Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite
Zweites Buch. Erstes Capitel.

Von demselben innern Widerstreit nun gieng nach dem
Verlauf so langer Zeit auch Luther aus: aber er entschied
sich für die andre Seite. Nicht daß er den Schatz der
Kirche überhaupt geleugnet hätte, er erklärte jedoch, diese
Lehre habe noch nicht hinreichende Klarheit, und, worauf
alles ankam, er bestritt das Recht des Papstes ihn zu
vertheilen. Denn nur eine innerliche Wirkung schrieb er
dieser mysteriösen kirchlichen Gemeinschaft zu. An den gu-
ten Werken der Kirche habe ein Jeder Antheil auch ohne
Briefe des Papstes. Auf das Fegfeuer erstrecke sich dessen Ge-
walt nur in so ferne die Fürbitte der Kirche in seiner Hand
sey: es frage sich aber erst, ob Gott dieselbe erhören wolle.
Indulgenzen irgend einer Art zu geben, ohne Reue, sey
gradezu unchristlich. Stück für Stück widerlegt er die in
der Instruction vorkommenden Berechtigungen der Ablaß-
verkäufer. Dagegen sieht er den Grund der Indulgenz in dem
Amte der Schlüssel. 1 In diesem Amte, welches Christus
dem h. Peter anvertraut habe, liege die entbindende Ge-
walt des römischen Papstes. Auch sey es für alle Peinen
und Gewissensfälle hinreichend. Aber natürlich erstrecke es
sich auf keine andern als die Strafen der Genugthuung,
die vermöge desselben aufgelegt worden; und dabei komme
noch alles darauf an, ob der Mensch auch Reue em-
pfinde, was er selbst nicht einmal entscheiden könne, ge-

Hauptgrund dafür bleibt aber immer, daß die Kirche das sage:
denn "si in praedicatione ecclesiae aliqua falsitas deprehendere-
tur, non essent documenta ecclesiae alicujus autoritatis ad robo-
randam fidem."
1 Eben so wie die Gegner, welche Thomas von A. widerlegt,
behaupteten: "indulgentiae non habent effectum nisi ex vi clavium."
Zweites Buch. Erſtes Capitel.

Von demſelben innern Widerſtreit nun gieng nach dem
Verlauf ſo langer Zeit auch Luther aus: aber er entſchied
ſich für die andre Seite. Nicht daß er den Schatz der
Kirche überhaupt geleugnet hätte, er erklärte jedoch, dieſe
Lehre habe noch nicht hinreichende Klarheit, und, worauf
alles ankam, er beſtritt das Recht des Papſtes ihn zu
vertheilen. Denn nur eine innerliche Wirkung ſchrieb er
dieſer myſteriöſen kirchlichen Gemeinſchaft zu. An den gu-
ten Werken der Kirche habe ein Jeder Antheil auch ohne
Briefe des Papſtes. Auf das Fegfeuer erſtrecke ſich deſſen Ge-
walt nur in ſo ferne die Fürbitte der Kirche in ſeiner Hand
ſey: es frage ſich aber erſt, ob Gott dieſelbe erhören wolle.
Indulgenzen irgend einer Art zu geben, ohne Reue, ſey
gradezu unchriſtlich. Stück für Stück widerlegt er die in
der Inſtruction vorkommenden Berechtigungen der Ablaß-
verkäufer. Dagegen ſieht er den Grund der Indulgenz in dem
Amte der Schlüſſel. 1 In dieſem Amte, welches Chriſtus
dem h. Peter anvertraut habe, liege die entbindende Ge-
walt des römiſchen Papſtes. Auch ſey es für alle Peinen
und Gewiſſensfälle hinreichend. Aber natürlich erſtrecke es
ſich auf keine andern als die Strafen der Genugthuung,
die vermöge deſſelben aufgelegt worden; und dabei komme
noch alles darauf an, ob der Menſch auch Reue em-
pfinde, was er ſelbſt nicht einmal entſcheiden könne, ge-

Hauptgrund dafuͤr bleibt aber immer, daß die Kirche das ſage:
denn „si in praedicatione ecclesiae aliqua falsitas deprehendere-
tur, non essent documenta ecclesiae alicujus autoritatis ad robo-
randam fidem.“
1 Eben ſo wie die Gegner, welche Thomas von A. widerlegt,
behaupteten: „indulgentiae non habent effectum nisi ex vi clavium.“
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0332" n="314"/>
            <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweites Buch. Er&#x017F;tes Capitel</hi>.</fw><lb/>
            <p>Von dem&#x017F;elben innern Wider&#x017F;treit nun gieng nach dem<lb/>
Verlauf &#x017F;o langer Zeit auch Luther aus: aber er ent&#x017F;chied<lb/>
&#x017F;ich für die andre Seite. Nicht daß er den Schatz der<lb/>
Kirche überhaupt geleugnet hätte, er erklärte jedoch, die&#x017F;e<lb/>
Lehre habe noch nicht hinreichende Klarheit, und, worauf<lb/>
alles ankam, er be&#x017F;tritt das Recht des Pap&#x017F;tes ihn zu<lb/>
vertheilen. Denn nur eine innerliche Wirkung &#x017F;chrieb er<lb/>
die&#x017F;er my&#x017F;teriö&#x017F;en kirchlichen Gemein&#x017F;chaft zu. An den gu-<lb/>
ten Werken der Kirche habe ein Jeder Antheil auch ohne<lb/>
Briefe des Pap&#x017F;tes. Auf das Fegfeuer er&#x017F;trecke &#x017F;ich de&#x017F;&#x017F;en Ge-<lb/>
walt nur in &#x017F;o ferne die Fürbitte der Kirche in &#x017F;einer Hand<lb/>
&#x017F;ey: es frage &#x017F;ich aber er&#x017F;t, ob Gott die&#x017F;elbe erhören wolle.<lb/>
Indulgenzen irgend einer Art zu geben, ohne Reue, &#x017F;ey<lb/>
gradezu unchri&#x017F;tlich. Stück für Stück widerlegt er die in<lb/>
der In&#x017F;truction vorkommenden Berechtigungen der Ablaß-<lb/>
verkäufer. Dagegen &#x017F;ieht er den Grund der Indulgenz in dem<lb/>
Amte der Schlü&#x017F;&#x017F;el. <note place="foot" n="1">Eben &#x017F;o wie die Gegner, welche Thomas von A. widerlegt,<lb/>
behaupteten: <hi rendition="#aq">&#x201E;indulgentiae non habent effectum nisi ex vi clavium.&#x201C;</hi></note> In die&#x017F;em Amte, welches Chri&#x017F;tus<lb/>
dem h. Peter anvertraut habe, liege die entbindende Ge-<lb/>
walt des römi&#x017F;chen Pap&#x017F;tes. Auch &#x017F;ey es für alle Peinen<lb/>
und Gewi&#x017F;&#x017F;ensfälle hinreichend. Aber natürlich er&#x017F;trecke es<lb/>
&#x017F;ich auf keine andern als die Strafen der Genugthuung,<lb/>
die vermöge de&#x017F;&#x017F;elben aufgelegt worden; und dabei komme<lb/>
noch alles darauf an, ob der Men&#x017F;ch auch Reue em-<lb/>
pfinde, was er &#x017F;elb&#x017F;t nicht einmal ent&#x017F;cheiden könne, ge-<lb/><note xml:id="seg2pn_26_2" prev="#seg2pn_26_1" place="foot" n="1">Hauptgrund dafu&#x0364;r bleibt aber immer, daß die Kirche das &#x017F;age:<lb/>
denn <hi rendition="#aq">&#x201E;si in praedicatione ecclesiae aliqua falsitas deprehendere-<lb/>
tur, non essent documenta ecclesiae alicujus autoritatis ad robo-<lb/>
randam fidem.&#x201C;</hi></note><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[314/0332] Zweites Buch. Erſtes Capitel. Von demſelben innern Widerſtreit nun gieng nach dem Verlauf ſo langer Zeit auch Luther aus: aber er entſchied ſich für die andre Seite. Nicht daß er den Schatz der Kirche überhaupt geleugnet hätte, er erklärte jedoch, dieſe Lehre habe noch nicht hinreichende Klarheit, und, worauf alles ankam, er beſtritt das Recht des Papſtes ihn zu vertheilen. Denn nur eine innerliche Wirkung ſchrieb er dieſer myſteriöſen kirchlichen Gemeinſchaft zu. An den gu- ten Werken der Kirche habe ein Jeder Antheil auch ohne Briefe des Papſtes. Auf das Fegfeuer erſtrecke ſich deſſen Ge- walt nur in ſo ferne die Fürbitte der Kirche in ſeiner Hand ſey: es frage ſich aber erſt, ob Gott dieſelbe erhören wolle. Indulgenzen irgend einer Art zu geben, ohne Reue, ſey gradezu unchriſtlich. Stück für Stück widerlegt er die in der Inſtruction vorkommenden Berechtigungen der Ablaß- verkäufer. Dagegen ſieht er den Grund der Indulgenz in dem Amte der Schlüſſel. 1 In dieſem Amte, welches Chriſtus dem h. Peter anvertraut habe, liege die entbindende Ge- walt des römiſchen Papſtes. Auch ſey es für alle Peinen und Gewiſſensfälle hinreichend. Aber natürlich erſtrecke es ſich auf keine andern als die Strafen der Genugthuung, die vermöge deſſelben aufgelegt worden; und dabei komme noch alles darauf an, ob der Menſch auch Reue em- pfinde, was er ſelbſt nicht einmal entſcheiden könne, ge- 1 1 Eben ſo wie die Gegner, welche Thomas von A. widerlegt, behaupteten: „indulgentiae non habent effectum nisi ex vi clavium.“ 1 Hauptgrund dafuͤr bleibt aber immer, daß die Kirche das ſage: denn „si in praedicatione ecclesiae aliqua falsitas deprehendere- tur, non essent documenta ecclesiae alicujus autoritatis ad robo- randam fidem.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/332
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/332>, abgerufen am 22.11.2024.