Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839.Zweites Buch. Drittes Capitel. ob sie es befolgen wolle. Überhaupt konnte er an derLehre von den sieben Sacramenten nun nicht mehr fest- halten. Thomas von Aquino führt mit Vorliebe aus, wie die Ordnung derselben dem natürlichen und socialen Leben des Menschen entspreche: die Taufe der Geburt, die Firmelung dem Wachsthum, die Eucharistie der Nahrung, die Buße der Arznei bei etwa eintretender Krankheit, die letzte Ölung der völligen Heilung, ferner die Weihe den öffentlichen Geschäften, die Ehe heilige die natürliche Fort- pflanzung: 1 allein das waren keine Vorstellungen die auf Luther Eindruck gemacht hätten: er fragte nur, was deut- lich in der Schrift zu lesen sey, welche unmittelbare Be- ziehung ein Ritus auf Glauben und Erlösung habe: er verwarf, und zwar fast mit denselben Argumenten die sich schon in der Confession der mährischen Brüder finden, die vier übrigen Sacramente und blieb nur bei Taufe, Abend- mahl und Buße stehen. Nicht einmal von dem römischen Stuhl könne man die andern herleiten: sie seyen nur ein Product der hohen Schulen, denen freilich der römische Stuhl alles verdanke was er besitze. 2 Ein großer Un- terschied sey auch deshalb zwischen dem alten Papstthum vor tausend Jahren und dem neuen. Wie erhoben sich da die feindlichen Weltansichten so 1 Tertia pars qu. LXV, conclusio. 2 Neque enim staret tyrannis papistica tanta, nisi tantum
accepisset ab universitatibus, cum vix fuerit inter celebres epi- scopatus alius quispiam qui minus habuerit eruditionem ponti- ficum. Zweites Buch. Drittes Capitel. ob ſie es befolgen wolle. Überhaupt konnte er an derLehre von den ſieben Sacramenten nun nicht mehr feſt- halten. Thomas von Aquino führt mit Vorliebe aus, wie die Ordnung derſelben dem natürlichen und ſocialen Leben des Menſchen entſpreche: die Taufe der Geburt, die Firmelung dem Wachsthum, die Euchariſtie der Nahrung, die Buße der Arznei bei etwa eintretender Krankheit, die letzte Ölung der völligen Heilung, ferner die Weihe den öffentlichen Geſchäften, die Ehe heilige die natürliche Fort- pflanzung: 1 allein das waren keine Vorſtellungen die auf Luther Eindruck gemacht hätten: er fragte nur, was deut- lich in der Schrift zu leſen ſey, welche unmittelbare Be- ziehung ein Ritus auf Glauben und Erlöſung habe: er verwarf, und zwar faſt mit denſelben Argumenten die ſich ſchon in der Confeſſion der mähriſchen Brüder finden, die vier übrigen Sacramente und blieb nur bei Taufe, Abend- mahl und Buße ſtehen. Nicht einmal von dem römiſchen Stuhl könne man die andern herleiten: ſie ſeyen nur ein Product der hohen Schulen, denen freilich der römiſche Stuhl alles verdanke was er beſitze. 2 Ein großer Un- terſchied ſey auch deshalb zwiſchen dem alten Papſtthum vor tauſend Jahren und dem neuen. Wie erhoben ſich da die feindlichen Weltanſichten ſo 1 Tertia pars qu. LXV, conclusio. 2 Neque enim staret tyrannis papistica tanta, nisi tantum
accepisset ab universitatibus, cum vix fuerit inter celebres epi- scopatus alius quispiam qui minus habuerit eruditionem ponti- ficum. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0458" n="440"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweites Buch. Drittes Capitel</hi>.</fw><lb/> ob ſie es befolgen wolle. Überhaupt konnte er an der<lb/> Lehre von den ſieben Sacramenten nun nicht mehr feſt-<lb/> halten. Thomas von Aquino führt mit Vorliebe aus,<lb/> wie die Ordnung derſelben dem natürlichen und ſocialen<lb/> Leben des Menſchen entſpreche: die Taufe der Geburt, die<lb/> Firmelung dem Wachsthum, die Euchariſtie der Nahrung,<lb/> die Buße der Arznei bei etwa eintretender Krankheit, die<lb/> letzte Ölung der völligen Heilung, ferner die Weihe den<lb/> öffentlichen Geſchäften, die Ehe heilige die natürliche Fort-<lb/> pflanzung: <note place="foot" n="1"><hi rendition="#aq">Tertia pars qu. LXV, conclusio.</hi></note> allein das waren keine Vorſtellungen die auf<lb/> Luther Eindruck gemacht hätten: er fragte nur, was deut-<lb/> lich in der Schrift zu leſen ſey, welche unmittelbare Be-<lb/> ziehung ein Ritus auf Glauben und Erlöſung habe: er<lb/> verwarf, und zwar faſt mit denſelben Argumenten die ſich<lb/> ſchon in der Confeſſion der mähriſchen Brüder finden, die<lb/> vier übrigen Sacramente und blieb nur bei Taufe, Abend-<lb/> mahl und Buße ſtehen. Nicht einmal von dem römiſchen<lb/> Stuhl könne man die andern herleiten: ſie ſeyen nur ein<lb/> Product der hohen Schulen, denen freilich der römiſche<lb/> Stuhl alles verdanke was er beſitze. <note place="foot" n="2"><hi rendition="#aq">Neque enim staret tyrannis papistica tanta, nisi tantum<lb/> accepisset ab universitatibus, cum vix fuerit inter celebres epi-<lb/> scopatus alius quispiam qui minus habuerit eruditionem ponti-<lb/> ficum.</hi></note> Ein großer Un-<lb/> terſchied ſey auch deshalb zwiſchen dem alten Papſtthum<lb/> vor tauſend Jahren und dem neuen.</p><lb/> <p>Wie erhoben ſich da die feindlichen Weltanſichten ſo<lb/> gewaltig gegen einander! Indem der päpſtliche Stuhl alle<lb/> Gerechtſame die er ſich bei dem Aufbau ſeines geiſtlich-<lb/> weltlichen Staates während der mittleren Jahrhunderte er-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [440/0458]
Zweites Buch. Drittes Capitel.
ob ſie es befolgen wolle. Überhaupt konnte er an der
Lehre von den ſieben Sacramenten nun nicht mehr feſt-
halten. Thomas von Aquino führt mit Vorliebe aus,
wie die Ordnung derſelben dem natürlichen und ſocialen
Leben des Menſchen entſpreche: die Taufe der Geburt, die
Firmelung dem Wachsthum, die Euchariſtie der Nahrung,
die Buße der Arznei bei etwa eintretender Krankheit, die
letzte Ölung der völligen Heilung, ferner die Weihe den
öffentlichen Geſchäften, die Ehe heilige die natürliche Fort-
pflanzung: 1 allein das waren keine Vorſtellungen die auf
Luther Eindruck gemacht hätten: er fragte nur, was deut-
lich in der Schrift zu leſen ſey, welche unmittelbare Be-
ziehung ein Ritus auf Glauben und Erlöſung habe: er
verwarf, und zwar faſt mit denſelben Argumenten die ſich
ſchon in der Confeſſion der mähriſchen Brüder finden, die
vier übrigen Sacramente und blieb nur bei Taufe, Abend-
mahl und Buße ſtehen. Nicht einmal von dem römiſchen
Stuhl könne man die andern herleiten: ſie ſeyen nur ein
Product der hohen Schulen, denen freilich der römiſche
Stuhl alles verdanke was er beſitze. 2 Ein großer Un-
terſchied ſey auch deshalb zwiſchen dem alten Papſtthum
vor tauſend Jahren und dem neuen.
Wie erhoben ſich da die feindlichen Weltanſichten ſo
gewaltig gegen einander! Indem der päpſtliche Stuhl alle
Gerechtſame die er ſich bei dem Aufbau ſeines geiſtlich-
weltlichen Staates während der mittleren Jahrhunderte er-
1 Tertia pars qu. LXV, conclusio.
2 Neque enim staret tyrannis papistica tanta, nisi tantum
accepisset ab universitatibus, cum vix fuerit inter celebres epi-
scopatus alius quispiam qui minus habuerit eruditionem ponti-
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