von Norden nach Süden hatte der Protestantismus ein unzweifelhaftes Uebergewicht. Der Adel war ihm von al- lem Anfang zugethan; der Beamtenstand, schon damals zahlreich und angesehen, war in der neuen Lehre erzogen; das gemeine Volk wollte von gewissen Artikeln, z. B. von dem Fegefeuer, gewissen Ceremonien, z. B. den Wallfahr- ten, nichts mehr hören; kein Kloster war mehr in Stand zu halten: Niemand wagte sich mehr mit Heiligen-Reli- quien hervor. Ein venezianischer Gesandter rechnet im Jahre 1558, daß in Deutschland nur noch der zehnte Theil der Einwohner dem alten Glauben treu geblieben.
Kein Wunder, wenn die Verluste des Katholicismus in Besitz und Macht noch immer fortgingen. In den mei- sten Stiftern waren die Domherrn entweder der verbesserten Lehre zugethan, oder lau und gleichgültig; was hätte sie abhalten können, wenn es sonst vortheilhaft schien, bei vor- kommender Gelegenheit Protestanten zu Bischöfen zu postu- liren? Zwar verordnete der Religionsfriede, daß ein geist- licher Fürst Amt und Einkommen verlieren solle, wenn er den alten Glauben verlasse, aber man glaubte, daß dadurch ein evangelisch gewordenes Capitel keinesweges gehindert werde, sich auch einen evangelischen Bischof zu wählen: -- genug, wenn man die Stifter nur nicht erblich mache. So geschah es, daß ein brandenburgischer Prinz das Erzstift Magdeburg, ein lauenburgischer Bremen, ein braunschwei- gischer Halberstadt empfing. Auch die Bisthümer Lübek, Verden, Minden, die Abtei Quedlinburg geriethen in pro- testantische Hände 1).
1) Worüber auch meine hist. pol. Zeitschrift I, II, 269 u. f.
Buch V. Gegenreformationen.
von Norden nach Suͤden hatte der Proteſtantismus ein unzweifelhaftes Uebergewicht. Der Adel war ihm von al- lem Anfang zugethan; der Beamtenſtand, ſchon damals zahlreich und angeſehen, war in der neuen Lehre erzogen; das gemeine Volk wollte von gewiſſen Artikeln, z. B. von dem Fegefeuer, gewiſſen Ceremonien, z. B. den Wallfahr- ten, nichts mehr hoͤren; kein Kloſter war mehr in Stand zu halten: Niemand wagte ſich mehr mit Heiligen-Reli- quien hervor. Ein venezianiſcher Geſandter rechnet im Jahre 1558, daß in Deutſchland nur noch der zehnte Theil der Einwohner dem alten Glauben treu geblieben.
Kein Wunder, wenn die Verluſte des Katholicismus in Beſitz und Macht noch immer fortgingen. In den mei- ſten Stiftern waren die Domherrn entweder der verbeſſerten Lehre zugethan, oder lau und gleichguͤltig; was haͤtte ſie abhalten koͤnnen, wenn es ſonſt vortheilhaft ſchien, bei vor- kommender Gelegenheit Proteſtanten zu Biſchoͤfen zu poſtu- liren? Zwar verordnete der Religionsfriede, daß ein geiſt- licher Fuͤrſt Amt und Einkommen verlieren ſolle, wenn er den alten Glauben verlaſſe, aber man glaubte, daß dadurch ein evangeliſch gewordenes Capitel keinesweges gehindert werde, ſich auch einen evangeliſchen Biſchof zu waͤhlen: — genug, wenn man die Stifter nur nicht erblich mache. So geſchah es, daß ein brandenburgiſcher Prinz das Erzſtift Magdeburg, ein lauenburgiſcher Bremen, ein braunſchwei- giſcher Halberſtadt empfing. Auch die Bisthuͤmer Luͤbek, Verden, Minden, die Abtei Quedlinburg geriethen in pro- teſtantiſche Haͤnde 1).
1) Woruͤber auch meine hiſt. pol. Zeitſchrift I, II, 269 u. f.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0024"n="12"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Buch <hirendition="#aq">V.</hi> Gegenreformationen</hi>.</fw><lb/>
von Norden nach Suͤden hatte der Proteſtantismus ein<lb/>
unzweifelhaftes Uebergewicht. Der Adel war ihm von al-<lb/>
lem Anfang zugethan; der Beamtenſtand, ſchon damals<lb/>
zahlreich und angeſehen, war in der neuen Lehre erzogen;<lb/>
das gemeine Volk wollte von gewiſſen Artikeln, z. B. von<lb/>
dem Fegefeuer, gewiſſen Ceremonien, z. B. den Wallfahr-<lb/>
ten, nichts mehr hoͤren; kein Kloſter war mehr in Stand<lb/>
zu halten: Niemand wagte ſich mehr mit Heiligen-Reli-<lb/>
quien hervor. Ein venezianiſcher Geſandter rechnet im<lb/>
Jahre 1558, daß in Deutſchland nur noch der zehnte<lb/>
Theil der Einwohner dem alten Glauben treu geblieben.</p><lb/><p>Kein Wunder, wenn die Verluſte des Katholicismus<lb/>
in Beſitz und Macht noch immer fortgingen. In den mei-<lb/>ſten Stiftern waren die Domherrn entweder der verbeſſerten<lb/>
Lehre zugethan, oder lau und gleichguͤltig; was haͤtte ſie<lb/>
abhalten koͤnnen, wenn es ſonſt vortheilhaft ſchien, bei vor-<lb/>
kommender Gelegenheit Proteſtanten zu Biſchoͤfen zu poſtu-<lb/>
liren? Zwar verordnete der Religionsfriede, daß ein geiſt-<lb/>
licher Fuͤrſt Amt und Einkommen verlieren ſolle, wenn er<lb/>
den alten Glauben verlaſſe, aber man glaubte, daß dadurch<lb/>
ein evangeliſch gewordenes Capitel keinesweges gehindert<lb/>
werde, ſich auch einen evangeliſchen Biſchof zu waͤhlen: —<lb/>
genug, wenn man die Stifter nur nicht erblich mache. So<lb/>
geſchah es, daß ein brandenburgiſcher Prinz das Erzſtift<lb/>
Magdeburg, ein lauenburgiſcher Bremen, ein braunſchwei-<lb/>
giſcher Halberſtadt empfing. Auch die Bisthuͤmer Luͤbek,<lb/>
Verden, Minden, die Abtei Quedlinburg geriethen in pro-<lb/>
teſtantiſche Haͤnde <noteplace="foot"n="1)">Woruͤber auch meine hiſt. pol. Zeitſchrift <hirendition="#aq">I, II,</hi> 269 u. f.</note>.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[12/0024]
Buch V. Gegenreformationen.
von Norden nach Suͤden hatte der Proteſtantismus ein
unzweifelhaftes Uebergewicht. Der Adel war ihm von al-
lem Anfang zugethan; der Beamtenſtand, ſchon damals
zahlreich und angeſehen, war in der neuen Lehre erzogen;
das gemeine Volk wollte von gewiſſen Artikeln, z. B. von
dem Fegefeuer, gewiſſen Ceremonien, z. B. den Wallfahr-
ten, nichts mehr hoͤren; kein Kloſter war mehr in Stand
zu halten: Niemand wagte ſich mehr mit Heiligen-Reli-
quien hervor. Ein venezianiſcher Geſandter rechnet im
Jahre 1558, daß in Deutſchland nur noch der zehnte
Theil der Einwohner dem alten Glauben treu geblieben.
Kein Wunder, wenn die Verluſte des Katholicismus
in Beſitz und Macht noch immer fortgingen. In den mei-
ſten Stiftern waren die Domherrn entweder der verbeſſerten
Lehre zugethan, oder lau und gleichguͤltig; was haͤtte ſie
abhalten koͤnnen, wenn es ſonſt vortheilhaft ſchien, bei vor-
kommender Gelegenheit Proteſtanten zu Biſchoͤfen zu poſtu-
liren? Zwar verordnete der Religionsfriede, daß ein geiſt-
licher Fuͤrſt Amt und Einkommen verlieren ſolle, wenn er
den alten Glauben verlaſſe, aber man glaubte, daß dadurch
ein evangeliſch gewordenes Capitel keinesweges gehindert
werde, ſich auch einen evangeliſchen Biſchof zu waͤhlen: —
genug, wenn man die Stifter nur nicht erblich mache. So
geſchah es, daß ein brandenburgiſcher Prinz das Erzſtift
Magdeburg, ein lauenburgiſcher Bremen, ein braunſchwei-
giſcher Halberſtadt empfing. Auch die Bisthuͤmer Luͤbek,
Verden, Minden, die Abtei Quedlinburg geriethen in pro-
teſtantiſche Haͤnde 1).
1) Woruͤber auch meine hiſt. pol. Zeitſchrift I, II, 269 u. f.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 2. Berlin, 1836, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste02_1836/24>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.