Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 3. Berlin, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite
Buch VIII. Die Päpste um d. Mitte d. 17. Jahrh.

In seinem dritten Buche über den Stand der Unschuld
kommt Jansenius auf einen Satz des Augustin, von dem
er nicht leugnen kann, daß er vom römischen Hofe ver-
dammt worden sey. Er nimmt einen Augenblick Anstand,
wem er folgen solle, dem Kirchenvater oder dem Papste.
Nach einigem Bedenken aber bemerkt er 1), der römische
Stuhl verdamme zuweilen eine Lehre bloß um des Friedens
willen, ohne sie darum gleich für falsch erklären zu wollen:
er entscheidet sich schlechtweg für den augustinianischen
Lehrsatz.

Natürlich machten sich seine Gegner diese Stelle zu
Nutze: sie erklärten sie für einen Angriff auf die päpstliche
Infallibilität: gleich Urban VIII. ward vermocht sein Miß-
fallen über ein Werk auszusprechen, welches zur Verrin-
gerung des apostolischen Ansehens Sätze enthalte die schon
von frühern Päpsten verdammt worden seyen.

Mit dieser Erklärung richtete er jedoch noch wenig
aus. Die jansenistischen Lehren griffen nichts desto minder
gewaltig um sich: in Frankreich trat eine allgemeine Ent-
zweiung ein. Die Gegner von Portroyal hielten es für
nothwendig eine andere bestimmtere Verdammung von dem
römischen Stuhle auszubringen. Zu dem Ende faßten sie
die Grundlehren des Jansenius, wie sie dieselben verstan-
den, in fünf Sätze zusammen, und forderten den Papst In-

1) De statu naturae purae III, c. XXII, p. 403. Quodsi,
fügt er hinzu, vel tunc ostendi potuisset hanc aliasque nonnul-
las propositiones ab Augustino doctorum omnium coryphaeo
traditas, nunquam, arbitror, hujusmodi decretum ab apostolica
sede permanasset.
Buch VIII. Die Paͤpſte um d. Mitte d. 17. Jahrh.

In ſeinem dritten Buche uͤber den Stand der Unſchuld
kommt Janſenius auf einen Satz des Auguſtin, von dem
er nicht leugnen kann, daß er vom roͤmiſchen Hofe ver-
dammt worden ſey. Er nimmt einen Augenblick Anſtand,
wem er folgen ſolle, dem Kirchenvater oder dem Papſte.
Nach einigem Bedenken aber bemerkt er 1), der roͤmiſche
Stuhl verdamme zuweilen eine Lehre bloß um des Friedens
willen, ohne ſie darum gleich fuͤr falſch erklaͤren zu wollen:
er entſcheidet ſich ſchlechtweg fuͤr den auguſtinianiſchen
Lehrſatz.

Natuͤrlich machten ſich ſeine Gegner dieſe Stelle zu
Nutze: ſie erklaͤrten ſie fuͤr einen Angriff auf die paͤpſtliche
Infallibilitaͤt: gleich Urban VIII. ward vermocht ſein Miß-
fallen uͤber ein Werk auszuſprechen, welches zur Verrin-
gerung des apoſtoliſchen Anſehens Saͤtze enthalte die ſchon
von fruͤhern Paͤpſten verdammt worden ſeyen.

Mit dieſer Erklaͤrung richtete er jedoch noch wenig
aus. Die janſeniſtiſchen Lehren griffen nichts deſto minder
gewaltig um ſich: in Frankreich trat eine allgemeine Ent-
zweiung ein. Die Gegner von Portroyal hielten es fuͤr
nothwendig eine andere beſtimmtere Verdammung von dem
roͤmiſchen Stuhle auszubringen. Zu dem Ende faßten ſie
die Grundlehren des Janſenius, wie ſie dieſelben verſtan-
den, in fuͤnf Saͤtze zuſammen, und forderten den Papſt In-

1) De statu naturae purae III, c. XXII, p. 403. Quodsi,
fuͤgt er hinzu, vel tunc ostendi potuisset hanc aliasque nonnul-
las propositiones ab Augustino doctorum omnium coryphaeo
traditas, nunquam, arbitror, hujusmodi decretum ab apostolica
sede permanasset.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0158" n="146"/>
          <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Buch</hi><hi rendition="#aq">VIII.</hi><hi rendition="#g">Die Pa&#x0364;p&#x017F;te um d. Mitte d. 17. Jahrh</hi>.</fw><lb/>
          <p>In &#x017F;einem dritten Buche u&#x0364;ber den Stand der Un&#x017F;chuld<lb/>
kommt Jan&#x017F;enius auf einen Satz des Augu&#x017F;tin, von dem<lb/>
er nicht leugnen kann, daß er vom ro&#x0364;mi&#x017F;chen Hofe ver-<lb/>
dammt worden &#x017F;ey. Er nimmt einen Augenblick An&#x017F;tand,<lb/>
wem er folgen &#x017F;olle, dem Kirchenvater oder dem Pap&#x017F;te.<lb/>
Nach einigem Bedenken aber bemerkt er <note place="foot" n="1)"><hi rendition="#aq">De statu naturae purae III, c. XXII, p. 403. Quodsi,</hi><lb/>
fu&#x0364;gt er hinzu, <hi rendition="#aq">vel tunc ostendi potuisset hanc aliasque nonnul-<lb/>
las propositiones ab Augustino doctorum omnium coryphaeo<lb/>
traditas, nunquam, arbitror, hujusmodi decretum ab apostolica<lb/>
sede permanasset.</hi></note>, der ro&#x0364;mi&#x017F;che<lb/>
Stuhl verdamme zuweilen eine Lehre bloß um des Friedens<lb/>
willen, ohne &#x017F;ie darum gleich fu&#x0364;r fal&#x017F;ch erkla&#x0364;ren zu wollen:<lb/>
er ent&#x017F;cheidet &#x017F;ich &#x017F;chlechtweg fu&#x0364;r den augu&#x017F;tiniani&#x017F;chen<lb/>
Lehr&#x017F;atz.</p><lb/>
          <p>Natu&#x0364;rlich machten &#x017F;ich &#x017F;eine Gegner die&#x017F;e Stelle zu<lb/>
Nutze: &#x017F;ie erkla&#x0364;rten &#x017F;ie fu&#x0364;r einen Angriff auf die pa&#x0364;p&#x017F;tliche<lb/>
Infallibilita&#x0364;t: gleich Urban <hi rendition="#aq">VIII.</hi> ward vermocht &#x017F;ein Miß-<lb/>
fallen u&#x0364;ber ein Werk auszu&#x017F;prechen, welches zur Verrin-<lb/>
gerung des apo&#x017F;toli&#x017F;chen An&#x017F;ehens Sa&#x0364;tze enthalte die &#x017F;chon<lb/>
von fru&#x0364;hern Pa&#x0364;p&#x017F;ten verdammt worden &#x017F;eyen.</p><lb/>
          <p>Mit die&#x017F;er Erkla&#x0364;rung richtete er jedoch noch wenig<lb/>
aus. Die jan&#x017F;eni&#x017F;ti&#x017F;chen Lehren griffen nichts de&#x017F;to minder<lb/>
gewaltig um &#x017F;ich: in Frankreich trat eine allgemeine Ent-<lb/>
zweiung ein. Die Gegner von Portroyal hielten es fu&#x0364;r<lb/>
nothwendig eine andere be&#x017F;timmtere Verdammung von dem<lb/>
ro&#x0364;mi&#x017F;chen Stuhle auszubringen. Zu dem Ende faßten &#x017F;ie<lb/>
die Grundlehren des Jan&#x017F;enius, wie &#x017F;ie die&#x017F;elben ver&#x017F;tan-<lb/>
den, in fu&#x0364;nf Sa&#x0364;tze zu&#x017F;ammen, und forderten den Pap&#x017F;t In-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[146/0158] Buch VIII. Die Paͤpſte um d. Mitte d. 17. Jahrh. In ſeinem dritten Buche uͤber den Stand der Unſchuld kommt Janſenius auf einen Satz des Auguſtin, von dem er nicht leugnen kann, daß er vom roͤmiſchen Hofe ver- dammt worden ſey. Er nimmt einen Augenblick Anſtand, wem er folgen ſolle, dem Kirchenvater oder dem Papſte. Nach einigem Bedenken aber bemerkt er 1), der roͤmiſche Stuhl verdamme zuweilen eine Lehre bloß um des Friedens willen, ohne ſie darum gleich fuͤr falſch erklaͤren zu wollen: er entſcheidet ſich ſchlechtweg fuͤr den auguſtinianiſchen Lehrſatz. Natuͤrlich machten ſich ſeine Gegner dieſe Stelle zu Nutze: ſie erklaͤrten ſie fuͤr einen Angriff auf die paͤpſtliche Infallibilitaͤt: gleich Urban VIII. ward vermocht ſein Miß- fallen uͤber ein Werk auszuſprechen, welches zur Verrin- gerung des apoſtoliſchen Anſehens Saͤtze enthalte die ſchon von fruͤhern Paͤpſten verdammt worden ſeyen. Mit dieſer Erklaͤrung richtete er jedoch noch wenig aus. Die janſeniſtiſchen Lehren griffen nichts deſto minder gewaltig um ſich: in Frankreich trat eine allgemeine Ent- zweiung ein. Die Gegner von Portroyal hielten es fuͤr nothwendig eine andere beſtimmtere Verdammung von dem roͤmiſchen Stuhle auszubringen. Zu dem Ende faßten ſie die Grundlehren des Janſenius, wie ſie dieſelben verſtan- den, in fuͤnf Saͤtze zuſammen, und forderten den Papſt In- 1) De statu naturae purae III, c. XXII, p. 403. Quodsi, fuͤgt er hinzu, vel tunc ostendi potuisset hanc aliasque nonnul- las propositiones ab Augustino doctorum omnium coryphaeo traditas, nunquam, arbitror, hujusmodi decretum ab apostolica sede permanasset.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste03_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste03_1836/158
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 3. Berlin, 1836, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste03_1836/158>, abgerufen am 18.05.2024.