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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839.

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Zweites Buch. Viertes Capitel.

Bei den übrigen Bestimmungen hatte er Deutschland,
sein Verhältniß zu dem Innern des Reiches, das Interesse
seiner Verwandtschaft im Auge behalten können: die luthe-
rische Bewegung war dagegen so weitaussehend, daß sie so-
gleich die wichtigsten auswärtigen Verhältnisse berührte.

Carl V war ein Kind und Zögling jenes burgundi-
schen Hofes, der sich hauptsächlich aus französischen Ele-
menten unter Philipp dem Guten und Carl dem Kühnen
zusammengesetzt und der Weltstellung dieser Fürsten gemäß
seine eigene Politik entwickelt hatte. Auch Ferdinand dem
Katholischen und dem Kaiser Maximilian gegenüber hatte
dieser Hof sein[e] Gesichtspuncte selbständig, mit dem ersten
nicht selten in offener Feindseligkeit, festgehalten und ver-
folgt. Die Aussichten die unter Carl dem Kühnen ins
Auge gefaßt, unter Philipp I eröffnet worden, schienen sich
durch die Stellung und die Rechte Carls V vollenden zu
müssen. Der Hof von Brüssel, der nicht einmal eigentlich
souverän war und über keine bedeutenden Kräfte gebot, sah
sich kraft der Erbrechte seines Fürsten berufen, die größte
Rolle in Europa zu spielen. Es kam ihm wie sich ver-
steht zunächst alles darauf an sich in Besitz zu setzen.

In dieser Absicht war die niederländische Politik durch
die Erzherzogin Margaretha und Herrn von Chievres auf
das umsichtigste und glücklichste geleitet worden. Man hatte
die Niederlande durch Friesland erweitert, durch die Be-
setzung des Bisthums Utrecht mit einem Verwandten des
Hauses und die engsten Verhältnisse zu Lüttich und Cleve
gesichert. Man hatte die Kronen von Castilien und Ara-
gon mit allen dazu gehörigen Nebenländern in Besitz ge-

Zweites Buch. Viertes Capitel.

Bei den übrigen Beſtimmungen hatte er Deutſchland,
ſein Verhältniß zu dem Innern des Reiches, das Intereſſe
ſeiner Verwandtſchaft im Auge behalten können: die luthe-
riſche Bewegung war dagegen ſo weitausſehend, daß ſie ſo-
gleich die wichtigſten auswärtigen Verhältniſſe berührte.

Carl V war ein Kind und Zögling jenes burgundi-
ſchen Hofes, der ſich hauptſächlich aus franzöſiſchen Ele-
menten unter Philipp dem Guten und Carl dem Kühnen
zuſammengeſetzt und der Weltſtellung dieſer Fürſten gemäß
ſeine eigene Politik entwickelt hatte. Auch Ferdinand dem
Katholiſchen und dem Kaiſer Maximilian gegenüber hatte
dieſer Hof ſein[e] Geſichtspuncte ſelbſtändig, mit dem erſten
nicht ſelten in offener Feindſeligkeit, feſtgehalten und ver-
folgt. Die Ausſichten die unter Carl dem Kühnen ins
Auge gefaßt, unter Philipp I eröffnet worden, ſchienen ſich
durch die Stellung und die Rechte Carls V vollenden zu
müſſen. Der Hof von Brüſſel, der nicht einmal eigentlich
ſouverän war und über keine bedeutenden Kräfte gebot, ſah
ſich kraft der Erbrechte ſeines Fürſten berufen, die größte
Rolle in Europa zu ſpielen. Es kam ihm wie ſich ver-
ſteht zunächſt alles darauf an ſich in Beſitz zu ſetzen.

In dieſer Abſicht war die niederländiſche Politik durch
die Erzherzogin Margaretha und Herrn von Chievres auf
das umſichtigſte und glücklichſte geleitet worden. Man hatte
die Niederlande durch Friesland erweitert, durch die Be-
ſetzung des Bisthums Utrecht mit einem Verwandten des
Hauſes und die engſten Verhältniſſe zu Lüttich und Cleve
geſichert. Man hatte die Kronen von Caſtilien und Ara-
gon mit allen dazu gehörigen Nebenländern in Beſitz ge-

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[466/0484] Zweites Buch. Viertes Capitel. Bei den übrigen Beſtimmungen hatte er Deutſchland, ſein Verhältniß zu dem Innern des Reiches, das Intereſſe ſeiner Verwandtſchaft im Auge behalten können: die luthe- riſche Bewegung war dagegen ſo weitausſehend, daß ſie ſo- gleich die wichtigſten auswärtigen Verhältniſſe berührte. Carl V war ein Kind und Zögling jenes burgundi- ſchen Hofes, der ſich hauptſächlich aus franzöſiſchen Ele- menten unter Philipp dem Guten und Carl dem Kühnen zuſammengeſetzt und der Weltſtellung dieſer Fürſten gemäß ſeine eigene Politik entwickelt hatte. Auch Ferdinand dem Katholiſchen und dem Kaiſer Maximilian gegenüber hatte dieſer Hof ſeine Geſichtspuncte ſelbſtändig, mit dem erſten nicht ſelten in offener Feindſeligkeit, feſtgehalten und ver- folgt. Die Ausſichten die unter Carl dem Kühnen ins Auge gefaßt, unter Philipp I eröffnet worden, ſchienen ſich durch die Stellung und die Rechte Carls V vollenden zu müſſen. Der Hof von Brüſſel, der nicht einmal eigentlich ſouverän war und über keine bedeutenden Kräfte gebot, ſah ſich kraft der Erbrechte ſeines Fürſten berufen, die größte Rolle in Europa zu ſpielen. Es kam ihm wie ſich ver- ſteht zunächſt alles darauf an ſich in Beſitz zu ſetzen. In dieſer Abſicht war die niederländiſche Politik durch die Erzherzogin Margaretha und Herrn von Chievres auf das umſichtigſte und glücklichſte geleitet worden. Man hatte die Niederlande durch Friesland erweitert, durch die Be- ſetzung des Bisthums Utrecht mit einem Verwandten des Hauſes und die engſten Verhältniſſe zu Lüttich und Cleve geſichert. Man hatte die Kronen von Caſtilien und Ara- gon mit allen dazu gehörigen Nebenländern in Beſitz ge-

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 466. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/484>, abgerufen am 22.11.2024.