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Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.

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großen oder kleinen Unfalls wegen anklagen, den ich dir zugezogen haben könnte. Seit langer Zeit bist du mir mit leidenschaftlicher Liebe ergeben gewesen, und jetzt ist Ueberlegung hinzugetreten. Dieß kettet mich noch mehr an dich, weil ich die kurze Dauer deiner Gesinnungen nicht mehr zu fürchten brauche." Denn eine Zuneigung, die nur auf Leidenschaft beruht, ist eben ihrer Heftigkeit wegen leicht vergänglich. Aber wenn das Band der Herzen sich auf Vernunft gründet, dann ist es unauflöslich. Es erhält dann neue Reitze durch die Uebereinstimmung der Sitten, und wird über die Furcht der Auflösung erhoben. "Sprich du selbst, du, der du mich dieß alles gelehrt hast! Also wie gesagt: ich fürchte nicht deine Vorwürfe. Aber ich fürchte die Atheniensischen Wespen, die mich anklagen werden, als ob ich ihnen durch meinen Rath einen Mann entzöge, der ihnen so viel Geld einbringt, daß sie ihn als den Gott des Reichthums betrachten. Laß uns daher die Sache noch weiter überlegen, Freunde und Götter zu Rath nehmen. - Ich will mich unterdessen gewöhnen, mein Vaterland und mein Landhäuschen nach und nach zu vergessen. Ich begreife noch nicht, wie ich mich von dem Allen trennen werde. Aber du kannst dich von mir nicht trennen. Du gehörst mir ganz an. Und wenn alle Könige an dich schrieben, ich würde dir mehr werth seyn, als ihre Gunst. Du bist treu, eingedenk deiner Schwüre. Aber komm bald zur Stadt, damit du, wenn du reisen willst, die Schauspiele aussuchest, die dem Könige am mehrsten gefallen werden. Ich rathe dir zu diesem und jenem (hier folgen die Nahmen einiger Schauspiele des Menander.) Doch bin ich nicht zu verwegen, daß ich dir im Urtheile über deine Stücke

großen oder kleinen Unfalls wegen anklagen, den ich dir zugezogen haben könnte. Seit langer Zeit bist du mir mit leidenschaftlicher Liebe ergeben gewesen, und jetzt ist Ueberlegung hinzugetreten. Dieß kettet mich noch mehr an dich, weil ich die kurze Dauer deiner Gesinnungen nicht mehr zu fürchten brauche.“ Denn eine Zuneigung, die nur auf Leidenschaft beruht, ist eben ihrer Heftigkeit wegen leicht vergänglich. Aber wenn das Band der Herzen sich auf Vernunft gründet, dann ist es unauflöslich. Es erhält dann neue Reitze durch die Uebereinstimmung der Sitten, und wird über die Furcht der Auflösung erhoben. „Sprich du selbst, du, der du mich dieß alles gelehrt hast! Also wie gesagt: ich fürchte nicht deine Vorwürfe. Aber ich fürchte die Atheniensischen Wespen, die mich anklagen werden, als ob ich ihnen durch meinen Rath einen Mann entzöge, der ihnen so viel Geld einbringt, daß sie ihn als den Gott des Reichthums betrachten. Laß uns daher die Sache noch weiter überlegen, Freunde und Götter zu Rath nehmen. – Ich will mich unterdessen gewöhnen, mein Vaterland und mein Landhäuschen nach und nach zu vergessen. Ich begreife noch nicht, wie ich mich von dem Allen trennen werde. Aber du kannst dich von mir nicht trennen. Du gehörst mir ganz an. Und wenn alle Könige an dich schrieben, ich würde dir mehr werth seyn, als ihre Gunst. Du bist treu, eingedenk deiner Schwüre. Aber komm bald zur Stadt, damit du, wenn du reisen willst, die Schauspiele aussuchest, die dem Könige am mehrsten gefallen werden. Ich rathe dir zu diesem und jenem (hier folgen die Nahmen einiger Schauspiele des Menander.) Doch bin ich nicht zu verwegen, daß ich dir im Urtheile über deine Stücke

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[363/0363] großen oder kleinen Unfalls wegen anklagen, den ich dir zugezogen haben könnte. Seit langer Zeit bist du mir mit leidenschaftlicher Liebe ergeben gewesen, und jetzt ist Ueberlegung hinzugetreten. Dieß kettet mich noch mehr an dich, weil ich die kurze Dauer deiner Gesinnungen nicht mehr zu fürchten brauche.“ Denn eine Zuneigung, die nur auf Leidenschaft beruht, ist eben ihrer Heftigkeit wegen leicht vergänglich. Aber wenn das Band der Herzen sich auf Vernunft gründet, dann ist es unauflöslich. Es erhält dann neue Reitze durch die Uebereinstimmung der Sitten, und wird über die Furcht der Auflösung erhoben. „Sprich du selbst, du, der du mich dieß alles gelehrt hast! Also wie gesagt: ich fürchte nicht deine Vorwürfe. Aber ich fürchte die Atheniensischen Wespen, die mich anklagen werden, als ob ich ihnen durch meinen Rath einen Mann entzöge, der ihnen so viel Geld einbringt, daß sie ihn als den Gott des Reichthums betrachten. Laß uns daher die Sache noch weiter überlegen, Freunde und Götter zu Rath nehmen. – Ich will mich unterdessen gewöhnen, mein Vaterland und mein Landhäuschen nach und nach zu vergessen. Ich begreife noch nicht, wie ich mich von dem Allen trennen werde. Aber du kannst dich von mir nicht trennen. Du gehörst mir ganz an. Und wenn alle Könige an dich schrieben, ich würde dir mehr werth seyn, als ihre Gunst. Du bist treu, eingedenk deiner Schwüre. Aber komm bald zur Stadt, damit du, wenn du reisen willst, die Schauspiele aussuchest, die dem Könige am mehrsten gefallen werden. Ich rathe dir zu diesem und jenem (hier folgen die Nahmen einiger Schauspiele des Menander.) Doch bin ich nicht zu verwegen, daß ich dir im Urtheile über deine Stücke

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Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798, S. 363. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798/363>, abgerufen am 21.11.2024.