Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils zweyte Abtheilung: Neuere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

Weissagungen, noch an die Unfehlbarkeit des Pabstes; aber desto mehr an Träume, an Vorahnungen, und sogar an die Kraft der Steine, den Menschen, der sie trüge, unüberwindlich zu machen.

Noch ein Zug, der das Verhältniß seiner Vernunft zu seiner Einbildungskraft beweiset: er liebte die Karthausen und ihre Bewohner. Er hatte einen Bruder, der selbst dieß Gelübde auf sich genommen hatte. Auch lebte er gern in ihrer Nachbarschaft, füllte seine Phantasie gern mit den Bildern, die sie bey ihm erweckten; aber das Gelübde selbst auf sich zu nehmen, dazu fehlte es ihm an Muth. Er liebte die Einsamkeit, aber keine völlige Abgezogenheit von der Welt, und seine Freyheit ging ihm über Alles.

Diese Züge rechtfertigen also gewiß den Charakter, den ich vorhin unserm Petrarka und seiner Liebe beygelegt habe. Weich, sinnlich, eitel von Natur, nicht ohne Anlagen zu wohlwollenden geselligen Neigungen überhaupt, und zu zärtlicher Anhänglichkeit und Angewöhnung an bestimmte Personen, war er dennoch zu einer anhaltenden, sich aufopfernden Leidenschaft ursprünglich nicht geschaffen. Das Verhältniß, worin er zu Lauren stand, beruhte nicht auf Leidenschaft nach Vereinigung der Personen; es war eine angewöhnte gespannte Lage, eine zur Natur gewordene begeisterte Empfindsamkeit. Will man diesen Zustand Leidenschaft nennen, so war es Leidenschaft der Selbstheit, die den Beschauungshang und die sympathetischen Neigungen dazu nutzte, den Geist in einer üppigen, hinschmelzenden Spannung zu erhalten. Seine Schwärmerey war nicht von finsterer und wilder Art. Sie war auch nicht von der Stärke, um ihm das richtige Urtheil über

Weissagungen, noch an die Unfehlbarkeit des Pabstes; aber desto mehr an Träume, an Vorahnungen, und sogar an die Kraft der Steine, den Menschen, der sie trüge, unüberwindlich zu machen.

Noch ein Zug, der das Verhältniß seiner Vernunft zu seiner Einbildungskraft beweiset: er liebte die Karthausen und ihre Bewohner. Er hatte einen Bruder, der selbst dieß Gelübde auf sich genommen hatte. Auch lebte er gern in ihrer Nachbarschaft, füllte seine Phantasie gern mit den Bildern, die sie bey ihm erweckten; aber das Gelübde selbst auf sich zu nehmen, dazu fehlte es ihm an Muth. Er liebte die Einsamkeit, aber keine völlige Abgezogenheit von der Welt, und seine Freyheit ging ihm über Alles.

Diese Züge rechtfertigen also gewiß den Charakter, den ich vorhin unserm Petrarka und seiner Liebe beygelegt habe. Weich, sinnlich, eitel von Natur, nicht ohne Anlagen zu wohlwollenden geselligen Neigungen überhaupt, und zu zärtlicher Anhänglichkeit und Angewöhnung an bestimmte Personen, war er dennoch zu einer anhaltenden, sich aufopfernden Leidenschaft ursprünglich nicht geschaffen. Das Verhältniß, worin er zu Lauren stand, beruhte nicht auf Leidenschaft nach Vereinigung der Personen; es war eine angewöhnte gespannte Lage, eine zur Natur gewordene begeisterte Empfindsamkeit. Will man diesen Zustand Leidenschaft nennen, so war es Leidenschaft der Selbstheit, die den Beschauungshang und die sympathetischen Neigungen dazu nutzte, den Geist in einer üppigen, hinschmelzenden Spannung zu erhalten. Seine Schwärmerey war nicht von finsterer und wilder Art. Sie war auch nicht von der Stärke, um ihm das richtige Urtheil über

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0224" n="224"/>
Weissagungen, noch an die Unfehlbarkeit des Pabstes; aber desto mehr an Träume, an Vorahnungen, und sogar an die Kraft der Steine, den Menschen, der sie trüge, unüberwindlich zu machen.</p>
          <p>Noch ein Zug, der das Verhältniß seiner Vernunft zu seiner Einbildungskraft beweiset: er liebte die Karthausen und ihre Bewohner. Er hatte einen Bruder, der selbst dieß Gelübde auf sich genommen hatte. Auch lebte er gern in ihrer Nachbarschaft, füllte seine Phantasie gern mit den Bildern, die sie bey ihm erweckten; aber das Gelübde selbst auf sich zu nehmen, dazu fehlte es ihm an Muth. Er liebte die Einsamkeit, aber keine völlige Abgezogenheit von der Welt, und seine Freyheit ging ihm über Alles.</p>
          <p>Diese Züge rechtfertigen also gewiß den Charakter, den ich vorhin unserm Petrarka und seiner Liebe beygelegt habe. Weich, sinnlich, eitel von Natur, nicht ohne Anlagen zu wohlwollenden geselligen Neigungen überhaupt, und zu zärtlicher Anhänglichkeit und Angewöhnung an bestimmte Personen, war er dennoch zu einer anhaltenden, sich aufopfernden Leidenschaft ursprünglich nicht geschaffen. Das Verhältniß, worin er zu Lauren stand, beruhte nicht auf Leidenschaft nach Vereinigung der Personen; es war eine angewöhnte gespannte Lage, eine zur Natur gewordene begeisterte Empfindsamkeit. Will man diesen Zustand Leidenschaft nennen, so war es Leidenschaft der Selbstheit, die den Beschauungshang und die sympathetischen Neigungen dazu nutzte, den Geist in einer üppigen, hinschmelzenden Spannung zu erhalten. Seine Schwärmerey war nicht von finsterer und wilder Art. Sie war auch nicht von der Stärke, um ihm das richtige Urtheil über
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[224/0224] Weissagungen, noch an die Unfehlbarkeit des Pabstes; aber desto mehr an Träume, an Vorahnungen, und sogar an die Kraft der Steine, den Menschen, der sie trüge, unüberwindlich zu machen. Noch ein Zug, der das Verhältniß seiner Vernunft zu seiner Einbildungskraft beweiset: er liebte die Karthausen und ihre Bewohner. Er hatte einen Bruder, der selbst dieß Gelübde auf sich genommen hatte. Auch lebte er gern in ihrer Nachbarschaft, füllte seine Phantasie gern mit den Bildern, die sie bey ihm erweckten; aber das Gelübde selbst auf sich zu nehmen, dazu fehlte es ihm an Muth. Er liebte die Einsamkeit, aber keine völlige Abgezogenheit von der Welt, und seine Freyheit ging ihm über Alles. Diese Züge rechtfertigen also gewiß den Charakter, den ich vorhin unserm Petrarka und seiner Liebe beygelegt habe. Weich, sinnlich, eitel von Natur, nicht ohne Anlagen zu wohlwollenden geselligen Neigungen überhaupt, und zu zärtlicher Anhänglichkeit und Angewöhnung an bestimmte Personen, war er dennoch zu einer anhaltenden, sich aufopfernden Leidenschaft ursprünglich nicht geschaffen. Das Verhältniß, worin er zu Lauren stand, beruhte nicht auf Leidenschaft nach Vereinigung der Personen; es war eine angewöhnte gespannte Lage, eine zur Natur gewordene begeisterte Empfindsamkeit. Will man diesen Zustand Leidenschaft nennen, so war es Leidenschaft der Selbstheit, die den Beschauungshang und die sympathetischen Neigungen dazu nutzte, den Geist in einer üppigen, hinschmelzenden Spannung zu erhalten. Seine Schwärmerey war nicht von finsterer und wilder Art. Sie war auch nicht von der Stärke, um ihm das richtige Urtheil über

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-20T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-20T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-20T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.
  • Geviertstriche (—) wurden durch Halbgeviertstriche ersetzt (–).
  • Übergeschriebenes „e“ über „a“, „o“ und „u“ wird als moderner Umlaut (ä, ö, ü) transkribiert.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0302_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0302_1798/224
Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils zweyte Abtheilung: Neuere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0302_1798/224>, abgerufen am 18.05.2024.