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Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 3. Berlin, 1836.

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Revolutionäres Zeitalter.

Als der Papst trotz alle dem sich entschloß, auf die
Bitten des Kaisers, über die Alpen zu gehn und ihn zu
krönen, so war sein vornehmster Beweggrund, daß er, wie
viel oder wie wenig man nun auch von der französischen
Seite dazu beigetragen haben mag, sich mit der Hoffnung
schmeichelte "etwas zum Vortheil der katholischen Kirche
auszurichten, das angefangene Werk zu vollenden" 1). Er
rechnete dabei auf den Einfluß persönlicher Unterredungen.
Er nahm den Brief Ludwigs XIV. an Innocenz XII. mit,
um Napoleon zu überzeugen, daß schon dieser König die
Declaration von 1682 wieder habe fallen lassen.

Aber wie sehr sah er sich getäuscht. Gleich bei dem
Acte der Krönung nahm man an ihm eine tiefe Melan-
cholie wahr. Von alle dem was er wünschte und beab-
sichtigte, erreichte er nicht das Mindeste. Ja eben dieß
war der Moment, in welchem sich die Absichten des Kai-
sers in vollem Umfange enthüllten.

Die constituirende Versammlung hatte sich von dem
Papst loszureißen gesucht: das Directorium hätte ihn zu
vernichten gewünscht; Bonaparte's Sinn war, ihn zu be-
halten, aber zugleich ihn zu unterjochen, ihn zu einem
Werkzeuge seiner Allgewalt zu machen.

Ohne Umschweif erklärte er jetzt, er sey, wie seine
Vorfahren von der zweiten und dritten Dynastie, der äl-
teste Sohn der Kirche, der das Schwert führe um sie zu
beschützen, und nicht dulden könne, daß sie mit Ketzern

1) Allocutio habita in consistorio secreto 29 oct. 1804.
Italienisch bei Pistolesi: Vita di Pio VII, tom I, p. 193.
Revolutionaͤres Zeitalter.

Als der Papſt trotz alle dem ſich entſchloß, auf die
Bitten des Kaiſers, uͤber die Alpen zu gehn und ihn zu
kroͤnen, ſo war ſein vornehmſter Beweggrund, daß er, wie
viel oder wie wenig man nun auch von der franzoͤſiſchen
Seite dazu beigetragen haben mag, ſich mit der Hoffnung
ſchmeichelte „etwas zum Vortheil der katholiſchen Kirche
auszurichten, das angefangene Werk zu vollenden“ 1). Er
rechnete dabei auf den Einfluß perſoͤnlicher Unterredungen.
Er nahm den Brief Ludwigs XIV. an Innocenz XII. mit,
um Napoleon zu uͤberzeugen, daß ſchon dieſer Koͤnig die
Declaration von 1682 wieder habe fallen laſſen.

Aber wie ſehr ſah er ſich getaͤuſcht. Gleich bei dem
Acte der Kroͤnung nahm man an ihm eine tiefe Melan-
cholie wahr. Von alle dem was er wuͤnſchte und beab-
ſichtigte, erreichte er nicht das Mindeſte. Ja eben dieß
war der Moment, in welchem ſich die Abſichten des Kai-
ſers in vollem Umfange enthuͤllten.

Die conſtituirende Verſammlung hatte ſich von dem
Papſt loszureißen geſucht: das Directorium haͤtte ihn zu
vernichten gewuͤnſcht; Bonaparte’s Sinn war, ihn zu be-
halten, aber zugleich ihn zu unterjochen, ihn zu einem
Werkzeuge ſeiner Allgewalt zu machen.

Ohne Umſchweif erklaͤrte er jetzt, er ſey, wie ſeine
Vorfahren von der zweiten und dritten Dynaſtie, der aͤl-
teſte Sohn der Kirche, der das Schwert fuͤhre um ſie zu
beſchuͤtzen, und nicht dulden koͤnne, daß ſie mit Ketzern

1) Allocutio habita in consistorio secreto 29 oct. 1804.
Italieniſch bei Piſtoleſi: Vita di Pio VII, tom I, p. 193.
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[213/0225] Revolutionaͤres Zeitalter. Als der Papſt trotz alle dem ſich entſchloß, auf die Bitten des Kaiſers, uͤber die Alpen zu gehn und ihn zu kroͤnen, ſo war ſein vornehmſter Beweggrund, daß er, wie viel oder wie wenig man nun auch von der franzoͤſiſchen Seite dazu beigetragen haben mag, ſich mit der Hoffnung ſchmeichelte „etwas zum Vortheil der katholiſchen Kirche auszurichten, das angefangene Werk zu vollenden“ 1). Er rechnete dabei auf den Einfluß perſoͤnlicher Unterredungen. Er nahm den Brief Ludwigs XIV. an Innocenz XII. mit, um Napoleon zu uͤberzeugen, daß ſchon dieſer Koͤnig die Declaration von 1682 wieder habe fallen laſſen. Aber wie ſehr ſah er ſich getaͤuſcht. Gleich bei dem Acte der Kroͤnung nahm man an ihm eine tiefe Melan- cholie wahr. Von alle dem was er wuͤnſchte und beab- ſichtigte, erreichte er nicht das Mindeſte. Ja eben dieß war der Moment, in welchem ſich die Abſichten des Kai- ſers in vollem Umfange enthuͤllten. Die conſtituirende Verſammlung hatte ſich von dem Papſt loszureißen geſucht: das Directorium haͤtte ihn zu vernichten gewuͤnſcht; Bonaparte’s Sinn war, ihn zu be- halten, aber zugleich ihn zu unterjochen, ihn zu einem Werkzeuge ſeiner Allgewalt zu machen. Ohne Umſchweif erklaͤrte er jetzt, er ſey, wie ſeine Vorfahren von der zweiten und dritten Dynaſtie, der aͤl- teſte Sohn der Kirche, der das Schwert fuͤhre um ſie zu beſchuͤtzen, und nicht dulden koͤnne, daß ſie mit Ketzern 1) Allocutio habita in consistorio secreto 29 oct. 1804. Italieniſch bei Piſtoleſi: Vita di Pio VII, tom I, p. 193.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 3. Berlin, 1836, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste03_1836/225>, abgerufen am 21.11.2024.