Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839.Zweites Buch. Erstes Capitel. teten, erregte Mitleiden und Verachtung; die Meistenwelche sich zum Mönchsstand bequemten hatten keine andre Idee, als sich gute Tage ohne Arbeit zu machen. Man fand, die Geistlichkeit nehme von jedem Stand und Ge- schlecht nur das Angenehme und fliehe das Peinliche. Von den Rittern nehme der Prälat glänzende Umgebung, gro- ßes Gefolge, prächtiges Reitzeug, den Falken auf der Faust; mit den Frauen theile er den Schmuck der Gemächer und die Gartenlust: aber die Last der Harnische, die Mühe der Haushaltung wisse er zu vermeiden. Wer sich einmal gütlich thun will, sagte ein Sprichwort, der schlachte ein Huhn; wer ein Jahr lang, der nehme eine Frau; wer es aber alle seine Lebtage gut haben will, der werde ein Priester. Unzählige Aussprüche in diesem Sinne waren in Um- Tendenzen der populären Literatur. Es hatte das aber um so mehr zu bedeuten, da der Jedermann wird uns zugestehn, daß wenn wir Ro- es
Zweites Buch. Erſtes Capitel. teten, erregte Mitleiden und Verachtung; die Meiſtenwelche ſich zum Mönchsſtand bequemten hatten keine andre Idee, als ſich gute Tage ohne Arbeit zu machen. Man fand, die Geiſtlichkeit nehme von jedem Stand und Ge- ſchlecht nur das Angenehme und fliehe das Peinliche. Von den Rittern nehme der Prälat glänzende Umgebung, gro- ßes Gefolge, prächtiges Reitzeug, den Falken auf der Fauſt; mit den Frauen theile er den Schmuck der Gemächer und die Gartenluſt: aber die Laſt der Harniſche, die Mühe der Haushaltung wiſſe er zu vermeiden. Wer ſich einmal gütlich thun will, ſagte ein Sprichwort, der ſchlachte ein Huhn; wer ein Jahr lang, der nehme eine Frau; wer es aber alle ſeine Lebtage gut haben will, der werde ein Prieſter. Unzählige Ausſprüche in dieſem Sinne waren in Um- Tendenzen der populären Literatur. Es hatte das aber um ſo mehr zu bedeuten, da der Jedermann wird uns zugeſtehn, daß wenn wir Ro- es
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Zweites Buch. Erſtes Capitel.
teten, erregte Mitleiden und Verachtung; die Meiſten
welche ſich zum Mönchsſtand bequemten hatten keine andre
Idee, als ſich gute Tage ohne Arbeit zu machen. Man
fand, die Geiſtlichkeit nehme von jedem Stand und Ge-
ſchlecht nur das Angenehme und fliehe das Peinliche. Von
den Rittern nehme der Prälat glänzende Umgebung, gro-
ßes Gefolge, prächtiges Reitzeug, den Falken auf der Fauſt;
mit den Frauen theile er den Schmuck der Gemächer und
die Gartenluſt: aber die Laſt der Harniſche, die Mühe
der Haushaltung wiſſe er zu vermeiden. Wer ſich einmal
gütlich thun will, ſagte ein Sprichwort, der ſchlachte ein
Huhn; wer ein Jahr lang, der nehme eine Frau; wer es
aber alle ſeine Lebtage gut haben will, der werde ein Prieſter.
Unzählige Ausſprüche in dieſem Sinne waren in Um-
lauf; die Flugſchriften jener Zeit ſind voll davon.
Tendenzen der populären Literatur.
Es hatte das aber um ſo mehr zu bedeuten, da der
Geiſt der Nation, der ſich in einer beginnenden populären
Literatur ausſprach, überhaupt eine Richtung nahm, welche
mit dieſer mißbilligenden Verwerfung in ihrem Urſprung,
ihrem innerlichen Grunde zuſammenhieng.
Jedermann wird uns zugeſtehn, daß wenn wir Ro-
ſenblüt und Sebaſtian Brant, den Eulenſpiegel und die
Bearbeitung des Reineke Fuchs vom Jahr 1498 nennen,
wir damit die hervorleuchtendſten Erſcheinungen bezeichnen,
welche die Literatur dieſer Zeit darbietet. Und fragen wir
dann, welchen gemeinſchaftlichen Charakter ſie haben, ſo iſt
es
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