Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils zweyte Abtheilung: Neuere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.spricht die Dame, und dieß ist die Veranlassung zu dem Gedichte. Der Liebhaber singt: "Was war es nöthig, daß ich wegen eines Weibes um Freyheit und um den Verstand kommen sollte. Es ist nicht so stark verwahrt! - Eine Sache wollte ich gerne der Dame in Erinnerung bringen, wäre sie nicht ein Schlag auf ihre Stirne: sie sollte daran denken, ob sie jemahls wie eine Närrin bey mir gelegen habe." Diese nicht anständige Aeußerung enthält offenbar den Vorwurf einer Schwachheit der Dame, den ihr der Dichter macht, um ihre jetzige Sprödigkeit in ein unvortheilhaftes Licht zu setzen. Darauf antwortet die Dame mit einem noch unanständigern Vorwurfe: "Was half es, daß er wie ein Narr bey mir gelegen hat? Ich ward doch niemahls seine Frau!" - Diese Worte können nie auf eine willkührliche Enthaltsamkeit, sondern nur auf ein physisches Unvermögen hindeuten. Lassen wir daher die Idee an eine fanatische Enthaltsamkeit, oder gar an eine platonische Seelenliebe ganz fahren. Der deutsche Dichter fühlte so wie seine Nachbaren, daß Pflicht und äußere Umstände dem Bestreben nach gänzlicher Vereinigung zuweilen Grenzen setzten, und daß dieß beschränkte Verhältniß zu vielen, für die Dichtkunst brauchbaren Situationen, Anlaß gab. Hat es auch einen Robert d'Arbrissel unter ihnen gegeben; so ist sein Geschmack gewiß nicht der herrschende gewesen, und die Tugend hat unstreitig nichts dabey verloren. 56) Uebrigens finden wir bey den Minnesingern neben jenen edleren Grundsätzen auch eine sehr leichtsinnige Art, über die Liebe zu denken. 56) Bayle Dict. phil. et crit. Article Fontevraux.
spricht die Dame, und dieß ist die Veranlassung zu dem Gedichte. Der Liebhaber singt: „Was war es nöthig, daß ich wegen eines Weibes um Freyheit und um den Verstand kommen sollte. Es ist nicht so stark verwahrt! – Eine Sache wollte ich gerne der Dame in Erinnerung bringen, wäre sie nicht ein Schlag auf ihre Stirne: sie sollte daran denken, ob sie jemahls wie eine Närrin bey mir gelegen habe.“ Diese nicht anständige Aeußerung enthält offenbar den Vorwurf einer Schwachheit der Dame, den ihr der Dichter macht, um ihre jetzige Sprödigkeit in ein unvortheilhaftes Licht zu setzen. Darauf antwortet die Dame mit einem noch unanständigern Vorwurfe: „Was half es, daß er wie ein Narr bey mir gelegen hat? Ich ward doch niemahls seine Frau!“ – Diese Worte können nie auf eine willkührliche Enthaltsamkeit, sondern nur auf ein physisches Unvermögen hindeuten. Lassen wir daher die Idee an eine fanatische Enthaltsamkeit, oder gar an eine platonische Seelenliebe ganz fahren. Der deutsche Dichter fühlte so wie seine Nachbaren, daß Pflicht und äußere Umstände dem Bestreben nach gänzlicher Vereinigung zuweilen Grenzen setzten, und daß dieß beschränkte Verhältniß zu vielen, für die Dichtkunst brauchbaren Situationen, Anlaß gab. Hat es auch einen Robert d’Arbrissel unter ihnen gegeben; so ist sein Geschmack gewiß nicht der herrschende gewesen, und die Tugend hat unstreitig nichts dabey verloren. 56) Uebrigens finden wir bey den Minnesingern neben jenen edleren Grundsätzen auch eine sehr leichtsinnige Art, über die Liebe zu denken. 56) Bayle Dict. phil. et crit. Article Fontevraux.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0112" n="112"/> spricht die Dame, und dieß ist die Veranlassung zu dem Gedichte. Der Liebhaber singt: „Was war es nöthig, daß ich wegen eines Weibes um Freyheit und um den Verstand kommen sollte. <hi rendition="#g">Es ist nicht so stark verwahrt!</hi> – Eine Sache wollte ich gerne der Dame in Erinnerung bringen, wäre sie nicht ein Schlag auf ihre Stirne: sie sollte daran denken, <hi rendition="#g">ob sie jemahls wie eine Närrin bey mir gelegen habe.</hi>“</p> <p>Diese nicht anständige Aeußerung enthält offenbar den Vorwurf einer Schwachheit der Dame, den ihr der Dichter macht, um ihre jetzige Sprödigkeit in ein unvortheilhaftes Licht zu setzen. Darauf antwortet die Dame mit einem noch unanständigern Vorwurfe: „Was half es, daß er <hi rendition="#g">wie ein Narr bey mir gelegen hat? Ich ward doch niemahls seine Frau!</hi>“ – Diese Worte können nie auf eine willkührliche Enthaltsamkeit, sondern nur auf ein physisches Unvermögen hindeuten.</p> <p>Lassen wir daher die Idee an eine fanatische Enthaltsamkeit, oder gar an eine platonische Seelenliebe ganz fahren. Der deutsche Dichter fühlte so wie seine Nachbaren, daß Pflicht und äußere Umstände dem Bestreben nach gänzlicher Vereinigung zuweilen Grenzen setzten, und daß dieß beschränkte Verhältniß zu vielen, für die Dichtkunst brauchbaren Situationen, Anlaß gab. Hat es auch einen <hi rendition="#aq">Robert d’Arbrissel</hi> unter ihnen gegeben; so ist sein Geschmack gewiß nicht der herrschende gewesen, und die Tugend hat unstreitig nichts dabey verloren. <note place="foot" n="56)"><hi rendition="#aq">Bayle Dict. phil. et crit. Article Fontevraux.</hi></note></p> <p>Uebrigens finden wir bey den Minnesingern neben jenen edleren Grundsätzen auch eine sehr leichtsinnige Art, über die Liebe zu denken.</p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [112/0112]
spricht die Dame, und dieß ist die Veranlassung zu dem Gedichte. Der Liebhaber singt: „Was war es nöthig, daß ich wegen eines Weibes um Freyheit und um den Verstand kommen sollte. Es ist nicht so stark verwahrt! – Eine Sache wollte ich gerne der Dame in Erinnerung bringen, wäre sie nicht ein Schlag auf ihre Stirne: sie sollte daran denken, ob sie jemahls wie eine Närrin bey mir gelegen habe.“
Diese nicht anständige Aeußerung enthält offenbar den Vorwurf einer Schwachheit der Dame, den ihr der Dichter macht, um ihre jetzige Sprödigkeit in ein unvortheilhaftes Licht zu setzen. Darauf antwortet die Dame mit einem noch unanständigern Vorwurfe: „Was half es, daß er wie ein Narr bey mir gelegen hat? Ich ward doch niemahls seine Frau!“ – Diese Worte können nie auf eine willkührliche Enthaltsamkeit, sondern nur auf ein physisches Unvermögen hindeuten.
Lassen wir daher die Idee an eine fanatische Enthaltsamkeit, oder gar an eine platonische Seelenliebe ganz fahren. Der deutsche Dichter fühlte so wie seine Nachbaren, daß Pflicht und äußere Umstände dem Bestreben nach gänzlicher Vereinigung zuweilen Grenzen setzten, und daß dieß beschränkte Verhältniß zu vielen, für die Dichtkunst brauchbaren Situationen, Anlaß gab. Hat es auch einen Robert d’Arbrissel unter ihnen gegeben; so ist sein Geschmack gewiß nicht der herrschende gewesen, und die Tugend hat unstreitig nichts dabey verloren. 56)
Uebrigens finden wir bey den Minnesingern neben jenen edleren Grundsätzen auch eine sehr leichtsinnige Art, über die Liebe zu denken.
56) Bayle Dict. phil. et crit. Article Fontevraux.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax.
(2012-11-20T10:30:31Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2012-11-20T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat.
(2012-11-20T10:30:31Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |