Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.Dieß ist das System unsers Dichters, von dem ich nichts Wesentliches verschwiegen zu haben glaube. Wer die Darstellung im Originale liest, wird ihre Schönheit nicht verkennen; und als Kunstwerk können wir ihr unsere Bewunderung und unsern Beyfall nicht versagen. Es ist gerade so viel Wahrheit, so viel innerer Zusammenhang darin, als erfordert wird, um in unserm Fluge im Reiche der Imagination nicht gestört und aufgehalten zu werden. Fern sey es also von mir, dasjenige, was ich über das System bemerken werde, zum Tadel des Dichters zu sagen. Aber wie man diese Rücksicht habe bey Seite setzen, und dennoch Wahrheit und innern Zusammenhang im Reiche der Wirklichkeit darin habe finden können, das ist mir unbegreiflich. Offenbar schränkt Lukrez den Zug der beyden Geschlechter zu einander bloß auf das Körperliche ein, und sieht die Befriedigung des unnennbaren Triebes wieder als den einzigen Grund des Zuges der Körper zu einander an. Wie unrichtig dieß sey, ist in den beyden ersten Theilen dieses Werks gezeigt worden, worauf ich verweise. Allein gesetzt, man wollte diese Behauptung als richtig annehmen; so zeigt sich doch ein Sprung über eine nicht ausgefüllte Lücke zwischen der Behauptung: daß Bilder schöner Körper die unnennbare Kraft in uns reitzen, - und jener: daß diese Reitzung uns zur Annäherung an den reitzenden Körper auffordern. Das Bedürfniß, den Streich, den wir empfangen, abzuwehren, uns vor der Reitzung zurückzuziehen, ja! den Aufruhr durch Entladung zu beendigen, das Alles läßt sich aus dem Eindringen der Bilder in unsre irritable körperliche Masse folgern: Aber ein Anziehungs- Annäherungs- und Mittheilungsbedürfniß keinesweges. Dieß ist das System unsers Dichters, von dem ich nichts Wesentliches verschwiegen zu haben glaube. Wer die Darstellung im Originale liest, wird ihre Schönheit nicht verkennen; und als Kunstwerk können wir ihr unsere Bewunderung und unsern Beyfall nicht versagen. Es ist gerade so viel Wahrheit, so viel innerer Zusammenhang darin, als erfordert wird, um in unserm Fluge im Reiche der Imagination nicht gestört und aufgehalten zu werden. Fern sey es also von mir, dasjenige, was ich über das System bemerken werde, zum Tadel des Dichters zu sagen. Aber wie man diese Rücksicht habe bey Seite setzen, und dennoch Wahrheit und innern Zusammenhang im Reiche der Wirklichkeit darin habe finden können, das ist mir unbegreiflich. Offenbar schränkt Lukrez den Zug der beyden Geschlechter zu einander bloß auf das Körperliche ein, und sieht die Befriedigung des unnennbaren Triebes wieder als den einzigen Grund des Zuges der Körper zu einander an. Wie unrichtig dieß sey, ist in den beyden ersten Theilen dieses Werks gezeigt worden, worauf ich verweise. Allein gesetzt, man wollte diese Behauptung als richtig annehmen; so zeigt sich doch ein Sprung über eine nicht ausgefüllte Lücke zwischen der Behauptung: daß Bilder schöner Körper die unnennbare Kraft in uns reitzen, – und jener: daß diese Reitzung uns zur Annäherung an den reitzenden Körper auffordern. Das Bedürfniß, den Streich, den wir empfangen, abzuwehren, uns vor der Reitzung zurückzuziehen, ja! den Aufruhr durch Entladung zu beendigen, das Alles läßt sich aus dem Eindringen der Bilder in unsre irritable körperliche Masse folgern: Aber ein Anziehungs- Annäherungs- und Mittheilungsbedürfniß keinesweges. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0251" n="251"/> <p>Dieß ist das System unsers Dichters, von dem ich nichts Wesentliches verschwiegen zu haben glaube. Wer die Darstellung im Originale liest, wird ihre Schönheit nicht verkennen; und als Kunstwerk können wir ihr unsere Bewunderung und unsern Beyfall nicht versagen. Es ist gerade so viel Wahrheit, so viel innerer Zusammenhang darin, als erfordert wird, um in unserm Fluge im Reiche der Imagination nicht gestört und aufgehalten zu werden. Fern sey es also von mir, dasjenige, was ich über das System bemerken werde, zum Tadel des <hi rendition="#g">Dichters</hi> zu sagen. Aber wie man diese Rücksicht habe bey Seite setzen, und dennoch Wahrheit und innern Zusammenhang im Reiche der Wirklichkeit darin habe finden können, das ist mir unbegreiflich.</p> <p>Offenbar schränkt Lukrez den Zug der beyden Geschlechter zu einander bloß auf das Körperliche ein, und sieht die Befriedigung des unnennbaren Triebes wieder als den einzigen Grund des Zuges der Körper zu einander an. Wie unrichtig dieß sey, ist in den beyden ersten Theilen dieses Werks gezeigt worden, worauf ich verweise. Allein gesetzt, man wollte diese Behauptung als richtig annehmen; so zeigt sich doch ein Sprung über eine nicht ausgefüllte Lücke zwischen der Behauptung: daß Bilder schöner Körper die unnennbare Kraft in uns reitzen, – und jener: daß diese Reitzung uns zur Annäherung an den reitzenden Körper auffordern. Das Bedürfniß, den Streich, den wir empfangen, abzuwehren, uns vor der Reitzung zurückzuziehen, ja! den Aufruhr durch Entladung zu beendigen, das Alles läßt sich aus dem Eindringen der Bilder in unsre irritable körperliche Masse folgern: Aber ein Anziehungs- Annäherungs- und Mittheilungsbedürfniß keinesweges. </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [251/0251]
Dieß ist das System unsers Dichters, von dem ich nichts Wesentliches verschwiegen zu haben glaube. Wer die Darstellung im Originale liest, wird ihre Schönheit nicht verkennen; und als Kunstwerk können wir ihr unsere Bewunderung und unsern Beyfall nicht versagen. Es ist gerade so viel Wahrheit, so viel innerer Zusammenhang darin, als erfordert wird, um in unserm Fluge im Reiche der Imagination nicht gestört und aufgehalten zu werden. Fern sey es also von mir, dasjenige, was ich über das System bemerken werde, zum Tadel des Dichters zu sagen. Aber wie man diese Rücksicht habe bey Seite setzen, und dennoch Wahrheit und innern Zusammenhang im Reiche der Wirklichkeit darin habe finden können, das ist mir unbegreiflich.
Offenbar schränkt Lukrez den Zug der beyden Geschlechter zu einander bloß auf das Körperliche ein, und sieht die Befriedigung des unnennbaren Triebes wieder als den einzigen Grund des Zuges der Körper zu einander an. Wie unrichtig dieß sey, ist in den beyden ersten Theilen dieses Werks gezeigt worden, worauf ich verweise. Allein gesetzt, man wollte diese Behauptung als richtig annehmen; so zeigt sich doch ein Sprung über eine nicht ausgefüllte Lücke zwischen der Behauptung: daß Bilder schöner Körper die unnennbare Kraft in uns reitzen, – und jener: daß diese Reitzung uns zur Annäherung an den reitzenden Körper auffordern. Das Bedürfniß, den Streich, den wir empfangen, abzuwehren, uns vor der Reitzung zurückzuziehen, ja! den Aufruhr durch Entladung zu beendigen, das Alles läßt sich aus dem Eindringen der Bilder in unsre irritable körperliche Masse folgern: Aber ein Anziehungs- Annäherungs- und Mittheilungsbedürfniß keinesweges.
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Zitationshilfe: | Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798/251>, abgerufen am 26.06.2024. |