Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839.Einleitung. stiftete Eidgenossenschaft bereits zu einer festen Landesver-fassung und dem Genusse einer beinahe vollständigen Un- abhängigkeit erweitert. Überall finden wir andre Verhält- nisse, andre Ansprüche und Streitigkeiten, andre Mittel des Kampfes; aber überall hält man sich mit einer jeden Augen- blick in Flammen zu setzenden Feindseligkeit gleichsam um- faßt, umspannt, zum Kampfe fertig. Noch immer konnte die Meinung auftauchen, als werde in diesen Gegensätzen das städtische Prinzip am Ende vielleicht doch noch die Oberhand erlangen, und dem Herrenstand eben so verderb- lich werden wie dieser dem Kaiserthum. Bei diesem Gegeneinanderlaufen aller lebendigen Be- 1 Z. B. verordnet die Reformation Friedrichs III von 1442
"daß nymand dem andern Schaden tun oder zufügen soll, er habe ihn denn zuvor -- zu landläufigen Rechten erfordert." Es werden nun die Bestimmungen der goldnen Bulle de diffidationibus wiederholt. Einleitung. ſtiftete Eidgenoſſenſchaft bereits zu einer feſten Landesver-faſſung und dem Genuſſe einer beinahe vollſtändigen Un- abhängigkeit erweitert. Überall finden wir andre Verhält- niſſe, andre Anſprüche und Streitigkeiten, andre Mittel des Kampfes; aber überall hält man ſich mit einer jeden Augen- blick in Flammen zu ſetzenden Feindſeligkeit gleichſam um- faßt, umſpannt, zum Kampfe fertig. Noch immer konnte die Meinung auftauchen, als werde in dieſen Gegenſätzen das ſtädtiſche Prinzip am Ende vielleicht doch noch die Oberhand erlangen, und dem Herrenſtand eben ſo verderb- lich werden wie dieſer dem Kaiſerthum. Bei dieſem Gegeneinanderlaufen aller lebendigen Be- 1 Z. B. verordnet die Reformation Friedrichs III von 1442
„daß nymand dem andern Schaden tun oder zufuͤgen ſoll, er habe ihn denn zuvor — zu landlaͤufigen Rechten erfordert.“ Es werden nun die Beſtimmungen der goldnen Bulle de diffidationibus wiederholt. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0086" n="68"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Einleitung</hi>.</fw><lb/> ſtiftete Eidgenoſſenſchaft bereits zu einer feſten Landesver-<lb/> faſſung und dem Genuſſe einer beinahe vollſtändigen Un-<lb/> abhängigkeit erweitert. Überall finden wir andre Verhält-<lb/> niſſe, andre Anſprüche und Streitigkeiten, andre Mittel des<lb/> Kampfes; aber überall hält man ſich mit einer jeden Augen-<lb/> blick in Flammen zu ſetzenden Feindſeligkeit gleichſam um-<lb/> faßt, umſpannt, zum Kampfe fertig. Noch immer konnte<lb/> die Meinung auftauchen, als werde in dieſen Gegenſätzen<lb/> das ſtädtiſche Prinzip am Ende vielleicht doch noch die<lb/> Oberhand erlangen, und dem Herrenſtand eben ſo verderb-<lb/> lich werden wie dieſer dem Kaiſerthum.</p><lb/> <p>Bei dieſem Gegeneinanderlaufen aller lebendigen Be-<lb/> ſtrebungen und Kräfte, bei der Entfernung und Macht-<lb/> loſigkeit des Oberhauptes, und da ſich auch unter den<lb/> Zuſammengehörenden, Natürlich-verbündeten Entzweiun-<lb/> gen nicht vermeiden ließen, mußte ein Zuſtand eintreten,<lb/> deſſen Anblick etwas Chaotiſches hat; es waren die Zei-<lb/> ten der allgemeinen Fehde. Die Fehde iſt ein Mittelding<lb/> zwiſchen Duell und Krieg. Jede Beleidigung und Ver-<lb/> letzung führt nach einigen Formalitäten zu der Erklärung<lb/> an den Gegner, daß man ſein, ſeiner Helfer und Helfers-<lb/> helfer Feind ſeyn wolle. Die Reichsgewalten fühlen ſich ſo<lb/> wenig vermögend dem zu ſteuern, daß ſie nur Beſchränkun-<lb/> gen feſtzuſetzen ſuchen, und in ihren bedingten Verboten doch<lb/> zugleich wieder die Erlaubniß ausſprechen. <note place="foot" n="1">Z. B. verordnet die Reformation Friedrichs <hi rendition="#aq">III</hi> von 1442<lb/> „daß nymand dem andern Schaden tun oder zufuͤgen ſoll, er habe<lb/> ihn denn zuvor — zu landlaͤufigen Rechten erfordert.“ Es werden nun<lb/> die Beſtimmungen der goldnen Bulle <hi rendition="#aq">de diffidationibus</hi> wiederholt.</note> Das Recht, das<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [68/0086]
Einleitung.
ſtiftete Eidgenoſſenſchaft bereits zu einer feſten Landesver-
faſſung und dem Genuſſe einer beinahe vollſtändigen Un-
abhängigkeit erweitert. Überall finden wir andre Verhält-
niſſe, andre Anſprüche und Streitigkeiten, andre Mittel des
Kampfes; aber überall hält man ſich mit einer jeden Augen-
blick in Flammen zu ſetzenden Feindſeligkeit gleichſam um-
faßt, umſpannt, zum Kampfe fertig. Noch immer konnte
die Meinung auftauchen, als werde in dieſen Gegenſätzen
das ſtädtiſche Prinzip am Ende vielleicht doch noch die
Oberhand erlangen, und dem Herrenſtand eben ſo verderb-
lich werden wie dieſer dem Kaiſerthum.
Bei dieſem Gegeneinanderlaufen aller lebendigen Be-
ſtrebungen und Kräfte, bei der Entfernung und Macht-
loſigkeit des Oberhauptes, und da ſich auch unter den
Zuſammengehörenden, Natürlich-verbündeten Entzweiun-
gen nicht vermeiden ließen, mußte ein Zuſtand eintreten,
deſſen Anblick etwas Chaotiſches hat; es waren die Zei-
ten der allgemeinen Fehde. Die Fehde iſt ein Mittelding
zwiſchen Duell und Krieg. Jede Beleidigung und Ver-
letzung führt nach einigen Formalitäten zu der Erklärung
an den Gegner, daß man ſein, ſeiner Helfer und Helfers-
helfer Feind ſeyn wolle. Die Reichsgewalten fühlen ſich ſo
wenig vermögend dem zu ſteuern, daß ſie nur Beſchränkun-
gen feſtzuſetzen ſuchen, und in ihren bedingten Verboten doch
zugleich wieder die Erlaubniß ausſprechen. 1 Das Recht, das
1 Z. B. verordnet die Reformation Friedrichs III von 1442
„daß nymand dem andern Schaden tun oder zufuͤgen ſoll, er habe
ihn denn zuvor — zu landlaͤufigen Rechten erfordert.“ Es werden nun
die Beſtimmungen der goldnen Bulle de diffidationibus wiederholt.
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