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Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 2. Berlin, 1836.

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Wie hatte die geistige Entwickelung der Welt doch so
durchaus einen andern Gang genommen, als den man zu
Anfang des Jahrhunderts hätte erwarten sollen.

Damals lösten sich die kirchlichen Bande auf: die Na-
tionen suchten sich von dem gemeinschaftlichen geistlichen
Oberhaupte abzusondern: das Papstthum selbst vergaß bei-
nahe seine hierarchische Bedeutung: in Literatur und Kunst
walteten profane Bestrebungen vor: man trug die Grund-
sätze einer heidnischen Moral unverholen zur Schau.

Jetzt wie ganz anders! Im Namen der Religion
wurden Kriege angefangen, Eroberungen gemacht, Staaten
umgewälzt! Es hat nie eine Zeit gegeben, in welcher die
Theologen mächtiger gewesen wären, als das Ende des sechs-
zehnten Jahrhunderts. Sie saßen in den fürstlichen Rä-
then, und verhandelten die politischen Materien vor allem
Volk auf den Kanzeln: sie beherrschten Schule, Gelehrsam-
keit und im Ganzen die Literatur: der Beichtstuhl gab ih-
nen Gelegenheit die geheime Zwiesprache der Seele mit sich
selbst zu belauschen und in allen Zweifeln des Privatlebens
den Ausschlag zu geben. Man darf vielleicht behaupten,

Päpste* 12

Wie hatte die geiſtige Entwickelung der Welt doch ſo
durchaus einen andern Gang genommen, als den man zu
Anfang des Jahrhunderts haͤtte erwarten ſollen.

Damals loͤſten ſich die kirchlichen Bande auf: die Na-
tionen ſuchten ſich von dem gemeinſchaftlichen geiſtlichen
Oberhaupte abzuſondern: das Papſtthum ſelbſt vergaß bei-
nahe ſeine hierarchiſche Bedeutung: in Literatur und Kunſt
walteten profane Beſtrebungen vor: man trug die Grund-
ſaͤtze einer heidniſchen Moral unverholen zur Schau.

Jetzt wie ganz anders! Im Namen der Religion
wurden Kriege angefangen, Eroberungen gemacht, Staaten
umgewaͤlzt! Es hat nie eine Zeit gegeben, in welcher die
Theologen maͤchtiger geweſen waͤren, als das Ende des ſechs-
zehnten Jahrhunderts. Sie ſaßen in den fuͤrſtlichen Raͤ-
then, und verhandelten die politiſchen Materien vor allem
Volk auf den Kanzeln: ſie beherrſchten Schule, Gelehrſam-
keit und im Ganzen die Literatur: der Beichtſtuhl gab ih-
nen Gelegenheit die geheime Zwieſprache der Seele mit ſich
ſelbſt zu belauſchen und in allen Zweifeln des Privatlebens
den Ausſchlag zu geben. Man darf vielleicht behaupten,

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[[177]/0189] Wie hatte die geiſtige Entwickelung der Welt doch ſo durchaus einen andern Gang genommen, als den man zu Anfang des Jahrhunderts haͤtte erwarten ſollen. Damals loͤſten ſich die kirchlichen Bande auf: die Na- tionen ſuchten ſich von dem gemeinſchaftlichen geiſtlichen Oberhaupte abzuſondern: das Papſtthum ſelbſt vergaß bei- nahe ſeine hierarchiſche Bedeutung: in Literatur und Kunſt walteten profane Beſtrebungen vor: man trug die Grund- ſaͤtze einer heidniſchen Moral unverholen zur Schau. Jetzt wie ganz anders! Im Namen der Religion wurden Kriege angefangen, Eroberungen gemacht, Staaten umgewaͤlzt! Es hat nie eine Zeit gegeben, in welcher die Theologen maͤchtiger geweſen waͤren, als das Ende des ſechs- zehnten Jahrhunderts. Sie ſaßen in den fuͤrſtlichen Raͤ- then, und verhandelten die politiſchen Materien vor allem Volk auf den Kanzeln: ſie beherrſchten Schule, Gelehrſam- keit und im Ganzen die Literatur: der Beichtſtuhl gab ih- nen Gelegenheit die geheime Zwieſprache der Seele mit ſich ſelbſt zu belauſchen und in allen Zweifeln des Privatlebens den Ausſchlag zu geben. Man darf vielleicht behaupten, Päpſte* 12

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 2. Berlin, 1836, S. [177]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste02_1836/189>, abgerufen am 24.11.2024.