Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.nicht durch Achtung zugleich an einem geliebten Gegenstande hängt. Aber das Mittel, sich von der Leidenschaft zu einem Weibe loszumachen, das wir dankbar verehren müssen, und mit dem die Vereinigung durch äußere Verhältnisse gehindert wird; das Mittel ist er uns schuldig geblieben. Die Heroiden unsers Dichters lassen vermuthen, daß sie die Liebe in der edelsten Gestalt schildern, welche die gute Gesellschaft in Rom ihr zu geben wußte. Ein verfeinerter Römer läßt Halbgötter in der Sprache seines Zeitalters mit einander reden: er, der unstreitig, nach seiner ganzen Lage zu urtheilen, ein Mitglied jener guten Gesellschaft gewesen seyn muß! - Hier finde ich denn auch schöne Züge von Aufopferung, wie die Leidenschaft, die nach Vereinigung strebt, sie einflößt. Eine Briseis, die gern als Sklavin der glücklichern Gattin des geliebten Achilles dienen will, um nur bey ihm zu seyn: einen Acontius, der keinen andern Wunsch hegt, als den, seine kranke Cydippe zu warten: eine Hero, die lieber des Glücks, ihren Leander zu sehen, entbehren, als ihn der Gefahr in den Fluthen ausgesetzt wissen will, u. s. w. Aber Erhabenheit des Charakters und sittlichen Adel sucht man vergebens in den Gefühlen, welche diese Liebenden äußern. Die Heroinen bitten ihre Geliebten, feig zu seyn, aus der Schlacht zu fliehen, und in ihre Arme zu eilen. Der Gedanke, in dem Gefühle wechselseitiger Würde sich zu vereinigen, kommt nicht in die Seele dieser Personen. Noch weniger kennen sie das Wesen einer wahrhaft liebenden Leidenschaft, die selbst den Zweck der Vereinigung dem Wohl des geliebten Gegenstandes aufopfert. Ich finde nirgends, daß der nicht durch Achtung zugleich an einem geliebten Gegenstande hängt. Aber das Mittel, sich von der Leidenschaft zu einem Weibe loszumachen, das wir dankbar verehren müssen, und mit dem die Vereinigung durch äußere Verhältnisse gehindert wird; das Mittel ist er uns schuldig geblieben. Die Heroiden unsers Dichters lassen vermuthen, daß sie die Liebe in der edelsten Gestalt schildern, welche die gute Gesellschaft in Rom ihr zu geben wußte. Ein verfeinerter Römer läßt Halbgötter in der Sprache seines Zeitalters mit einander reden: er, der unstreitig, nach seiner ganzen Lage zu urtheilen, ein Mitglied jener guten Gesellschaft gewesen seyn muß! – Hier finde ich denn auch schöne Züge von Aufopferung, wie die Leidenschaft, die nach Vereinigung strebt, sie einflößt. Eine Briseis, die gern als Sklavin der glücklichern Gattin des geliebten Achilles dienen will, um nur bey ihm zu seyn: einen Acontius, der keinen andern Wunsch hegt, als den, seine kranke Cydippe zu warten: eine Hero, die lieber des Glücks, ihren Leander zu sehen, entbehren, als ihn der Gefahr in den Fluthen ausgesetzt wissen will, u. s. w. Aber Erhabenheit des Charakters und sittlichen Adel sucht man vergebens in den Gefühlen, welche diese Liebenden äußern. Die Heroinen bitten ihre Geliebten, feig zu seyn, aus der Schlacht zu fliehen, und in ihre Arme zu eilen. Der Gedanke, in dem Gefühle wechselseitiger Würde sich zu vereinigen, kommt nicht in die Seele dieser Personen. Noch weniger kennen sie das Wesen einer wahrhaft liebenden Leidenschaft, die selbst den Zweck der Vereinigung dem Wohl des geliebten Gegenstandes aufopfert. 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Eine Briseis, die gern als Sklavin der glücklichern Gattin des geliebten Achilles dienen will, um nur bey ihm zu seyn: einen Acontius, der keinen andern Wunsch hegt, als den, seine kranke Cydippe zu warten: eine Hero, die lieber des Glücks, ihren Leander zu sehen, entbehren, als ihn der Gefahr in den Fluthen ausgesetzt wissen will, u. s. w.</p> <p>Aber Erhabenheit des Charakters und sittlichen Adel sucht man vergebens in den Gefühlen, welche diese Liebenden äußern. Die Heroinen bitten ihre Geliebten, feig zu seyn, aus der Schlacht zu fliehen, und in ihre Arme zu eilen. Der Gedanke, in dem Gefühle wechselseitiger Würde sich zu vereinigen, kommt nicht in die Seele dieser Personen. Noch weniger kennen sie das Wesen einer wahrhaft liebenden Leidenschaft, die selbst den Zweck der Vereinigung dem Wohl des geliebten Gegenstandes aufopfert. Ich finde nirgends, daß der </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [315/0315]
nicht durch Achtung zugleich an einem geliebten Gegenstande hängt. Aber das Mittel, sich von der Leidenschaft zu einem Weibe loszumachen, das wir dankbar verehren müssen, und mit dem die Vereinigung durch äußere Verhältnisse gehindert wird; das Mittel ist er uns schuldig geblieben.
Die Heroiden unsers Dichters lassen vermuthen, daß sie die Liebe in der edelsten Gestalt schildern, welche die gute Gesellschaft in Rom ihr zu geben wußte. Ein verfeinerter Römer läßt Halbgötter in der Sprache seines Zeitalters mit einander reden: er, der unstreitig, nach seiner ganzen Lage zu urtheilen, ein Mitglied jener guten Gesellschaft gewesen seyn muß! – Hier finde ich denn auch schöne Züge von Aufopferung, wie die Leidenschaft, die nach Vereinigung strebt, sie einflößt. Eine Briseis, die gern als Sklavin der glücklichern Gattin des geliebten Achilles dienen will, um nur bey ihm zu seyn: einen Acontius, der keinen andern Wunsch hegt, als den, seine kranke Cydippe zu warten: eine Hero, die lieber des Glücks, ihren Leander zu sehen, entbehren, als ihn der Gefahr in den Fluthen ausgesetzt wissen will, u. s. w.
Aber Erhabenheit des Charakters und sittlichen Adel sucht man vergebens in den Gefühlen, welche diese Liebenden äußern. Die Heroinen bitten ihre Geliebten, feig zu seyn, aus der Schlacht zu fliehen, und in ihre Arme zu eilen. Der Gedanke, in dem Gefühle wechselseitiger Würde sich zu vereinigen, kommt nicht in die Seele dieser Personen. Noch weniger kennen sie das Wesen einer wahrhaft liebenden Leidenschaft, die selbst den Zweck der Vereinigung dem Wohl des geliebten Gegenstandes aufopfert. Ich finde nirgends, daß der
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