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Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 3. Berlin, 1836.

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Buch VIII. Die Päpste um d. Mitte d. 17. Jahrh.
die sie bei Portroyal einrichteten, gab ihnen Anlaß Schul-
bücher zu verfassen, über alte und neue Sprachen, Logik,
Geometrie, welche aus frischer Auffassung hervorgegangen
neue Methoden an die Hand gaben, deren Verdienst von
Jedermann anerkannt ward. Dazwischen traten dann an-
dere Arbeiten hervor, Streitschriften von einer Schärfe und
Präcision, welche die Feinde geistig vernichteten: Werke tie-
ferer Frömmigkeit, wie die Heures de Portroyal, die mit
lebhafter Begierde empfangen wurden und nach Verlauf ei-
nes Jahrhunderts noch so neu und gesucht waren wie den
ersten Tag. Geister von so eminenter Wissenschaftlichkeit
wie Pascal, Koryphäen der französischen Poesie wie Ra-
cine gingen aus ihrer Mitte hervor. Es ist nicht zu er-
messen, welchen Einfluß diese Vereinigung geistreicher, von
einer großen Intention erfüllter Männer, die ganz von
selbst im Umgang mit einander einen neuen Ton des Aus-
drucks, der Mittheilung entwickelten, auf die Literatur von
Frankreich und von Europa überhaupt ausgeübt hat 1).

Wie hätte nun aber der Geist, der alle diesen Hervor-
bringungen zu Grunde lag, sich nicht durch sie in der Na-
tion Bahn machen sollen? Aller Orten erhoben sich ihm
Anhänger. Besonders schlossen sich ihnen die Pfarrer an,
denen die jesuitische Beichte schon lange verhaßt gewesen
war. Zuweilen, z. B. unter dem Cardinal Retz, schien es
wohl, als würden sie auch in die höhere Geistlichkeit ein-
dringen: es wurden ihnen wichtige Stellen zu Theil. Schon

fin-
1) Notice de Petitot vor den Memoiren von Andilly I, übri-
gens eine zur Verwunderung parteiische Arbeit.

Buch VIII. Die Paͤpſte um d. Mitte d. 17. Jahrh.
die ſie bei Portroyal einrichteten, gab ihnen Anlaß Schul-
buͤcher zu verfaſſen, uͤber alte und neue Sprachen, Logik,
Geometrie, welche aus friſcher Auffaſſung hervorgegangen
neue Methoden an die Hand gaben, deren Verdienſt von
Jedermann anerkannt ward. Dazwiſchen traten dann an-
dere Arbeiten hervor, Streitſchriften von einer Schaͤrfe und
Praͤciſion, welche die Feinde geiſtig vernichteten: Werke tie-
ferer Froͤmmigkeit, wie die Heures de Portroyal, die mit
lebhafter Begierde empfangen wurden und nach Verlauf ei-
nes Jahrhunderts noch ſo neu und geſucht waren wie den
erſten Tag. Geiſter von ſo eminenter Wiſſenſchaftlichkeit
wie Pascal, Koryphaͤen der franzoͤſiſchen Poeſie wie Ra-
cine gingen aus ihrer Mitte hervor. Es iſt nicht zu er-
meſſen, welchen Einfluß dieſe Vereinigung geiſtreicher, von
einer großen Intention erfuͤllter Maͤnner, die ganz von
ſelbſt im Umgang mit einander einen neuen Ton des Aus-
drucks, der Mittheilung entwickelten, auf die Literatur von
Frankreich und von Europa uͤberhaupt ausgeuͤbt hat 1).

Wie haͤtte nun aber der Geiſt, der alle dieſen Hervor-
bringungen zu Grunde lag, ſich nicht durch ſie in der Na-
tion Bahn machen ſollen? Aller Orten erhoben ſich ihm
Anhaͤnger. Beſonders ſchloſſen ſich ihnen die Pfarrer an,
denen die jeſuitiſche Beichte ſchon lange verhaßt geweſen
war. Zuweilen, z. B. unter dem Cardinal Retz, ſchien es
wohl, als wuͤrden ſie auch in die hoͤhere Geiſtlichkeit ein-
dringen: es wurden ihnen wichtige Stellen zu Theil. Schon

fin-
1) Notice de Petitot vor den Memoiren von Andilly I, uͤbri-
gens eine zur Verwunderung parteiiſche Arbeit.
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[144/0156] Buch VIII. Die Paͤpſte um d. Mitte d. 17. Jahrh. die ſie bei Portroyal einrichteten, gab ihnen Anlaß Schul- buͤcher zu verfaſſen, uͤber alte und neue Sprachen, Logik, Geometrie, welche aus friſcher Auffaſſung hervorgegangen neue Methoden an die Hand gaben, deren Verdienſt von Jedermann anerkannt ward. Dazwiſchen traten dann an- dere Arbeiten hervor, Streitſchriften von einer Schaͤrfe und Praͤciſion, welche die Feinde geiſtig vernichteten: Werke tie- ferer Froͤmmigkeit, wie die Heures de Portroyal, die mit lebhafter Begierde empfangen wurden und nach Verlauf ei- nes Jahrhunderts noch ſo neu und geſucht waren wie den erſten Tag. Geiſter von ſo eminenter Wiſſenſchaftlichkeit wie Pascal, Koryphaͤen der franzoͤſiſchen Poeſie wie Ra- cine gingen aus ihrer Mitte hervor. Es iſt nicht zu er- meſſen, welchen Einfluß dieſe Vereinigung geiſtreicher, von einer großen Intention erfuͤllter Maͤnner, die ganz von ſelbſt im Umgang mit einander einen neuen Ton des Aus- drucks, der Mittheilung entwickelten, auf die Literatur von Frankreich und von Europa uͤberhaupt ausgeuͤbt hat 1). Wie haͤtte nun aber der Geiſt, der alle dieſen Hervor- bringungen zu Grunde lag, ſich nicht durch ſie in der Na- tion Bahn machen ſollen? Aller Orten erhoben ſich ihm Anhaͤnger. Beſonders ſchloſſen ſich ihnen die Pfarrer an, denen die jeſuitiſche Beichte ſchon lange verhaßt geweſen war. Zuweilen, z. B. unter dem Cardinal Retz, ſchien es wohl, als wuͤrden ſie auch in die hoͤhere Geiſtlichkeit ein- dringen: es wurden ihnen wichtige Stellen zu Theil. Schon fin- 1) Notice de Petitot vor den Memoiren von Andilly I, uͤbri- gens eine zur Verwunderung parteiiſche Arbeit.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 3. Berlin, 1836, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste03_1836/156>, abgerufen am 24.11.2024.