Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweites Buch. Viertes Capitel.
zug über die Alpen mit den Kräften der spanischen König-
reiche zu Hülfe kommen konnte, wodurch es eben eine Be-
deutung empfieng wie noch niemals. Schon die Proposition
am Reichstag zeigte daß der junge Kaiser dazu entschlos-
sen war: während der Verhandlungen war wiederholt von
der Recuperation der abgekommenen Reichslande die Rede:
dazu wurden die Bewilligungen des Reichstags gemacht:
von Worms aus ward mit den Schweizern unterhandelt.

Da konnte nun von der Erhaltung des Friedens mit
Frankreich nicht weiter die Rede seyn: das Land, auf das
es vor allem ankam, das Herzogthum Mailand hatte
Franz I in Besitz, ohne die Lehen jemals empfangen oder
auch nur nachgesucht zu haben: eben diesem mußten die
Unternehmungen des Kaisers zunächst gelten. Im Hin-
tergrunde der sich allmählig entwickelnden Gedanken la-
gen noch andre Pläne, z. B. auf das von Ludwig XI
eingezogene Herzogthum Burgund, dessen Verlust man in
den Niederlanden noch immer nicht verschmerzen konnte.

Was sich lange im Stillen vorbereitet, die Bildung
zwei großer europäischer Mächte im Gegensatz mit einan-
der, das trat in diesem Moment in volle Erscheinung.
Das gewaltige Frankreich, durch seine innere Einheit und
seine mannichfaltigen Verbindungen wie im Anfang des
vierzehnten, so nach der Vertreibung der Engländer auch
später im funfzehnten und anfangenden sechszehnten Jahr-
hundert ohne Zweifel die größte Macht von Europa, sah
sich von dem allmählig emporgekommenen Vasallen, den
es schon erdrückt zu haben glaubte, aber der durch einige
leichte und glückliche Familienverbindungen zu der reichsten

Zweites Buch. Viertes Capitel.
zug über die Alpen mit den Kräften der ſpaniſchen König-
reiche zu Hülfe kommen konnte, wodurch es eben eine Be-
deutung empfieng wie noch niemals. Schon die Propoſition
am Reichstag zeigte daß der junge Kaiſer dazu entſchloſ-
ſen war: während der Verhandlungen war wiederholt von
der Recuperation der abgekommenen Reichslande die Rede:
dazu wurden die Bewilligungen des Reichstags gemacht:
von Worms aus ward mit den Schweizern unterhandelt.

Da konnte nun von der Erhaltung des Friedens mit
Frankreich nicht weiter die Rede ſeyn: das Land, auf das
es vor allem ankam, das Herzogthum Mailand hatte
Franz I in Beſitz, ohne die Lehen jemals empfangen oder
auch nur nachgeſucht zu haben: eben dieſem mußten die
Unternehmungen des Kaiſers zunächſt gelten. Im Hin-
tergrunde der ſich allmählig entwickelnden Gedanken la-
gen noch andre Pläne, z. B. auf das von Ludwig XI
eingezogene Herzogthum Burgund, deſſen Verluſt man in
den Niederlanden noch immer nicht verſchmerzen konnte.

Was ſich lange im Stillen vorbereitet, die Bildung
zwei großer europäiſcher Mächte im Gegenſatz mit einan-
der, das trat in dieſem Moment in volle Erſcheinung.
Das gewaltige Frankreich, durch ſeine innere Einheit und
ſeine mannichfaltigen Verbindungen wie im Anfang des
vierzehnten, ſo nach der Vertreibung der Engländer auch
ſpäter im funfzehnten und anfangenden ſechszehnten Jahr-
hundert ohne Zweifel die größte Macht von Europa, ſah
ſich von dem allmählig emporgekommenen Vaſallen, den
es ſchon erdrückt zu haben glaubte, aber der durch einige
leichte und glückliche Familienverbindungen zu der reichſten

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0486" n="468"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweites Buch. Viertes Capitel</hi>.</fw><lb/>
zug über die Alpen mit den Kräften der &#x017F;pani&#x017F;chen König-<lb/>
reiche zu Hülfe kommen konnte, wodurch es eben eine Be-<lb/>
deutung empfieng wie noch niemals. Schon die Propo&#x017F;ition<lb/>
am Reichstag zeigte daß der junge Kai&#x017F;er dazu ent&#x017F;chlo&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en war: während der Verhandlungen war wiederholt von<lb/>
der Recuperation der abgekommenen Reichslande die Rede:<lb/>
dazu wurden die Bewilligungen des Reichstags gemacht:<lb/>
von Worms aus ward mit den Schweizern unterhandelt.</p><lb/>
            <p>Da konnte nun von der Erhaltung des Friedens mit<lb/>
Frankreich nicht weiter die Rede &#x017F;eyn: das Land, auf das<lb/>
es vor allem ankam, das Herzogthum Mailand hatte<lb/>
Franz <hi rendition="#aq">I</hi> in Be&#x017F;itz, ohne die Lehen jemals empfangen oder<lb/>
auch nur nachge&#x017F;ucht zu haben: eben die&#x017F;em mußten die<lb/>
Unternehmungen des Kai&#x017F;ers zunäch&#x017F;t gelten. Im Hin-<lb/>
tergrunde der &#x017F;ich allmählig entwickelnden Gedanken la-<lb/>
gen noch andre Pläne, z. B. auf das von Ludwig <hi rendition="#aq">XI</hi><lb/>
eingezogene Herzogthum Burgund, de&#x017F;&#x017F;en Verlu&#x017F;t man in<lb/>
den Niederlanden noch immer nicht ver&#x017F;chmerzen konnte.</p><lb/>
            <p>Was &#x017F;ich lange im Stillen vorbereitet, die Bildung<lb/>
zwei großer europäi&#x017F;cher Mächte im Gegen&#x017F;atz mit einan-<lb/>
der, das trat in die&#x017F;em Moment in volle Er&#x017F;cheinung.<lb/>
Das gewaltige Frankreich, durch &#x017F;eine innere Einheit und<lb/>
&#x017F;eine mannichfaltigen Verbindungen wie im Anfang des<lb/>
vierzehnten, &#x017F;o nach der Vertreibung der Engländer auch<lb/>
&#x017F;päter im funfzehnten und anfangenden &#x017F;echszehnten Jahr-<lb/>
hundert ohne Zweifel die größte Macht von Europa, &#x017F;ah<lb/>
&#x017F;ich von dem allmählig emporgekommenen Va&#x017F;allen, den<lb/>
es &#x017F;chon erdrückt zu haben glaubte, aber der durch einige<lb/>
leichte und glückliche Familienverbindungen zu der reich&#x017F;ten<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[468/0486] Zweites Buch. Viertes Capitel. zug über die Alpen mit den Kräften der ſpaniſchen König- reiche zu Hülfe kommen konnte, wodurch es eben eine Be- deutung empfieng wie noch niemals. Schon die Propoſition am Reichstag zeigte daß der junge Kaiſer dazu entſchloſ- ſen war: während der Verhandlungen war wiederholt von der Recuperation der abgekommenen Reichslande die Rede: dazu wurden die Bewilligungen des Reichstags gemacht: von Worms aus ward mit den Schweizern unterhandelt. Da konnte nun von der Erhaltung des Friedens mit Frankreich nicht weiter die Rede ſeyn: das Land, auf das es vor allem ankam, das Herzogthum Mailand hatte Franz I in Beſitz, ohne die Lehen jemals empfangen oder auch nur nachgeſucht zu haben: eben dieſem mußten die Unternehmungen des Kaiſers zunächſt gelten. Im Hin- tergrunde der ſich allmählig entwickelnden Gedanken la- gen noch andre Pläne, z. B. auf das von Ludwig XI eingezogene Herzogthum Burgund, deſſen Verluſt man in den Niederlanden noch immer nicht verſchmerzen konnte. Was ſich lange im Stillen vorbereitet, die Bildung zwei großer europäiſcher Mächte im Gegenſatz mit einan- der, das trat in dieſem Moment in volle Erſcheinung. Das gewaltige Frankreich, durch ſeine innere Einheit und ſeine mannichfaltigen Verbindungen wie im Anfang des vierzehnten, ſo nach der Vertreibung der Engländer auch ſpäter im funfzehnten und anfangenden ſechszehnten Jahr- hundert ohne Zweifel die größte Macht von Europa, ſah ſich von dem allmählig emporgekommenen Vaſallen, den es ſchon erdrückt zu haben glaubte, aber der durch einige leichte und glückliche Familienverbindungen zu der reichſten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/486
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 468. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/486>, abgerufen am 16.06.2024.