Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

"Denn wohlerzogene Mädchen errötheten, wenn sie nur von Heirath reden hörten. 16)

Es sind im Grunde nur wenig Stücke in dieser Sammlung, die den Nahmen von Briefen verdienen, wenn gleich die Personen, von denen sie geschrieben seyn, und die sie empfangen haben sollen, darüber stehen. Man könnte sie besser abgerissene Stylübungen über die Liebe nennen. Einige enthalten Lobeserhebungen geliebter Personen: andere kleine Erzählungen u. s. w.

Aristänet verräth hin und wieder Gesinnungen wahrer Liebe. Der neunte Brief des zweyten Buchs scheint dem Tibull abgestohlen zu seyn. Der Liebende, der ihn schreibt, fürchtet die Strafe des Meineides für seine untreue Geliebte, und diese Besorgniß kümmert ihn noch mehr als die Beleidigung, die er erfahren hat. Er entschuldigt sie, und klagt nur sein Schicksal an. Er fleht die ewige Gerechtigkeit an, sie nicht zu strafen. Sollte sie auch wieder fehlen, so will er sie dennoch nicht gestraft wissen, und leichter sein Unglück, als das Bewußtseyn des ihrigen tragen. -

An einer andern Stelle 17) verräth er sehr verfeinerte Begriffe von dem Genuß der Geschlechtssympathie. Der entzückte Liebhaber erhebet die Gestalt seiner Geliebten, und fährt dann fort: "Nicht bloß ihre Gestalt, auch ihre Sitten gefallen mir. Denn, ob sie gleich zum Stande der Hetären gehört, so bewahrt sie doch ihre natürliche Einfachheit. Ihr Charakter ist tadellos, und ihr Betragen weit über ihrer Lage. Sie hat mich durch ihre Unschuld gewonnen. Das geringste Geschenk das

16) Erstes Buch. 10ter Brief und ebendaselbst 7ter.
17) 12ter Brief im ersten Buch.

„Denn wohlerzogene Mädchen errötheten, wenn sie nur von Heirath reden hörten. 16)

Es sind im Grunde nur wenig Stücke in dieser Sammlung, die den Nahmen von Briefen verdienen, wenn gleich die Personen, von denen sie geschrieben seyn, und die sie empfangen haben sollen, darüber stehen. Man könnte sie besser abgerissene Stylübungen über die Liebe nennen. Einige enthalten Lobeserhebungen geliebter Personen: andere kleine Erzählungen u. s. w.

Aristänet verräth hin und wieder Gesinnungen wahrer Liebe. Der neunte Brief des zweyten Buchs scheint dem Tibull abgestohlen zu seyn. Der Liebende, der ihn schreibt, fürchtet die Strafe des Meineides für seine untreue Geliebte, und diese Besorgniß kümmert ihn noch mehr als die Beleidigung, die er erfahren hat. Er entschuldigt sie, und klagt nur sein Schicksal an. Er fleht die ewige Gerechtigkeit an, sie nicht zu strafen. Sollte sie auch wieder fehlen, so will er sie dennoch nicht gestraft wissen, und leichter sein Unglück, als das Bewußtseyn des ihrigen tragen. –

An einer andern Stelle 17) verräth er sehr verfeinerte Begriffe von dem Genuß der Geschlechtssympathie. Der entzückte Liebhaber erhebet die Gestalt seiner Geliebten, und fährt dann fort: „Nicht bloß ihre Gestalt, auch ihre Sitten gefallen mir. Denn, ob sie gleich zum Stande der Hetären gehört, so bewahrt sie doch ihre natürliche Einfachheit. Ihr Charakter ist tadellos, und ihr Betragen weit über ihrer Lage. Sie hat mich durch ihre Unschuld gewonnen. Das geringste Geschenk das

16) Erstes Buch. 10ter Brief und ebendaselbst 7ter.
17) 12ter Brief im ersten Buch.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0365" n="365"/>
          <p>&#x201E;Denn wohlerzogene Mädchen errötheten, wenn sie nur von Heirath reden hörten. <note place="foot" n="16)">Erstes Buch. 10ter Brief und ebendaselbst 7ter.</note></p>
          <p>Es sind im Grunde nur wenig Stücke in dieser Sammlung, die den Nahmen von Briefen verdienen, wenn gleich die Personen, von denen sie geschrieben seyn, und die sie empfangen haben sollen, darüber stehen. Man könnte sie besser abgerissene Stylübungen über die Liebe nennen. Einige enthalten Lobeserhebungen geliebter Personen: andere kleine Erzählungen u. s. w.</p>
          <p>Aristänet verräth hin und wieder Gesinnungen wahrer Liebe. Der neunte Brief des zweyten Buchs scheint dem Tibull abgestohlen zu seyn. Der Liebende, der ihn schreibt, fürchtet die Strafe des Meineides für seine untreue Geliebte, und diese Besorgniß kümmert ihn noch mehr als die Beleidigung, die er erfahren hat. Er entschuldigt sie, und klagt nur sein Schicksal an. Er fleht die ewige Gerechtigkeit an, sie nicht zu strafen. Sollte sie auch wieder fehlen, so will er sie dennoch nicht gestraft wissen, und leichter sein Unglück, als das Bewußtseyn des ihrigen tragen. &#x2013;</p>
          <p>An einer andern Stelle <note place="foot" n="17)">12ter Brief im ersten Buch.</note> verräth er sehr verfeinerte Begriffe von dem Genuß der Geschlechtssympathie. Der entzückte Liebhaber erhebet die Gestalt seiner Geliebten, und fährt dann fort: &#x201E;Nicht bloß ihre Gestalt, auch ihre Sitten gefallen mir. Denn, ob sie gleich zum Stande der Hetären gehört, so bewahrt sie doch ihre natürliche Einfachheit. Ihr Charakter ist tadellos, und ihr Betragen weit über ihrer Lage. Sie hat mich durch ihre Unschuld gewonnen. Das geringste Geschenk das
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[365/0365] „Denn wohlerzogene Mädchen errötheten, wenn sie nur von Heirath reden hörten. 16) Es sind im Grunde nur wenig Stücke in dieser Sammlung, die den Nahmen von Briefen verdienen, wenn gleich die Personen, von denen sie geschrieben seyn, und die sie empfangen haben sollen, darüber stehen. Man könnte sie besser abgerissene Stylübungen über die Liebe nennen. Einige enthalten Lobeserhebungen geliebter Personen: andere kleine Erzählungen u. s. w. Aristänet verräth hin und wieder Gesinnungen wahrer Liebe. Der neunte Brief des zweyten Buchs scheint dem Tibull abgestohlen zu seyn. Der Liebende, der ihn schreibt, fürchtet die Strafe des Meineides für seine untreue Geliebte, und diese Besorgniß kümmert ihn noch mehr als die Beleidigung, die er erfahren hat. Er entschuldigt sie, und klagt nur sein Schicksal an. Er fleht die ewige Gerechtigkeit an, sie nicht zu strafen. Sollte sie auch wieder fehlen, so will er sie dennoch nicht gestraft wissen, und leichter sein Unglück, als das Bewußtseyn des ihrigen tragen. – An einer andern Stelle 17) verräth er sehr verfeinerte Begriffe von dem Genuß der Geschlechtssympathie. Der entzückte Liebhaber erhebet die Gestalt seiner Geliebten, und fährt dann fort: „Nicht bloß ihre Gestalt, auch ihre Sitten gefallen mir. Denn, ob sie gleich zum Stande der Hetären gehört, so bewahrt sie doch ihre natürliche Einfachheit. Ihr Charakter ist tadellos, und ihr Betragen weit über ihrer Lage. Sie hat mich durch ihre Unschuld gewonnen. Das geringste Geschenk das 16) Erstes Buch. 10ter Brief und ebendaselbst 7ter. 17) 12ter Brief im ersten Buch.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-20T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-20T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-20T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.
  • Geviertstriche (—) wurden durch Halbgeviertstriche ersetzt (–).
  • Übergeschriebenes „e“ über „a“, „o“ und „u“ wird als moderner Umlaut (ä, ö, ü) transkribiert.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798/365
Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798, S. 365. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798/365>, abgerufen am 21.11.2024.