Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

Sollten die Beyspiele weiblicher Tugenden, die uns Plutarch überliefert hat, für die allgemeine Denkungsart der früheren Zeiten einen Beweis abgeben können; so würden die Weiber in ganz Griechenland nur in so fern einen Anspruch auf ausgezeichnete Achtung gehabt haben, als sie sich unmittelbar durch männliche Tugenden um ihr Vaterland verdient gemacht, oder eine vordringende Stärke des Charakters gezeigt hätten. Denn unter allen Beyspielen tugendhafter Weiber, die er anführt, ist Stratonica, die ihrem geliebten Gemahl eine Beyschläferin beylegt, um ihre Unfruchtbarkeit zu ersetzen, die einzige, die einen Adel der Seele von der duldenden Art verräth. Alle übrigen zeichnen sich durch muthvolle Unternehmungen zum Besten ihres Vaterlandes, und durch Verachtung des Lebens aus. Diesemnach würden die eigenthümlichen Vorzüge des Weibes zwar in Werth gehalten, aber nicht hochgeachtet seyn, und dieser Umstand würde bey der seltenern Gelegenheit, die sich dem Weibe darbietet, als Mann zu handeln, einen neuen Grund abgeben, auf die Verkennung ihrer Selbständigkeit in Gemäßheit ihres Geschlechts zu schließen.

Ehe die Idee nicht gegründet ist, daß das Weib ein selbständiger Mensch, so gut wie der Mann, ist, eben so gut, wie er, seinen Zweck in sich hat, eben so gut wie er, vortrefflich und vollkommen in seiner Art seyn kann, je mehr es sich diesem seinem Zwecke nähert; eher kann keine liebende Vereinigung der Naturen zwischen ihm und dem Manne, mithin keine Geschlechtszärtlichkeit, und wahrhaft liebende Leidenschaft allgemein anerkannt werden. Und beydes, ich darf es dreist sagen, ist von den Griechen in ihren

Sollten die Beyspiele weiblicher Tugenden, die uns Plutarch überliefert hat, für die allgemeine Denkungsart der früheren Zeiten einen Beweis abgeben können; so würden die Weiber in ganz Griechenland nur in so fern einen Anspruch auf ausgezeichnete Achtung gehabt haben, als sie sich unmittelbar durch männliche Tugenden um ihr Vaterland verdient gemacht, oder eine vordringende Stärke des Charakters gezeigt hätten. Denn unter allen Beyspielen tugendhafter Weiber, die er anführt, ist Stratonica, die ihrem geliebten Gemahl eine Beyschläferin beylegt, um ihre Unfruchtbarkeit zu ersetzen, die einzige, die einen Adel der Seele von der duldenden Art verräth. Alle übrigen zeichnen sich durch muthvolle Unternehmungen zum Besten ihres Vaterlandes, und durch Verachtung des Lebens aus. Diesemnach würden die eigenthümlichen Vorzüge des Weibes zwar in Werth gehalten, aber nicht hochgeachtet seyn, und dieser Umstand würde bey der seltenern Gelegenheit, die sich dem Weibe darbietet, als Mann zu handeln, einen neuen Grund abgeben, auf die Verkennung ihrer Selbständigkeit in Gemäßheit ihres Geschlechts zu schließen.

Ehe die Idee nicht gegründet ist, daß das Weib ein selbständiger Mensch, so gut wie der Mann, ist, eben so gut, wie er, seinen Zweck in sich hat, eben so gut wie er, vortrefflich und vollkommen in seiner Art seyn kann, je mehr es sich diesem seinem Zwecke nähert; eher kann keine liebende Vereinigung der Naturen zwischen ihm und dem Manne, mithin keine Geschlechtszärtlichkeit, und wahrhaft liebende Leidenschaft allgemein anerkannt werden. Und beydes, ich darf es dreist sagen, ist von den Griechen in ihren

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0044" n="44"/>
          <p>Sollten die Beyspiele weiblicher Tugenden, die uns Plutarch überliefert hat, für die allgemeine Denkungsart der früheren Zeiten einen Beweis abgeben können; so würden die Weiber in ganz Griechenland nur in so fern einen Anspruch auf ausgezeichnete Achtung gehabt haben, als sie sich unmittelbar durch männliche Tugenden um ihr Vaterland verdient gemacht, oder eine vordringende Stärke des Charakters gezeigt hätten. Denn unter allen Beyspielen tugendhafter Weiber, die er anführt, ist Stratonica, die ihrem geliebten Gemahl eine Beyschläferin beylegt, um ihre Unfruchtbarkeit zu ersetzen, die einzige, die einen Adel der Seele von der duldenden Art verräth. Alle übrigen zeichnen sich durch muthvolle Unternehmungen zum Besten ihres Vaterlandes, und durch Verachtung des Lebens aus. Diesemnach würden die eigenthümlichen Vorzüge des Weibes zwar in Werth gehalten, aber nicht hochgeachtet seyn, und dieser Umstand würde bey der seltenern Gelegenheit, die sich dem Weibe darbietet, als Mann zu handeln, einen neuen Grund abgeben, auf die Verkennung ihrer Selbständigkeit in Gemäßheit ihres Geschlechts zu schließen.</p>
          <p>Ehe die Idee nicht gegründet ist, daß das Weib ein selbständiger Mensch, so gut wie der Mann, ist, eben so gut, wie er, seinen Zweck in sich hat, eben so gut wie er, vortrefflich und vollkommen in seiner Art seyn kann, je mehr es sich diesem seinem Zwecke nähert; eher kann keine liebende Vereinigung der Naturen zwischen ihm und dem Manne, mithin keine Geschlechtszärtlichkeit, und wahrhaft liebende Leidenschaft allgemein anerkannt werden. Und beydes, ich darf es dreist sagen, ist von den Griechen in ihren
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[44/0044] Sollten die Beyspiele weiblicher Tugenden, die uns Plutarch überliefert hat, für die allgemeine Denkungsart der früheren Zeiten einen Beweis abgeben können; so würden die Weiber in ganz Griechenland nur in so fern einen Anspruch auf ausgezeichnete Achtung gehabt haben, als sie sich unmittelbar durch männliche Tugenden um ihr Vaterland verdient gemacht, oder eine vordringende Stärke des Charakters gezeigt hätten. Denn unter allen Beyspielen tugendhafter Weiber, die er anführt, ist Stratonica, die ihrem geliebten Gemahl eine Beyschläferin beylegt, um ihre Unfruchtbarkeit zu ersetzen, die einzige, die einen Adel der Seele von der duldenden Art verräth. Alle übrigen zeichnen sich durch muthvolle Unternehmungen zum Besten ihres Vaterlandes, und durch Verachtung des Lebens aus. Diesemnach würden die eigenthümlichen Vorzüge des Weibes zwar in Werth gehalten, aber nicht hochgeachtet seyn, und dieser Umstand würde bey der seltenern Gelegenheit, die sich dem Weibe darbietet, als Mann zu handeln, einen neuen Grund abgeben, auf die Verkennung ihrer Selbständigkeit in Gemäßheit ihres Geschlechts zu schließen. Ehe die Idee nicht gegründet ist, daß das Weib ein selbständiger Mensch, so gut wie der Mann, ist, eben so gut, wie er, seinen Zweck in sich hat, eben so gut wie er, vortrefflich und vollkommen in seiner Art seyn kann, je mehr es sich diesem seinem Zwecke nähert; eher kann keine liebende Vereinigung der Naturen zwischen ihm und dem Manne, mithin keine Geschlechtszärtlichkeit, und wahrhaft liebende Leidenschaft allgemein anerkannt werden. Und beydes, ich darf es dreist sagen, ist von den Griechen in ihren

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-20T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-20T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-20T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.
  • Geviertstriche (—) wurden durch Halbgeviertstriche ersetzt (–).
  • Übergeschriebenes „e“ über „a“, „o“ und „u“ wird als moderner Umlaut (ä, ö, ü) transkribiert.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798/44
Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798/44>, abgerufen am 21.11.2024.