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Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils zweyte Abtheilung: Neuere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.

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Mars, sagt er, so wird sie die Sonne verdunkeln; denn alle auserwählten Seelen werden sich zu ihr drängen, ihre unendliche Schönheit zu bewundern. Stellt sie sich unter der Sonne hin, so verfinstert sie alle Planeten, und sie allein wird man nennen. Im fünften Zirkel wird sie nicht wohnen wollen; aber fliegt sie noch höher; so wird sie, das weiß ich gewiß, alle andern Sterne auslöschen."

Welcher Frost, welcher Schwulst, welche Kostbarkeit, wird man ausrufen! Und mit Recht, sobald man bloß die Lage eines Verliebten betrachtet. Aber man darf deßhalb nicht annehmen, daß Petrarka sich in die Gefühle, welche solche Bilder hervorbringen, willkührlich hineingelogen habe. Sie liegen nicht dem Herzen, wohl aber dem Beschauungshange ganz nahe, sobald man das Zeitalter des Petrarka, und den Werth, den er auf den platonischen Mythus, nach welchem reine Seelen nach ihrem Tode irgend einen Stern beleben, in Anschlag bringt. Die verweilende, beynahe ins Kindische fallende Spielerey mit diesem Bilde gehört freylich nicht dem Manne, der mit der Person seiner Geliebten Alles auf dieser Welt zu verlieren fürchtet; aber sie ist demjenigen eigenthümlich, der an ihrem Bilde hängt, und in dessen Verschönerung seinen süßesten Genuß findet.

Einst als er an den Küsten von Toskana nach einer Seereise aus der Provence aussteigt, ist das erste, was ihm in die Augen fällt, ein Lorberbaum. Bey diesem Anblicke sinkt er ohnmächtig zu Boden, und in eine Quelle, die zu den Füßen des Baumes rauscht. Was ist seine Empfindung dabey? Er erröthet vor sich selbst: er freuet sich, daß nun seine Füße naß geworden sind, statt daß ehmahls seine

Mars, sagt er, so wird sie die Sonne verdunkeln; denn alle auserwählten Seelen werden sich zu ihr drängen, ihre unendliche Schönheit zu bewundern. Stellt sie sich unter der Sonne hin, so verfinstert sie alle Planeten, und sie allein wird man nennen. Im fünften Zirkel wird sie nicht wohnen wollen; aber fliegt sie noch höher; so wird sie, das weiß ich gewiß, alle andern Sterne auslöschen.“

Welcher Frost, welcher Schwulst, welche Kostbarkeit, wird man ausrufen! Und mit Recht, sobald man bloß die Lage eines Verliebten betrachtet. Aber man darf deßhalb nicht annehmen, daß Petrarka sich in die Gefühle, welche solche Bilder hervorbringen, willkührlich hineingelogen habe. Sie liegen nicht dem Herzen, wohl aber dem Beschauungshange ganz nahe, sobald man das Zeitalter des Petrarka, und den Werth, den er auf den platonischen Mythus, nach welchem reine Seelen nach ihrem Tode irgend einen Stern beleben, in Anschlag bringt. Die verweilende, beynahe ins Kindische fallende Spielerey mit diesem Bilde gehört freylich nicht dem Manne, der mit der Person seiner Geliebten Alles auf dieser Welt zu verlieren fürchtet; aber sie ist demjenigen eigenthümlich, der an ihrem Bilde hängt, und in dessen Verschönerung seinen süßesten Genuß findet.

Einst als er an den Küsten von Toskana nach einer Seereise aus der Provence aussteigt, ist das erste, was ihm in die Augen fällt, ein Lorberbaum. Bey diesem Anblicke sinkt er ohnmächtig zu Boden, und in eine Quelle, die zu den Füßen des Baumes rauscht. Was ist seine Empfindung dabey? Er erröthet vor sich selbst: er freuet sich, daß nun seine Füße naß geworden sind, statt daß ehmahls seine

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[219/0219] Mars, sagt er, so wird sie die Sonne verdunkeln; denn alle auserwählten Seelen werden sich zu ihr drängen, ihre unendliche Schönheit zu bewundern. Stellt sie sich unter der Sonne hin, so verfinstert sie alle Planeten, und sie allein wird man nennen. Im fünften Zirkel wird sie nicht wohnen wollen; aber fliegt sie noch höher; so wird sie, das weiß ich gewiß, alle andern Sterne auslöschen.“ Welcher Frost, welcher Schwulst, welche Kostbarkeit, wird man ausrufen! Und mit Recht, sobald man bloß die Lage eines Verliebten betrachtet. Aber man darf deßhalb nicht annehmen, daß Petrarka sich in die Gefühle, welche solche Bilder hervorbringen, willkührlich hineingelogen habe. Sie liegen nicht dem Herzen, wohl aber dem Beschauungshange ganz nahe, sobald man das Zeitalter des Petrarka, und den Werth, den er auf den platonischen Mythus, nach welchem reine Seelen nach ihrem Tode irgend einen Stern beleben, in Anschlag bringt. Die verweilende, beynahe ins Kindische fallende Spielerey mit diesem Bilde gehört freylich nicht dem Manne, der mit der Person seiner Geliebten Alles auf dieser Welt zu verlieren fürchtet; aber sie ist demjenigen eigenthümlich, der an ihrem Bilde hängt, und in dessen Verschönerung seinen süßesten Genuß findet. Einst als er an den Küsten von Toskana nach einer Seereise aus der Provence aussteigt, ist das erste, was ihm in die Augen fällt, ein Lorberbaum. Bey diesem Anblicke sinkt er ohnmächtig zu Boden, und in eine Quelle, die zu den Füßen des Baumes rauscht. Was ist seine Empfindung dabey? Er erröthet vor sich selbst: er freuet sich, daß nun seine Füße naß geworden sind, statt daß ehmahls seine

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Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils zweyte Abtheilung: Neuere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0302_1798/219>, abgerufen am 24.05.2024.