Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 1. Berlin, 1834.Kap. I. Epochen des Papstthums. Andacht der Anschauung Gottes zu widmen; in Erwartungdes Todes verzichtet sie schon auf jeden Genuß, den das Leben darbietet; -- wie bemüht sie sich, wenn sie unter den Menschen weilt, jugendlich warm, das Geheimniß, das sie ahndet, die Idee, in der sie lebt, in heitern Formen auszusprechen; -- aber gleich daneben finden wir eine an- dre, welche die Inquisition erdacht hat, und die entsetzliche Gerechtigkeit des Schwertes gegen die Andersgläubigen aus- übt; "keines Geschlechtes", sagt der Anführer des Zuges wider die Albigenser, "keines Alters, keines Ranges haben wir ver- schont, sondern Jedermann mit der Schärfe des Schwertes geschlagen". Zuweilen erscheinen Beide in dem nemlichen Moment. Bei dem Anblick von Jerusalem stiegen die Kreuzfahrer von den Pferden, und entblößten ihre Füße, um als wahre Pilger an den heiligen Mauern anzulangen; in dem heißesten Kampfe meinten sie die Hülfe der Heiligen und Engel sichtbar zu erfahren. Kaum aber hatten sie die Mauern überstiegen, so stürzten sie fort zu Raub und Blut; auf der Stelle des salomonischen Tempels erwürg- ten sie viele Tausend Saracenen; die Juden verbrannten sie in ihrer Synagoge; die heiligen Schwellen, an denen sie anzubeten gekommen waren, befleckten sie erst mit Blut. -- Ein Widerspruch, der jenen religiösen Staat durchaus erfüllt und sein Wesen bildet. Ge-
Kap. I. Epochen des Papſtthums. Andacht der Anſchauung Gottes zu widmen; in Erwartungdes Todes verzichtet ſie ſchon auf jeden Genuß, den das Leben darbietet; — wie bemuͤht ſie ſich, wenn ſie unter den Menſchen weilt, jugendlich warm, das Geheimniß, das ſie ahndet, die Idee, in der ſie lebt, in heitern Formen auszuſprechen; — aber gleich daneben finden wir eine an- dre, welche die Inquiſition erdacht hat, und die entſetzliche Gerechtigkeit des Schwertes gegen die Andersglaͤubigen aus- uͤbt; „keines Geſchlechtes“, ſagt der Anfuͤhrer des Zuges wider die Albigenſer, „keines Alters, keines Ranges haben wir ver- ſchont, ſondern Jedermann mit der Schaͤrfe des Schwertes geſchlagen“. Zuweilen erſcheinen Beide in dem nemlichen Moment. Bei dem Anblick von Jeruſalem ſtiegen die Kreuzfahrer von den Pferden, und entbloͤßten ihre Fuͤße, um als wahre Pilger an den heiligen Mauern anzulangen; in dem heißeſten Kampfe meinten ſie die Huͤlfe der Heiligen und Engel ſichtbar zu erfahren. Kaum aber hatten ſie die Mauern uͤberſtiegen, ſo ſtuͤrzten ſie fort zu Raub und Blut; auf der Stelle des ſalomoniſchen Tempels erwuͤrg- ten ſie viele Tauſend Saracenen; die Juden verbrannten ſie in ihrer Synagoge; die heiligen Schwellen, an denen ſie anzubeten gekommen waren, befleckten ſie erſt mit Blut. — Ein Widerſpruch, der jenen religioͤſen Staat durchaus erfuͤllt und ſein Weſen bildet. Ge-
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Kap. I. Epochen des Papſtthums.
Andacht der Anſchauung Gottes zu widmen; in Erwartung
des Todes verzichtet ſie ſchon auf jeden Genuß, den das
Leben darbietet; — wie bemuͤht ſie ſich, wenn ſie unter
den Menſchen weilt, jugendlich warm, das Geheimniß, das
ſie ahndet, die Idee, in der ſie lebt, in heitern Formen
auszuſprechen; — aber gleich daneben finden wir eine an-
dre, welche die Inquiſition erdacht hat, und die entſetzliche
Gerechtigkeit des Schwertes gegen die Andersglaͤubigen aus-
uͤbt; „keines Geſchlechtes“, ſagt der Anfuͤhrer des Zuges wider
die Albigenſer, „keines Alters, keines Ranges haben wir ver-
ſchont, ſondern Jedermann mit der Schaͤrfe des Schwertes
geſchlagen“. Zuweilen erſcheinen Beide in dem nemlichen
Moment. Bei dem Anblick von Jeruſalem ſtiegen die
Kreuzfahrer von den Pferden, und entbloͤßten ihre Fuͤße, um
als wahre Pilger an den heiligen Mauern anzulangen; in
dem heißeſten Kampfe meinten ſie die Huͤlfe der Heiligen
und Engel ſichtbar zu erfahren. Kaum aber hatten ſie die
Mauern uͤberſtiegen, ſo ſtuͤrzten ſie fort zu Raub und
Blut; auf der Stelle des ſalomoniſchen Tempels erwuͤrg-
ten ſie viele Tauſend Saracenen; die Juden verbrannten
ſie in ihrer Synagoge; die heiligen Schwellen, an denen
ſie anzubeten gekommen waren, befleckten ſie erſt mit Blut.
— Ein Widerſpruch, der jenen religioͤſen Staat durchaus
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