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Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.

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Wie können neben solchen Stellen, welche so deutliche Beweise der Achtung und Zärtlichkeit für das Geschlecht enthalten, diejenigen in Betracht kommen, worin z. B. Andromache sagt: "Keine Viper beißt wie eine böse Weiberzunge! Solch Unglück bringen wir über die Männer!" - Oder jene, worin sie einer Sklavin Muth zur Ausrichtung eines gefahrvollen Auftrags einspricht, und hinzusetzt: "Du bist ein Weib, du wirst dir schon durchhelfen." - Was wollen sie mehr sagen, als jenes Shakesspearische Wort: Schwachheit, dein Nahme ist Weib! Was können sie besonders bey einem Dichter bedeuten, der so gern allgemeine Sentenzen vorbringt, daß er sogar von der Jugend beyder Geschlechter sagt: Weh! Weh! die Jugend ist ein großes Uebel für die Menschen! Jugend hat keine Tugend! u. s. w.

Gleich wieder in den Supplicantinnen giebt die Rede des Theseus an den Adrast einen Beweis des satyrischen Muthwillens des Euripides ab. Wie beißend ist die Beschreibung der drey Arten von Bürgern in den Republiken! und jener Ausfall auf die weitläuftigen Beschreiber von Schlachten. Dabey kommen in diesem Stücke wieder zwey höchst edle weibliche Charaktere vor: Aethra und besonders Evadne. Die erste wird vom Theseus mit den Worten zum Reden aufgefordert: "Oft sey Weisheit aus einem weiblichen Munde geflossen." - Die letzte ist beynahe ins Romantische übertrieben. Ihr Gatte war vor Theben geblieben, und erhielt vom Theseus ein ehrenvolles Begräbniß. Evadne ruft aus: "Nichts sey süßer, als neben dem geliebten Gegenstande sein Ende zu finden. Ihr Körper solle mit dem ihres Gatten zugleich ein Raub der Flamme werden, sie wolle bey demjenigen sterben, den sie in ihrem Leben so sehr

Wie können neben solchen Stellen, welche so deutliche Beweise der Achtung und Zärtlichkeit für das Geschlecht enthalten, diejenigen in Betracht kommen, worin z. B. Andromache sagt: „Keine Viper beißt wie eine böse Weiberzunge! Solch Unglück bringen wir über die Männer!“ – Oder jene, worin sie einer Sklavin Muth zur Ausrichtung eines gefahrvollen Auftrags einspricht, und hinzusetzt: „Du bist ein Weib, du wirst dir schon durchhelfen.“ – Was wollen sie mehr sagen, als jenes Shakesspearische Wort: Schwachheit, dein Nahme ist Weib! Was können sie besonders bey einem Dichter bedeuten, der so gern allgemeine Sentenzen vorbringt, daß er sogar von der Jugend beyder Geschlechter sagt: Weh! Weh! die Jugend ist ein großes Uebel für die Menschen! Jugend hat keine Tugend! u. s. w.

Gleich wieder in den Supplicantinnen giebt die Rede des Theseus an den Adrast einen Beweis des satyrischen Muthwillens des Euripides ab. Wie beißend ist die Beschreibung der drey Arten von Bürgern in den Republiken! und jener Ausfall auf die weitläuftigen Beschreiber von Schlachten. Dabey kommen in diesem Stücke wieder zwey höchst edle weibliche Charaktere vor: Aethra und besonders Evadne. Die erste wird vom Theseus mit den Worten zum Reden aufgefordert: „Oft sey Weisheit aus einem weiblichen Munde geflossen.“ – Die letzte ist beynahe ins Romantische übertrieben. Ihr Gatte war vor Theben geblieben, und erhielt vom Theseus ein ehrenvolles Begräbniß. Evadne ruft aus: „Nichts sey süßer, als neben dem geliebten Gegenstande sein Ende zu finden. Ihr Körper solle mit dem ihres Gatten zugleich ein Raub der Flamme werden, sie wolle bey demjenigen sterben, den sie in ihrem Leben so sehr

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[95/0095] Wie können neben solchen Stellen, welche so deutliche Beweise der Achtung und Zärtlichkeit für das Geschlecht enthalten, diejenigen in Betracht kommen, worin z. B. Andromache sagt: „Keine Viper beißt wie eine böse Weiberzunge! Solch Unglück bringen wir über die Männer!“ – Oder jene, worin sie einer Sklavin Muth zur Ausrichtung eines gefahrvollen Auftrags einspricht, und hinzusetzt: „Du bist ein Weib, du wirst dir schon durchhelfen.“ – Was wollen sie mehr sagen, als jenes Shakesspearische Wort: Schwachheit, dein Nahme ist Weib! Was können sie besonders bey einem Dichter bedeuten, der so gern allgemeine Sentenzen vorbringt, daß er sogar von der Jugend beyder Geschlechter sagt: Weh! Weh! die Jugend ist ein großes Uebel für die Menschen! Jugend hat keine Tugend! u. s. w. Gleich wieder in den Supplicantinnen giebt die Rede des Theseus an den Adrast einen Beweis des satyrischen Muthwillens des Euripides ab. Wie beißend ist die Beschreibung der drey Arten von Bürgern in den Republiken! und jener Ausfall auf die weitläuftigen Beschreiber von Schlachten. Dabey kommen in diesem Stücke wieder zwey höchst edle weibliche Charaktere vor: Aethra und besonders Evadne. Die erste wird vom Theseus mit den Worten zum Reden aufgefordert: „Oft sey Weisheit aus einem weiblichen Munde geflossen.“ – Die letzte ist beynahe ins Romantische übertrieben. Ihr Gatte war vor Theben geblieben, und erhielt vom Theseus ein ehrenvolles Begräbniß. Evadne ruft aus: „Nichts sey süßer, als neben dem geliebten Gegenstande sein Ende zu finden. Ihr Körper solle mit dem ihres Gatten zugleich ein Raub der Flamme werden, sie wolle bey demjenigen sterben, den sie in ihrem Leben so sehr

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Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798/95>, abgerufen am 23.11.2024.