Einmal ging das republikanische sich selbst überlassene Italien, auf dessen eigenthümlichen Zuständen die früheren Entwickelungen, auch des Geistes selbst beruht hatten, nun- mehr zu Grunde. Die ganze Freiheit und Naivetät des geistigen Zusammenseyns verschwand. Man bemerke, daß sich die Titulaturen einführten. Schon um das Jahr 1520 sahen Einige mit Verdruß, daß Jedermann Herr genannt seyn wollte: man schrieb es dem Einfluß der Spanier zu. Um das Jahr 1550 verdrängen bereits schwerfällige Eh- renbezeigungen die einfache Anrede in Brief und Gespräch. Gegen das Ende des Jahrhunderts nahmen die Titel Mar- chese und Duca überhand; Jedermann wollte sie haben; alles wollte Excellenz seyn. Man hat gut sagen, daß dieß nicht viel bedeute: hat es doch noch jetzt seine Wirkung, nachdem dieß Wesen längst veraltet ist: um wie viel mehr damals als man es aufbrachte. Aber auch in jeder an- dern Hinsicht wurden die Zustände strenger, fester, abge- schlossener; mit der heiteren Unbefangenheit der früheren Verhältnisse, der Unmittelbarkeit der gegenseitigen Berüh- rungen war es vorüber.
Liege es woran es wolle, sey es sogar eine in der Natur der Seele begründete Veränderung, so viel ist of- fenbar, daß in allen Hervorbringungen schon gegen die Mitte des Jahrhunderts hin, ein anderer Geist weht, daß auch die Gesellschaft, wie sie lebt, und wesentlich ist, andere Bedürfnisse hat.
Von allen Erscheinungen, die diesen Wechsel bezeich- nen, vielleicht die auffallendste ist die Umarbeitung, welche Berni mit dem Orlando inamorato des Bojardo vorge-
Veraͤnderung der geiſtigen Richtung.
Einmal ging das republikaniſche ſich ſelbſt uͤberlaſſene Italien, auf deſſen eigenthuͤmlichen Zuſtaͤnden die fruͤheren Entwickelungen, auch des Geiſtes ſelbſt beruht hatten, nun- mehr zu Grunde. Die ganze Freiheit und Naivetaͤt des geiſtigen Zuſammenſeyns verſchwand. Man bemerke, daß ſich die Titulaturen einfuͤhrten. Schon um das Jahr 1520 ſahen Einige mit Verdruß, daß Jedermann Herr genannt ſeyn wollte: man ſchrieb es dem Einfluß der Spanier zu. Um das Jahr 1550 verdraͤngen bereits ſchwerfaͤllige Eh- renbezeigungen die einfache Anrede in Brief und Geſpraͤch. Gegen das Ende des Jahrhunderts nahmen die Titel Mar- cheſe und Duca uͤberhand; Jedermann wollte ſie haben; alles wollte Excellenz ſeyn. Man hat gut ſagen, daß dieß nicht viel bedeute: hat es doch noch jetzt ſeine Wirkung, nachdem dieß Weſen laͤngſt veraltet iſt: um wie viel mehr damals als man es aufbrachte. Aber auch in jeder an- dern Hinſicht wurden die Zuſtaͤnde ſtrenger, feſter, abge- ſchloſſener; mit der heiteren Unbefangenheit der fruͤheren Verhaͤltniſſe, der Unmittelbarkeit der gegenſeitigen Beruͤh- rungen war es voruͤber.
Liege es woran es wolle, ſey es ſogar eine in der Natur der Seele begruͤndete Veraͤnderung, ſo viel iſt of- fenbar, daß in allen Hervorbringungen ſchon gegen die Mitte des Jahrhunderts hin, ein anderer Geiſt weht, daß auch die Geſellſchaft, wie ſie lebt, und weſentlich iſt, andere Beduͤrfniſſe hat.
Von allen Erſcheinungen, die dieſen Wechſel bezeich- nen, vielleicht die auffallendſte iſt die Umarbeitung, welche Berni mit dem Orlando inamorato des Bojardo vorge-
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Veraͤnderung der geiſtigen Richtung.
Einmal ging das republikaniſche ſich ſelbſt uͤberlaſſene
Italien, auf deſſen eigenthuͤmlichen Zuſtaͤnden die fruͤheren
Entwickelungen, auch des Geiſtes ſelbſt beruht hatten, nun-
mehr zu Grunde. Die ganze Freiheit und Naivetaͤt des
geiſtigen Zuſammenſeyns verſchwand. Man bemerke, daß
ſich die Titulaturen einfuͤhrten. Schon um das Jahr 1520
ſahen Einige mit Verdruß, daß Jedermann Herr genannt
ſeyn wollte: man ſchrieb es dem Einfluß der Spanier zu.
Um das Jahr 1550 verdraͤngen bereits ſchwerfaͤllige Eh-
renbezeigungen die einfache Anrede in Brief und Geſpraͤch.
Gegen das Ende des Jahrhunderts nahmen die Titel Mar-
cheſe und Duca uͤberhand; Jedermann wollte ſie haben;
alles wollte Excellenz ſeyn. Man hat gut ſagen, daß dieß
nicht viel bedeute: hat es doch noch jetzt ſeine Wirkung,
nachdem dieß Weſen laͤngſt veraltet iſt: um wie viel mehr
damals als man es aufbrachte. Aber auch in jeder an-
dern Hinſicht wurden die Zuſtaͤnde ſtrenger, feſter, abge-
ſchloſſener; mit der heiteren Unbefangenheit der fruͤheren
Verhaͤltniſſe, der Unmittelbarkeit der gegenſeitigen Beruͤh-
rungen war es voruͤber.
Liege es woran es wolle, ſey es ſogar eine in der
Natur der Seele begruͤndete Veraͤnderung, ſo viel iſt of-
fenbar, daß in allen Hervorbringungen ſchon gegen die Mitte
des Jahrhunderts hin, ein anderer Geiſt weht, daß auch
die Geſellſchaft, wie ſie lebt, und weſentlich iſt, andere
Beduͤrfniſſe hat.
Von allen Erſcheinungen, die dieſen Wechſel bezeich-
nen, vielleicht die auffallendſte iſt die Umarbeitung, welche
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Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 485. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste01_1834/511>, abgerufen am 27.11.2024.
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