Anfangs näherten sich beide einander. Es gab einen Moment, wo man sich in Deutschland noch nicht entschlos- sen hatte, die Hierarchie so völlig fallen zu lassen: wo man auch in Italien geneigt gewesen wäre, rationelle Modifi- cationen in derselben anzunehmen. Dieser Moment ging vorüber.
Während die Protestanten, gestützt auf die Schrift, immer kühner zu den primitiven Formen des christlichen Glaubens und Lebens zurückgingen, entschied man sich auf der andern Seite, das im Laufe des Jahrhunderts zu Stande gekommene kirchliche Institut fest zu halten und nur zu erneuern, mit Geist und Ernst und Strenge zu durchdringen. Dort entwickelte sich der Calvinismus bei weitem antikatholischer als das Lutherthum: hier stieß man in bewußter Feindseligkeit alles von sich, was an den Pro- testantismus überhaupt erinnerte, und trat ihm in scharfem Gegensatz gegenüber.
So entspringen ein paar Quellen in vertraulicher Nachbarschaft auf der Höhe des Gebirgs: so wie sie sich nach verschiedenen Senkungen desselben ergossen haben, ge- hen sie in entgegengesetzten Strömen auf ewig aus ein- ander.
BuchII.Regeneration des Katholicismus.
Anfangs naͤherten ſich beide einander. Es gab einen Moment, wo man ſich in Deutſchland noch nicht entſchloſ- ſen hatte, die Hierarchie ſo voͤllig fallen zu laſſen: wo man auch in Italien geneigt geweſen waͤre, rationelle Modifi- cationen in derſelben anzunehmen. Dieſer Moment ging voruͤber.
Waͤhrend die Proteſtanten, geſtuͤtzt auf die Schrift, immer kuͤhner zu den primitiven Formen des chriſtlichen Glaubens und Lebens zuruͤckgingen, entſchied man ſich auf der andern Seite, das im Laufe des Jahrhunderts zu Stande gekommene kirchliche Inſtitut feſt zu halten und nur zu erneuern, mit Geiſt und Ernſt und Strenge zu durchdringen. Dort entwickelte ſich der Calvinismus bei weitem antikatholiſcher als das Lutherthum: hier ſtieß man in bewußter Feindſeligkeit alles von ſich, was an den Pro- teſtantismus uͤberhaupt erinnerte, und trat ihm in ſcharfem Gegenſatz gegenuͤber.
So entſpringen ein paar Quellen in vertraulicher Nachbarſchaft auf der Hoͤhe des Gebirgs: ſo wie ſie ſich nach verſchiedenen Senkungen deſſelben ergoſſen haben, ge- hen ſie in entgegengeſetzten Stroͤmen auf ewig aus ein- ander.
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Buch II. Regeneration des Katholicismus.
Anfangs naͤherten ſich beide einander. Es gab einen
Moment, wo man ſich in Deutſchland noch nicht entſchloſ-
ſen hatte, die Hierarchie ſo voͤllig fallen zu laſſen: wo man
auch in Italien geneigt geweſen waͤre, rationelle Modifi-
cationen in derſelben anzunehmen. Dieſer Moment ging
voruͤber.
Waͤhrend die Proteſtanten, geſtuͤtzt auf die Schrift,
immer kuͤhner zu den primitiven Formen des chriſtlichen
Glaubens und Lebens zuruͤckgingen, entſchied man ſich auf
der andern Seite, das im Laufe des Jahrhunderts zu
Stande gekommene kirchliche Inſtitut feſt zu halten und
nur zu erneuern, mit Geiſt und Ernſt und Strenge zu
durchdringen. Dort entwickelte ſich der Calvinismus bei
weitem antikatholiſcher als das Lutherthum: hier ſtieß man
in bewußter Feindſeligkeit alles von ſich, was an den Pro-
teſtantismus uͤberhaupt erinnerte, und trat ihm in ſcharfem
Gegenſatz gegenuͤber.
So entſpringen ein paar Quellen in vertraulicher
Nachbarſchaft auf der Hoͤhe des Gebirgs: ſo wie ſie ſich
nach verſchiedenen Senkungen deſſelben ergoſſen haben, ge-
hen ſie in entgegengeſetzten Stroͤmen auf ewig aus ein-
ander.
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Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste01_1834/258>, abgerufen am 22.11.2024.
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