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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839.

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Erasmus.
In alle dem hatte er nur die Zustimmung des großen Pu-
blicums, für das er schrieb. Es mochte dazu beitragen,
daß er hinter dem Mißbrauch, den er tadelte, nicht einen
Abgrund erblicken ließ, vor dem man erschrocken wäre, son-
dern eine Verbesserung, die er sogar für leicht erklärte; daß
er sich wohl hütete, gewisse Grundsätze, welche die gläu-
bige Überzeugung festhielt, ernstlich zu verletzen. 1 Die
Hauptsache aber machte sein unvergleichliches literarisches
Talent. Er arbeitete unaufhörlich, in mancherlei Zweigen,
und wußte mit seinen Arbeiten bald zu Stande zu kommen;
er hatte nicht die Geduld sie aufs neue vorzunehmen, um-
zuschreiben, auszufeilen; die meisten wurden gedruckt wie
er sie hinwarf; aber eben dieß verschaffte ihnen allgemeinen
Eingang; sie zogen eben dadurch an, weil sie die ohne al-
len Rückblick sich fortentwickelnden Gedanken eines reichen,
feinen, witzigen, kühnen und gebildeten Geistes mittheilten.
Wer bemerkte gleich die Fehler, deren ihm genug entschlüpf-
ten? Die Art und Weise seines Vortrags, die den Leser
noch heute fesselt, riß damals noch weit mehr Jeder-
mann mit sich fort. So ward er allmählig der berühmteste
Mann in Europa; die öffentliche Meinung, der er Weg
bahnte vor ihr her, schmückte ihn mit ihren schönsten Krän-
zen; in sein Haus zu Basel strömten die Geschenke; von
allen Seiten besuchte man ihn; nach allen Weltgegenden
empfieng er Einladungen. 2 Ein kleiner blonder Mann,

1 Sein Verhältniß faßt er einige Jahre später selbst so: ad-
nixus sum ut bonae literae, quas scis hactenus apud Italos fere
paganas fuisse, consuescerent de Christo loqui. Epistola ad Cre-
tium 9 Sept. 1526. Opp. III, l. p.
953.
2 Später beklagt er selbst den Mangel an Widerspruch. Longe

Erasmus.
In alle dem hatte er nur die Zuſtimmung des großen Pu-
blicums, für das er ſchrieb. Es mochte dazu beitragen,
daß er hinter dem Mißbrauch, den er tadelte, nicht einen
Abgrund erblicken ließ, vor dem man erſchrocken wäre, ſon-
dern eine Verbeſſerung, die er ſogar für leicht erklärte; daß
er ſich wohl hütete, gewiſſe Grundſätze, welche die gläu-
bige Überzeugung feſthielt, ernſtlich zu verletzen. 1 Die
Hauptſache aber machte ſein unvergleichliches literariſches
Talent. Er arbeitete unaufhörlich, in mancherlei Zweigen,
und wußte mit ſeinen Arbeiten bald zu Stande zu kommen;
er hatte nicht die Geduld ſie aufs neue vorzunehmen, um-
zuſchreiben, auszufeilen; die meiſten wurden gedruckt wie
er ſie hinwarf; aber eben dieß verſchaffte ihnen allgemeinen
Eingang; ſie zogen eben dadurch an, weil ſie die ohne al-
len Rückblick ſich fortentwickelnden Gedanken eines reichen,
feinen, witzigen, kühnen und gebildeten Geiſtes mittheilten.
Wer bemerkte gleich die Fehler, deren ihm genug entſchlüpf-
ten? Die Art und Weiſe ſeines Vortrags, die den Leſer
noch heute feſſelt, riß damals noch weit mehr Jeder-
mann mit ſich fort. So ward er allmählig der berühmteſte
Mann in Europa; die öffentliche Meinung, der er Weg
bahnte vor ihr her, ſchmückte ihn mit ihren ſchönſten Krän-
zen; in ſein Haus zu Baſel ſtrömten die Geſchenke; von
allen Seiten beſuchte man ihn; nach allen Weltgegenden
empfieng er Einladungen. 2 Ein kleiner blonder Mann,

1 Sein Verhaͤltniß faßt er einige Jahre ſpaͤter ſelbſt ſo: ad-
nixus sum ut bonae literae, quas scis hactenus apud Italos fere
paganas fuisse, consuescerent de Christo loqui. Epistola ad Cre-
tium 9 Sept. 1526. Opp. III, l. p.
953.
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[269/0287] Erasmus. In alle dem hatte er nur die Zuſtimmung des großen Pu- blicums, für das er ſchrieb. Es mochte dazu beitragen, daß er hinter dem Mißbrauch, den er tadelte, nicht einen Abgrund erblicken ließ, vor dem man erſchrocken wäre, ſon- dern eine Verbeſſerung, die er ſogar für leicht erklärte; daß er ſich wohl hütete, gewiſſe Grundſätze, welche die gläu- bige Überzeugung feſthielt, ernſtlich zu verletzen. 1 Die Hauptſache aber machte ſein unvergleichliches literariſches Talent. Er arbeitete unaufhörlich, in mancherlei Zweigen, und wußte mit ſeinen Arbeiten bald zu Stande zu kommen; er hatte nicht die Geduld ſie aufs neue vorzunehmen, um- zuſchreiben, auszufeilen; die meiſten wurden gedruckt wie er ſie hinwarf; aber eben dieß verſchaffte ihnen allgemeinen Eingang; ſie zogen eben dadurch an, weil ſie die ohne al- len Rückblick ſich fortentwickelnden Gedanken eines reichen, feinen, witzigen, kühnen und gebildeten Geiſtes mittheilten. Wer bemerkte gleich die Fehler, deren ihm genug entſchlüpf- ten? Die Art und Weiſe ſeines Vortrags, die den Leſer noch heute feſſelt, riß damals noch weit mehr Jeder- mann mit ſich fort. So ward er allmählig der berühmteſte Mann in Europa; die öffentliche Meinung, der er Weg bahnte vor ihr her, ſchmückte ihn mit ihren ſchönſten Krän- zen; in ſein Haus zu Baſel ſtrömten die Geſchenke; von allen Seiten beſuchte man ihn; nach allen Weltgegenden empfieng er Einladungen. 2 Ein kleiner blonder Mann, 1 Sein Verhaͤltniß faßt er einige Jahre ſpaͤter ſelbſt ſo: ad- nixus sum ut bonae literae, quas scis hactenus apud Italos fere paganas fuisse, consuescerent de Christo loqui. Epistola ad Cre- tium 9 Sept. 1526. Opp. III, l. p. 953. 2 Spaͤter beklagt er ſelbſt den Mangel an Widerſpruch. Longe

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/287>, abgerufen am 24.11.2024.