Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

und dem unnennbaren Triebe in mir noch weit weniger Ruhe lassen?

Hier sind überall Lücken, deren Anzeige ich noch unendlich vermehren könnte. Endlich widerspricht sich Lukrez selbst. Wird die Geschlechtssympathie bloß durch den Aufruhr des unnennbaren Triebes in Bewegung gesetzt, und verdanken wir diesen Aufruhr wieder nur dem Eindringen der Bilder schöner Gestalten: ist ferner dieser Aufruhr der Grund aller Liebe; wie ist es denn möglich, daß ein häßliches Frauenzimmer bloß durch gute Sitten und einen reinlichen anständigen Anzug Liebe in uns erwecken könne? Und doch behauptet dieß Lukrez. Er sagt, wir gewöhnen uns an seinen Umgang, und nach und nach entsteht daraus Liebe. Nun kann nur eines von Beyden richtig seyn, entweder die erste Behauptung: Schönheit von der einen, und der unnennbare Trieb von der andern Seite, sind der Grund aller Liebe; dann kann die häßliche Person diese nie erwecken: Oder, auch die Gewohnheit ohne Schönheit kann Liebe erwecken; und dann ist der erste Grund gar nicht hinreichend, den Zug der beyden Geschlechter zu einander zu erklären.

Ich beziehe mich zur völligen Abfertigung dieses Systems auf das achte Buch in diesem Werke, und bemerke nur noch, wie es ganz auf Eigennutz gebauet sey. Dieser ist nicht einmahl von der feineren Art. Die Person, die zur Aufreitzung und Befriedigung des unnennbaren Triebes dient, wird eben so sehr zu einem maschinenmäßigen Werkzeuge, als der Mensch, den sie reitzt, zum Thiere erniedrigt, das durch den Stich eines giftigen Insekts in Wuth gegen den Urheber seiner Leiden

und dem unnennbaren Triebe in mir noch weit weniger Ruhe lassen?

Hier sind überall Lücken, deren Anzeige ich noch unendlich vermehren könnte. Endlich widerspricht sich Lukrez selbst. Wird die Geschlechtssympathie bloß durch den Aufruhr des unnennbaren Triebes in Bewegung gesetzt, und verdanken wir diesen Aufruhr wieder nur dem Eindringen der Bilder schöner Gestalten: ist ferner dieser Aufruhr der Grund aller Liebe; wie ist es denn möglich, daß ein häßliches Frauenzimmer bloß durch gute Sitten und einen reinlichen anständigen Anzug Liebe in uns erwecken könne? Und doch behauptet dieß Lukrez. Er sagt, wir gewöhnen uns an seinen Umgang, und nach und nach entsteht daraus Liebe. Nun kann nur eines von Beyden richtig seyn, entweder die erste Behauptung: Schönheit von der einen, und der unnennbare Trieb von der andern Seite, sind der Grund aller Liebe; dann kann die häßliche Person diese nie erwecken: Oder, auch die Gewohnheit ohne Schönheit kann Liebe erwecken; und dann ist der erste Grund gar nicht hinreichend, den Zug der beyden Geschlechter zu einander zu erklären.

Ich beziehe mich zur völligen Abfertigung dieses Systems auf das achte Buch in diesem Werke, und bemerke nur noch, wie es ganz auf Eigennutz gebauet sey. Dieser ist nicht einmahl von der feineren Art. Die Person, die zur Aufreitzung und Befriedigung des unnennbaren Triebes dient, wird eben so sehr zu einem maschinenmäßigen Werkzeuge, als der Mensch, den sie reitzt, zum Thiere erniedrigt, das durch den Stich eines giftigen Insekts in Wuth gegen den Urheber seiner Leiden

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0253" n="253"/>
und dem unnennbaren Triebe in mir noch weit weniger Ruhe lassen?</p>
          <p>Hier sind überall Lücken, deren Anzeige ich noch unendlich vermehren könnte. Endlich widerspricht sich Lukrez selbst. Wird die Geschlechtssympathie bloß durch den Aufruhr des unnennbaren Triebes in Bewegung gesetzt, und verdanken wir diesen Aufruhr wieder nur dem Eindringen der Bilder schöner Gestalten: ist ferner dieser Aufruhr der Grund aller Liebe; wie ist es denn möglich, daß ein häßliches Frauenzimmer bloß durch gute Sitten und einen reinlichen anständigen Anzug Liebe in uns erwecken könne? Und doch behauptet dieß Lukrez. Er sagt, wir gewöhnen uns an seinen Umgang, und nach und nach entsteht daraus Liebe. Nun kann nur eines von Beyden richtig seyn, entweder die erste Behauptung: Schönheit von der einen, und der unnennbare Trieb von der andern Seite, sind der Grund aller Liebe; dann kann die häßliche Person diese nie erwecken: Oder, auch die Gewohnheit ohne Schönheit kann Liebe erwecken; und dann ist der erste Grund gar nicht hinreichend, den Zug der beyden Geschlechter zu einander zu erklären.</p>
          <p>Ich beziehe mich zur völligen Abfertigung dieses Systems auf das achte Buch in diesem Werke, und bemerke nur noch, wie es ganz auf Eigennutz gebauet sey. Dieser ist nicht einmahl von der feineren Art. Die Person, die zur Aufreitzung und Befriedigung des unnennbaren Triebes dient, wird eben so sehr zu einem maschinenmäßigen Werkzeuge, als der Mensch, den sie reitzt, zum Thiere erniedrigt, das durch den Stich eines giftigen Insekts in Wuth gegen den Urheber seiner Leiden
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[253/0253] und dem unnennbaren Triebe in mir noch weit weniger Ruhe lassen? Hier sind überall Lücken, deren Anzeige ich noch unendlich vermehren könnte. Endlich widerspricht sich Lukrez selbst. Wird die Geschlechtssympathie bloß durch den Aufruhr des unnennbaren Triebes in Bewegung gesetzt, und verdanken wir diesen Aufruhr wieder nur dem Eindringen der Bilder schöner Gestalten: ist ferner dieser Aufruhr der Grund aller Liebe; wie ist es denn möglich, daß ein häßliches Frauenzimmer bloß durch gute Sitten und einen reinlichen anständigen Anzug Liebe in uns erwecken könne? Und doch behauptet dieß Lukrez. Er sagt, wir gewöhnen uns an seinen Umgang, und nach und nach entsteht daraus Liebe. Nun kann nur eines von Beyden richtig seyn, entweder die erste Behauptung: Schönheit von der einen, und der unnennbare Trieb von der andern Seite, sind der Grund aller Liebe; dann kann die häßliche Person diese nie erwecken: Oder, auch die Gewohnheit ohne Schönheit kann Liebe erwecken; und dann ist der erste Grund gar nicht hinreichend, den Zug der beyden Geschlechter zu einander zu erklären. Ich beziehe mich zur völligen Abfertigung dieses Systems auf das achte Buch in diesem Werke, und bemerke nur noch, wie es ganz auf Eigennutz gebauet sey. Dieser ist nicht einmahl von der feineren Art. Die Person, die zur Aufreitzung und Befriedigung des unnennbaren Triebes dient, wird eben so sehr zu einem maschinenmäßigen Werkzeuge, als der Mensch, den sie reitzt, zum Thiere erniedrigt, das durch den Stich eines giftigen Insekts in Wuth gegen den Urheber seiner Leiden

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-20T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-20T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-20T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.
  • Geviertstriche (—) wurden durch Halbgeviertstriche ersetzt (–).
  • Übergeschriebenes „e“ über „a“, „o“ und „u“ wird als moderner Umlaut (ä, ö, ü) transkribiert.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798/253
Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798/253>, abgerufen am 21.11.2024.