="#aq">Epist. 55.</hi></note> &#x201E;Ich habe,
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[243/0243] ihm ruhen durften: und weil die Freundschaft selbst einen von den edleren Gegenständen ausmachte, die um ihrer selbst willen gewünscht werden mußten, und denen der Weise daher nachstreben sollte. Die Freundschaft gehörte daher in den Begriff der Weisheit, theils als Gegenstand des Nachstrebens, theils als Zustand des Gemüths für den Weisen. Sie gehörte zu seinem Wohlstande, als vernünftiges Wesen betrachtet: ohne sie konnte er zwar bestehen, aber er wollte es nicht, und er endigte ein einsames Leben, als ein solches das seiner moralischen Natur nicht angemessen war. Hieraus läßt sich die Stelle beym Cicero erklären. Der Glanz der Schönheit, der zur Freundschaft einladet, liegt für den Stoiker nicht in der äußern Gestalt, sondern in der Sache selbst. Nicht der Freund, sondern die Freundschaft, das Verhältniß, ist es, das durch seine Schönheit den Weisen einladet, sich in die dazu nöthige Stimmung zu versetzen. Wenn ihm daher ein Freund abstirbt, so sucht er ihn geschwind durch einen andern zu ersetzen, und er hört erst dann auf zu leben, wenn er keinen weiter finden kann. Ich brauche wohl nicht erst aufmerksam darauf zu machen, daß dieß System einem verfeinerten Egoismus angehört. Es bricht dieser auch allenthalben beym Seneka durch. Er freuet sich über die Fortschritte seines Freundes – weil er es ist, der ihn gebildet hat. 3) Er ist überzeugt, daß die Freundschaft durch die Abwesenheit noch gewinne, weil man sich häufiger und besser in Ideen vereinigen könne. 4) „Ich habe, 3) Epist. 34. 4) Epist. 55.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-20T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-20T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-20T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.
  • Geviertstriche (—) wurden durch Halbgeviertstriche ersetzt (–).
  • Übergeschriebenes „e“ über „a“, „o“ und „u“ wird als moderner Umlaut (ä, ö, ü) transkribiert.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798/243
Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798/243>, abgerufen am 21.11.2024.