In langen Perioden hatte sich eine Entwickelung voll- zogen, deren Umrisse sich, wie mir scheint, in wenigen Sätzen bezeichnen lassen.
Den unmittelbar aus den Gründungen Carls des Gro- ßen hervorgehenden Ansprüchen der Geistlichkeit, Europa nach ihren hierarchischen Gesichtspuncten zu beherrschen, waren die vereinigten Deutschen, noch durchdrungen von den nationalen Ideen des alten Germaniens, entgegengetre- ten und hatten das Kaiserthum gegründet. Unglücklicher- weise aber vermochte das Kaiserthum nicht zu vollkommen ruhigem und festem Bestand zu gelangen; in der Entzweiung, in welche die zur Gewalt geneigten Herrscher und die wi- derspenstigen Vasallen gar bald geriethen, geschah es doch, daß sowohl die Einen als die Andern das geistliche Ele- ment wieder beförderten. Zuerst sahen die Kaiser in einer starken Geistlichkeit das Mittel ihre Großen im Zaum zu halten, und theilten ihr freigebig Besitzthümer, Regierungs- rechte zu. Hierauf aber, als sich in dem Papstthum und der geistlichen Corporation überhaupt Ideen der Befreiung regten, fanden es auch die weltlichen Großen so übel nicht, wenn der Kaiser dieses Rückhaltes, dieses Mittels der Ge- walt beraubt würde: die Schwächung der kaiserlichen Macht kam auch ihnen gar sehr zu Statten. So geschah daß dieses geistliche Element durch ihre entzweiten Gegner be- fördert zuletzt doch zu einem entschiedenen Übergewicht ge- langte.
Allerdings kam nun in dem 12ten, 13ten Jahrhun- dert etwas ganz anderes zu Stande, als im 9ten gesche- hen seyn würde. Die weltliche Macht konnte herabgewür- digt, nicht vernichtet werden: ein vollkommenes Priester-
Verhältniß d. Papſtthums zu dem Fürſtenthum.
In langen Perioden hatte ſich eine Entwickelung voll- zogen, deren Umriſſe ſich, wie mir ſcheint, in wenigen Sätzen bezeichnen laſſen.
Den unmittelbar aus den Gründungen Carls des Gro- ßen hervorgehenden Anſprüchen der Geiſtlichkeit, Europa nach ihren hierarchiſchen Geſichtspuncten zu beherrſchen, waren die vereinigten Deutſchen, noch durchdrungen von den nationalen Ideen des alten Germaniens, entgegengetre- ten und hatten das Kaiſerthum gegründet. Unglücklicher- weiſe aber vermochte das Kaiſerthum nicht zu vollkommen ruhigem und feſtem Beſtand zu gelangen; in der Entzweiung, in welche die zur Gewalt geneigten Herrſcher und die wi- derſpenſtigen Vaſallen gar bald geriethen, geſchah es doch, daß ſowohl die Einen als die Andern das geiſtliche Ele- ment wieder beförderten. Zuerſt ſahen die Kaiſer in einer ſtarken Geiſtlichkeit das Mittel ihre Großen im Zaum zu halten, und theilten ihr freigebig Beſitzthümer, Regierungs- rechte zu. Hierauf aber, als ſich in dem Papſtthum und der geiſtlichen Corporation überhaupt Ideen der Befreiung regten, fanden es auch die weltlichen Großen ſo übel nicht, wenn der Kaiſer dieſes Rückhaltes, dieſes Mittels der Ge- walt beraubt würde: die Schwächung der kaiſerlichen Macht kam auch ihnen gar ſehr zu Statten. So geſchah daß dieſes geiſtliche Element durch ihre entzweiten Gegner be- fördert zuletzt doch zu einem entſchiedenen Übergewicht ge- langte.
Allerdings kam nun in dem 12ten, 13ten Jahrhun- dert etwas ganz anderes zu Stande, als im 9ten geſche- hen ſeyn würde. Die weltliche Macht konnte herabgewür- digt, nicht vernichtet werden: ein vollkommenes Prieſter-
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Verhältniß d. Papſtthums zu dem Fürſtenthum.
In langen Perioden hatte ſich eine Entwickelung voll-
zogen, deren Umriſſe ſich, wie mir ſcheint, in wenigen Sätzen
bezeichnen laſſen.
Den unmittelbar aus den Gründungen Carls des Gro-
ßen hervorgehenden Anſprüchen der Geiſtlichkeit, Europa
nach ihren hierarchiſchen Geſichtspuncten zu beherrſchen,
waren die vereinigten Deutſchen, noch durchdrungen von
den nationalen Ideen des alten Germaniens, entgegengetre-
ten und hatten das Kaiſerthum gegründet. Unglücklicher-
weiſe aber vermochte das Kaiſerthum nicht zu vollkommen
ruhigem und feſtem Beſtand zu gelangen; in der Entzweiung,
in welche die zur Gewalt geneigten Herrſcher und die wi-
derſpenſtigen Vaſallen gar bald geriethen, geſchah es doch,
daß ſowohl die Einen als die Andern das geiſtliche Ele-
ment wieder beförderten. Zuerſt ſahen die Kaiſer in einer
ſtarken Geiſtlichkeit das Mittel ihre Großen im Zaum zu
halten, und theilten ihr freigebig Beſitzthümer, Regierungs-
rechte zu. Hierauf aber, als ſich in dem Papſtthum und
der geiſtlichen Corporation überhaupt Ideen der Befreiung
regten, fanden es auch die weltlichen Großen ſo übel nicht,
wenn der Kaiſer dieſes Rückhaltes, dieſes Mittels der Ge-
walt beraubt würde: die Schwächung der kaiſerlichen Macht
kam auch ihnen gar ſehr zu Statten. So geſchah daß
dieſes geiſtliche Element durch ihre entzweiten Gegner be-
fördert zuletzt doch zu einem entſchiedenen Übergewicht ge-
langte.
Allerdings kam nun in dem 12ten, 13ten Jahrhun-
dert etwas ganz anderes zu Stande, als im 9ten geſche-
hen ſeyn würde. Die weltliche Macht konnte herabgewür-
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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/61>, abgerufen am 24.11.2024.
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