Dinge, diesen Verfall des religiösen Institutes beklagen, so hätte doch ohne denselben der menschliche Geist eine sei- ner eigenthümlichsten, folgenreichsten Richtungen schwerlich ergreifen können.
Läugnen dürfen wir wohl nicht, daß so sinnreich, man- nichfaltig und tief die Hervorbringungen des Mittelalters auch sind, ihnen doch eine phantastische und der Realität der Dinge nicht entsprechende Weltansicht zu Grunde liegt. Hätte die Kirche in voller, bewußter Kraft bestanden, so würde sie dieselbe streng festgehalten haben. Allein wie sie nun war, so ließ sie dem Geiste die Freiheit einer neuen, nach einer ganz andern Seite hingerichteten Entwickelung.
Man darf sagen, es war ein enge begrenzter Horizont, der während jener Jahrhunderte die Geister mit Nothwen- digkeit in seinem Umkreise beschlossen hielt; die erneuerte Kenntniß des Alterthums bewirkte, daß er durchbrochen, daß eine höhere, umfassendere, größere Aussicht eröffnet ward.
Nicht als hätten die mittleren Jahrhunderte die Alten nicht gekannt. Die Begierde, mit der die Araber, von denen so viel wissenschaftliches Bestreben hernach in das Abendland überging, die Werke der Alten zusammenbrach- ten und sich aneigneten, wird dem Eifer, mit dem die Italiener des funfzehnten Jahrhunderts das nehmliche tha- ten, nicht viel nachstehen, und Calif Mamun läßt sich in dieser Hinsicht wohl mit Cosimo Medici vergleichen. Be- merken wir aber den Unterschied. So unbedeutend er schei- nen möchte, so ist er, däucht mich, entscheidend. Die Ara- ber übersetzten: sie vernichteten oft die Originale gradezu;
Geiſtige Richtung.
Dinge, dieſen Verfall des religioͤſen Inſtitutes beklagen, ſo haͤtte doch ohne denſelben der menſchliche Geiſt eine ſei- ner eigenthuͤmlichſten, folgenreichſten Richtungen ſchwerlich ergreifen koͤnnen.
Laͤugnen duͤrfen wir wohl nicht, daß ſo ſinnreich, man- nichfaltig und tief die Hervorbringungen des Mittelalters auch ſind, ihnen doch eine phantaſtiſche und der Realitaͤt der Dinge nicht entſprechende Weltanſicht zu Grunde liegt. Haͤtte die Kirche in voller, bewußter Kraft beſtanden, ſo wuͤrde ſie dieſelbe ſtreng feſtgehalten haben. Allein wie ſie nun war, ſo ließ ſie dem Geiſte die Freiheit einer neuen, nach einer ganz andern Seite hingerichteten Entwickelung.
Man darf ſagen, es war ein enge begrenzter Horizont, der waͤhrend jener Jahrhunderte die Geiſter mit Nothwen- digkeit in ſeinem Umkreiſe beſchloſſen hielt; die erneuerte Kenntniß des Alterthums bewirkte, daß er durchbrochen, daß eine hoͤhere, umfaſſendere, groͤßere Ausſicht eroͤffnet ward.
Nicht als haͤtten die mittleren Jahrhunderte die Alten nicht gekannt. Die Begierde, mit der die Araber, von denen ſo viel wiſſenſchaftliches Beſtreben hernach in das Abendland uͤberging, die Werke der Alten zuſammenbrach- ten und ſich aneigneten, wird dem Eifer, mit dem die Italiener des funfzehnten Jahrhunderts das nehmliche tha- ten, nicht viel nachſtehen, und Calif Mamun laͤßt ſich in dieſer Hinſicht wohl mit Coſimo Medici vergleichen. Be- merken wir aber den Unterſchied. So unbedeutend er ſchei- nen moͤchte, ſo iſt er, daͤucht mich, entſcheidend. Die Ara- ber uͤberſetzten: ſie vernichteten oft die Originale gradezu;
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Geiſtige Richtung.
Dinge, dieſen Verfall des religioͤſen Inſtitutes beklagen,
ſo haͤtte doch ohne denſelben der menſchliche Geiſt eine ſei-
ner eigenthuͤmlichſten, folgenreichſten Richtungen ſchwerlich
ergreifen koͤnnen.
Laͤugnen duͤrfen wir wohl nicht, daß ſo ſinnreich, man-
nichfaltig und tief die Hervorbringungen des Mittelalters
auch ſind, ihnen doch eine phantaſtiſche und der Realitaͤt
der Dinge nicht entſprechende Weltanſicht zu Grunde liegt.
Haͤtte die Kirche in voller, bewußter Kraft beſtanden, ſo
wuͤrde ſie dieſelbe ſtreng feſtgehalten haben. Allein wie ſie
nun war, ſo ließ ſie dem Geiſte die Freiheit einer neuen,
nach einer ganz andern Seite hingerichteten Entwickelung.
Man darf ſagen, es war ein enge begrenzter Horizont,
der waͤhrend jener Jahrhunderte die Geiſter mit Nothwen-
digkeit in ſeinem Umkreiſe beſchloſſen hielt; die erneuerte
Kenntniß des Alterthums bewirkte, daß er durchbrochen,
daß eine hoͤhere, umfaſſendere, groͤßere Ausſicht eroͤffnet
ward.
Nicht als haͤtten die mittleren Jahrhunderte die Alten
nicht gekannt. Die Begierde, mit der die Araber, von
denen ſo viel wiſſenſchaftliches Beſtreben hernach in das
Abendland uͤberging, die Werke der Alten zuſammenbrach-
ten und ſich aneigneten, wird dem Eifer, mit dem die
Italiener des funfzehnten Jahrhunderts das nehmliche tha-
ten, nicht viel nachſtehen, und Calif Mamun laͤßt ſich in
dieſer Hinſicht wohl mit Coſimo Medici vergleichen. Be-
merken wir aber den Unterſchied. So unbedeutend er ſchei-
nen moͤchte, ſo iſt er, daͤucht mich, entſcheidend. Die Ara-
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Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste01_1834/87>, abgerufen am 04.12.2024.
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