an der Höhe des Thüringer Waldgebirges, unfern den Ge- genden, an die sich das Andenken der ersten Verkündigun- gen des Christenthums durch Bonifacius knüpft; da mö- gen die Vorfahren Luthers Jahrhunderte lang auf ihrer Hufe gesessen haben, -- wie diese Thüringer Bauern pfle- gen, von denen immer Ein Bruder das Gut behält, wäh- rend die andern ihr Fortkommen auf andre Weise su- chen. Von diesem Loos, sich irgendwo auf seine eigne Hand Heimath und Heerd erwerben zu müssen, betroffen wandte sich Hans Luther nach dem Bergwerk zu Mans- feld, wo er im Schweiß seines Angesichts sein Brod ver- diente: mit seiner Frau Margret, die gar oft das Holz auf ihrem Rücken hereinholte. Von diesen Eltern stammte Martin Luther. Er kam in Eisleben auf die Welt, wo- hin seine rüstige Mutter eben auf den Jahrmarkt gewan- dert war: er wuchs auf in der Mansfelder Gebirgsluft.
Wie nun Leben und Sitte jener Zeit überhaupt streng und rauh, so war es auch die Erziehung. Luther erzählt, daß ihn die Mutter einst um einer armseligen Nuß willen blutig gestäupt: der Vater ihn so scharf gezüchtigt habe, daß er sein Kind nur mit Mühe wieder an sich gewöh- nen können; in einer Schule ist er eines Vormittags funf- zehn Mal hinter einander mit Schlägen gestraft worden. Sein Brod mußte er dann mit Singen vor den Thüren, mit Neujahrsingen auf den Dörfern verdienen. Sonder- bar, daß man die Jugend glücklich preist und beneidet, in der doch aus der Dunkelheit der kommenden Jahre nur die strengen Nothwendigkeiten hereinwirken, das Daseyn von fremder Hülfe abhängig ist, und der Wille eines An-
Anfaͤnge Luthers.
an der Höhe des Thüringer Waldgebirges, unfern den Ge- genden, an die ſich das Andenken der erſten Verkündigun- gen des Chriſtenthums durch Bonifacius knüpft; da mö- gen die Vorfahren Luthers Jahrhunderte lang auf ihrer Hufe geſeſſen haben, — wie dieſe Thüringer Bauern pfle- gen, von denen immer Ein Bruder das Gut behält, wäh- rend die andern ihr Fortkommen auf andre Weiſe ſu- chen. Von dieſem Loos, ſich irgendwo auf ſeine eigne Hand Heimath und Heerd erwerben zu müſſen, betroffen wandte ſich Hans Luther nach dem Bergwerk zu Mans- feld, wo er im Schweiß ſeines Angeſichts ſein Brod ver- diente: mit ſeiner Frau Margret, die gar oft das Holz auf ihrem Rücken hereinholte. Von dieſen Eltern ſtammte Martin Luther. Er kam in Eisleben auf die Welt, wo- hin ſeine rüſtige Mutter eben auf den Jahrmarkt gewan- dert war: er wuchs auf in der Mansfelder Gebirgsluft.
Wie nun Leben und Sitte jener Zeit überhaupt ſtreng und rauh, ſo war es auch die Erziehung. Luther erzählt, daß ihn die Mutter einſt um einer armſeligen Nuß willen blutig geſtäupt: der Vater ihn ſo ſcharf gezüchtigt habe, daß er ſein Kind nur mit Mühe wieder an ſich gewöh- nen können; in einer Schule iſt er eines Vormittags funf- zehn Mal hinter einander mit Schlägen geſtraft worden. Sein Brod mußte er dann mit Singen vor den Thüren, mit Neujahrſingen auf den Dörfern verdienen. Sonder- bar, daß man die Jugend glücklich preiſt und beneidet, in der doch aus der Dunkelheit der kommenden Jahre nur die ſtrengen Nothwendigkeiten hereinwirken, das Daſeyn von fremder Hülfe abhängig iſt, und der Wille eines An-
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Anfaͤnge Luthers.
an der Höhe des Thüringer Waldgebirges, unfern den Ge-
genden, an die ſich das Andenken der erſten Verkündigun-
gen des Chriſtenthums durch Bonifacius knüpft; da mö-
gen die Vorfahren Luthers Jahrhunderte lang auf ihrer
Hufe geſeſſen haben, — wie dieſe Thüringer Bauern pfle-
gen, von denen immer Ein Bruder das Gut behält, wäh-
rend die andern ihr Fortkommen auf andre Weiſe ſu-
chen. Von dieſem Loos, ſich irgendwo auf ſeine eigne
Hand Heimath und Heerd erwerben zu müſſen, betroffen
wandte ſich Hans Luther nach dem Bergwerk zu Mans-
feld, wo er im Schweiß ſeines Angeſichts ſein Brod ver-
diente: mit ſeiner Frau Margret, die gar oft das Holz
auf ihrem Rücken hereinholte. Von dieſen Eltern ſtammte
Martin Luther. Er kam in Eisleben auf die Welt, wo-
hin ſeine rüſtige Mutter eben auf den Jahrmarkt gewan-
dert war: er wuchs auf in der Mansfelder Gebirgsluft.
Wie nun Leben und Sitte jener Zeit überhaupt ſtreng
und rauh, ſo war es auch die Erziehung. Luther erzählt,
daß ihn die Mutter einſt um einer armſeligen Nuß willen
blutig geſtäupt: der Vater ihn ſo ſcharf gezüchtigt habe,
daß er ſein Kind nur mit Mühe wieder an ſich gewöh-
nen können; in einer Schule iſt er eines Vormittags funf-
zehn Mal hinter einander mit Schlägen geſtraft worden.
Sein Brod mußte er dann mit Singen vor den Thüren,
mit Neujahrſingen auf den Dörfern verdienen. Sonder-
bar, daß man die Jugend glücklich preiſt und beneidet, in
der doch aus der Dunkelheit der kommenden Jahre nur
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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 293. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/311>, abgerufen am 16.07.2024.
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