Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839.Kaiserwahl von 1519. einmal an Churfürst Joachim; aber seine eigenen Ver-wandten, vor allem sein Bruder von Mainz waren gegen ihn: sie fanden, die Behauptung der kaiserlichen Würde mache Anstrengungen und besonders Kosten nöthig, welche die Kraft der Mark und ihrer ganzen Familie aufreiben würden; Joachim würde niemals die hinreichende Stimmen- anzahl gehabt haben. Bei weitem wichtiger war es, daß sich die Blicke der Versammelten auf Churfürst Friedrich von Sachsen wendeten. Richard von Trier suchte ihn einst bei Nacht auf, und sagte wohl, er selbst wolle einen Theil der Arbeit auf sich nehmen. Bei der Haltung die Friedrich in der lutherischen Sache angenommen, und der nationalen Richtung in der sich diese Händel noch beweg- ten, eine der großartigsten Aussichten für die Geschichte der Nation. Die Churfürsten waren im Ganzen geneigt; es ist ihnen später sogar zum Vorwurf gemacht worden, hätte sich einer unter ihnen gefunden, "fähig, das Reich zu un- terhalten," so würde der gewählt worden seyn. Hätte nur Friedrich einen kühnern Ehrgeiz gehabt! Wäre er nicht be- reits zu alt und von Natur so vorsichtig gewesen! Aber er kannte die Geschäfte des Reiches zu lange und zu gut, um nicht zu wissen, daß das Übergewicht der Macht dazu gehöre, um diese stolzen, kräftigen, zur Unabhängigkeit em- porstrebenden Fürsten und Stände in Einheit und Unter- ordnung zusammenzuhalten. Wiewohl er entschlossen war, so befragte er doch ei- Kaiſerwahl von 1519. einmal an Churfürſt Joachim; aber ſeine eigenen Ver-wandten, vor allem ſein Bruder von Mainz waren gegen ihn: ſie fanden, die Behauptung der kaiſerlichen Würde mache Anſtrengungen und beſonders Koſten nöthig, welche die Kraft der Mark und ihrer ganzen Familie aufreiben würden; Joachim würde niemals die hinreichende Stimmen- anzahl gehabt haben. Bei weitem wichtiger war es, daß ſich die Blicke der Verſammelten auf Churfürſt Friedrich von Sachſen wendeten. Richard von Trier ſuchte ihn einſt bei Nacht auf, und ſagte wohl, er ſelbſt wolle einen Theil der Arbeit auf ſich nehmen. Bei der Haltung die Friedrich in der lutheriſchen Sache angenommen, und der nationalen Richtung in der ſich dieſe Händel noch beweg- ten, eine der großartigſten Ausſichten für die Geſchichte der Nation. Die Churfürſten waren im Ganzen geneigt; es iſt ihnen ſpäter ſogar zum Vorwurf gemacht worden, hätte ſich einer unter ihnen gefunden, „fähig, das Reich zu un- terhalten,“ ſo würde der gewählt worden ſeyn. Hätte nur Friedrich einen kühnern Ehrgeiz gehabt! Wäre er nicht be- reits zu alt und von Natur ſo vorſichtig geweſen! Aber er kannte die Geſchäfte des Reiches zu lange und zu gut, um nicht zu wiſſen, daß das Übergewicht der Macht dazu gehöre, um dieſe ſtolzen, kräftigen, zur Unabhängigkeit em- porſtrebenden Fürſten und Stände in Einheit und Unter- ordnung zuſammenzuhalten. Wiewohl er entſchloſſen war, ſo befragte er doch ei- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0393" n="375"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Kaiſerwahl von</hi> 1519.</fw><lb/> einmal an Churfürſt Joachim; aber ſeine eigenen Ver-<lb/> wandten, vor allem ſein Bruder von Mainz waren gegen<lb/> ihn: ſie fanden, die Behauptung der kaiſerlichen Würde<lb/> mache Anſtrengungen und beſonders Koſten nöthig, welche<lb/> die Kraft der Mark und ihrer ganzen Familie aufreiben<lb/> würden; Joachim würde niemals die hinreichende Stimmen-<lb/> anzahl gehabt haben. Bei weitem wichtiger war es, daß<lb/> ſich die Blicke der Verſammelten auf Churfürſt Friedrich<lb/> von Sachſen wendeten. Richard von Trier ſuchte ihn<lb/> einſt bei Nacht auf, und ſagte wohl, er ſelbſt wolle einen<lb/> Theil der Arbeit auf ſich nehmen. Bei der Haltung die<lb/> Friedrich in der lutheriſchen Sache angenommen, und der<lb/> nationalen Richtung in der ſich dieſe Händel noch beweg-<lb/> ten, eine der großartigſten Ausſichten für die Geſchichte der<lb/> Nation. Die Churfürſten waren im Ganzen geneigt; es<lb/> iſt ihnen ſpäter ſogar zum Vorwurf gemacht worden, hätte<lb/> ſich einer unter ihnen gefunden, „fähig, das Reich zu un-<lb/> terhalten,“ ſo würde der gewählt worden ſeyn. Hätte nur<lb/> Friedrich einen kühnern Ehrgeiz gehabt! Wäre er nicht be-<lb/> reits zu alt und von Natur ſo vorſichtig geweſen! Aber<lb/> er kannte die Geſchäfte des Reiches zu lange und zu gut,<lb/> um nicht zu wiſſen, daß das Übergewicht der Macht dazu<lb/> gehöre, um dieſe ſtolzen, kräftigen, zur Unabhängigkeit em-<lb/> porſtrebenden Fürſten und Stände in Einheit und Unter-<lb/> ordnung zuſammenzuhalten.</p><lb/> <p>Wiewohl er entſchloſſen war, ſo befragte er doch ei-<lb/> nes Tages ſeinen Begleiter Philipp von Solms um ſeine<lb/> Meinung. Der antwortete ihm er fürchte, ſein Herr werde<lb/> die ſtrafende Gewalt nicht gehörig auszuüben vermögen.<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [375/0393]
Kaiſerwahl von 1519.
einmal an Churfürſt Joachim; aber ſeine eigenen Ver-
wandten, vor allem ſein Bruder von Mainz waren gegen
ihn: ſie fanden, die Behauptung der kaiſerlichen Würde
mache Anſtrengungen und beſonders Koſten nöthig, welche
die Kraft der Mark und ihrer ganzen Familie aufreiben
würden; Joachim würde niemals die hinreichende Stimmen-
anzahl gehabt haben. Bei weitem wichtiger war es, daß
ſich die Blicke der Verſammelten auf Churfürſt Friedrich
von Sachſen wendeten. Richard von Trier ſuchte ihn
einſt bei Nacht auf, und ſagte wohl, er ſelbſt wolle einen
Theil der Arbeit auf ſich nehmen. Bei der Haltung die
Friedrich in der lutheriſchen Sache angenommen, und der
nationalen Richtung in der ſich dieſe Händel noch beweg-
ten, eine der großartigſten Ausſichten für die Geſchichte der
Nation. Die Churfürſten waren im Ganzen geneigt; es
iſt ihnen ſpäter ſogar zum Vorwurf gemacht worden, hätte
ſich einer unter ihnen gefunden, „fähig, das Reich zu un-
terhalten,“ ſo würde der gewählt worden ſeyn. Hätte nur
Friedrich einen kühnern Ehrgeiz gehabt! Wäre er nicht be-
reits zu alt und von Natur ſo vorſichtig geweſen! Aber
er kannte die Geſchäfte des Reiches zu lange und zu gut,
um nicht zu wiſſen, daß das Übergewicht der Macht dazu
gehöre, um dieſe ſtolzen, kräftigen, zur Unabhängigkeit em-
porſtrebenden Fürſten und Stände in Einheit und Unter-
ordnung zuſammenzuhalten.
Wiewohl er entſchloſſen war, ſo befragte er doch ei-
nes Tages ſeinen Begleiter Philipp von Solms um ſeine
Meinung. Der antwortete ihm er fürchte, ſein Herr werde
die ſtrafende Gewalt nicht gehörig auszuüben vermögen.
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