Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839.Drittes Buch. Erstes Capitel. möge ein kaiserlicher Befehl etwas gegen das unwandelbareGottes Wort. Sey nicht vielmehr die Meinung eines Für- sten veränderlich? Der Kaiser, meint er, werde mit der Zeit schon anders denken lernen. 1 Diese römischen Agen- ten waren selbst erstaunt, daß die mit so vieler Mühe aus- gebrachte Verordnung so wenig nutzte. Sie sagten, noch sey die Tinte kaum trocken, mit welcher der Kaiser das Edict unterzeichnet, so werde es schon allenthalben gebro- chen. Sie sollen sich damit getröstet haben, wenn es zu weiter nichts führe, so sey doch damit der Grund zu einer unausbleiblichen Entzweiung zwischen den Deutschen selbst gelegt. Vor allem war es bedeutend, daß die Universität Wit- 1 Invectiva in Aleandrum. Opera IV, 240. 2 Spalatini Annales 1521 Octob. "Scholastici, quorum
supra millia ibi tum fuerunt." Im Laufe des Winters ward je- doch die Universität den Braunschweigischen und Brandenburgischen Unterthanen von ihren Fürsten verboten. Mencken Scriptt. II, 611. Auch nahmen die Inscriptionen besonders im Wintersemester bedeu- tend ab. Sennert p. 59. Drittes Buch. Erſtes Capitel. möge ein kaiſerlicher Befehl etwas gegen das unwandelbareGottes Wort. Sey nicht vielmehr die Meinung eines Für- ſten veränderlich? Der Kaiſer, meint er, werde mit der Zeit ſchon anders denken lernen. 1 Dieſe römiſchen Agen- ten waren ſelbſt erſtaunt, daß die mit ſo vieler Mühe aus- gebrachte Verordnung ſo wenig nutzte. Sie ſagten, noch ſey die Tinte kaum trocken, mit welcher der Kaiſer das Edict unterzeichnet, ſo werde es ſchon allenthalben gebro- chen. Sie ſollen ſich damit getröſtet haben, wenn es zu weiter nichts führe, ſo ſey doch damit der Grund zu einer unausbleiblichen Entzweiung zwiſchen den Deutſchen ſelbſt gelegt. Vor allem war es bedeutend, daß die Univerſität Wit- 1 Invectiva in Aleandrum. Opera IV, 240. 2 Spalatini Annales 1521 Octob. „Scholastici, quorum
supra millia ibi tum fuerunt.“ Im Laufe des Winters ward je- doch die Univerſitaͤt den Braunſchweigiſchen und Brandenburgiſchen Unterthanen von ihren Fuͤrſten verboten. Mencken Scriptt. II, 611. Auch nahmen die Inſcriptionen beſonders im Winterſemeſter bedeu- tend ab. Sennert p. 59. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0020" n="10"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Drittes Buch. Erſtes Capitel</hi>.</fw><lb/> möge ein kaiſerlicher Befehl etwas gegen das unwandelbare<lb/> Gottes Wort. Sey nicht vielmehr die Meinung eines Für-<lb/> ſten veränderlich? Der Kaiſer, meint er, werde mit der<lb/> Zeit ſchon anders denken lernen. <note place="foot" n="1"><hi rendition="#aq">Invectiva in Aleandrum. Opera IV,</hi> 240.</note> Dieſe römiſchen Agen-<lb/> ten waren ſelbſt erſtaunt, daß die mit ſo vieler Mühe aus-<lb/> gebrachte Verordnung ſo wenig nutzte. Sie ſagten, noch<lb/> ſey die Tinte kaum trocken, mit welcher der Kaiſer das<lb/> Edict unterzeichnet, ſo werde es ſchon allenthalben gebro-<lb/> chen. Sie ſollen ſich damit getröſtet haben, wenn es zu<lb/> weiter nichts führe, ſo ſey doch damit der Grund zu einer<lb/> unausbleiblichen Entzweiung zwiſchen den Deutſchen ſelbſt<lb/> gelegt.</p><lb/> <p>Vor allem war es bedeutend, daß die Univerſität Wit-<lb/> tenberg von dem kaiſerlichen Edict ſo wenig berührt wurde,<lb/> wie früher von der päpſtlichen Bulle. Hier hatten die<lb/> neuen Doctrinen bereits ein von der Perſönlichkeit und un-<lb/> mittelbaren Theilnahme Luthers unabhängiges Leben ge-<lb/> wonnen, und die Blüthe der deutſchen Jugend ſtrömte her-<lb/> bei, ſie in ſich aufzunehmen; es trug fürs Erſte wenig<lb/> aus, ob Luther zugegen war oder nicht; die Hörſäle wa-<lb/> ren eben ſo voll: <note place="foot" n="2"><hi rendition="#aq">Spalatini Annales 1521 Octob. „Scholastici, quorum<lb/> supra millia ibi tum fuerunt.“</hi> Im Laufe des Winters ward je-<lb/> doch die Univerſitaͤt den Braunſchweigiſchen und Brandenburgiſchen<lb/> Unterthanen von ihren Fuͤrſten verboten. Mencken <hi rendition="#aq">Scriptt. II,</hi> 611.<lb/> Auch nahmen die Inſcriptionen beſonders im Winterſemeſter bedeu-<lb/> tend ab. Sennert <hi rendition="#aq">p.</hi> 59.</note> ſeine Grundſätze wurden in Vortrag und<lb/> Schrift mit dem gleichen Eifer verfochten. Ja die kühnſte<lb/> Stellung nahm in dieſem Augenblick die neue kleine Uni-<lb/> verſität. Als die Sorbonne ihr Stillſchweigen endlich<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [10/0020]
Drittes Buch. Erſtes Capitel.
möge ein kaiſerlicher Befehl etwas gegen das unwandelbare
Gottes Wort. Sey nicht vielmehr die Meinung eines Für-
ſten veränderlich? Der Kaiſer, meint er, werde mit der
Zeit ſchon anders denken lernen. 1 Dieſe römiſchen Agen-
ten waren ſelbſt erſtaunt, daß die mit ſo vieler Mühe aus-
gebrachte Verordnung ſo wenig nutzte. Sie ſagten, noch
ſey die Tinte kaum trocken, mit welcher der Kaiſer das
Edict unterzeichnet, ſo werde es ſchon allenthalben gebro-
chen. Sie ſollen ſich damit getröſtet haben, wenn es zu
weiter nichts führe, ſo ſey doch damit der Grund zu einer
unausbleiblichen Entzweiung zwiſchen den Deutſchen ſelbſt
gelegt.
Vor allem war es bedeutend, daß die Univerſität Wit-
tenberg von dem kaiſerlichen Edict ſo wenig berührt wurde,
wie früher von der päpſtlichen Bulle. Hier hatten die
neuen Doctrinen bereits ein von der Perſönlichkeit und un-
mittelbaren Theilnahme Luthers unabhängiges Leben ge-
wonnen, und die Blüthe der deutſchen Jugend ſtrömte her-
bei, ſie in ſich aufzunehmen; es trug fürs Erſte wenig
aus, ob Luther zugegen war oder nicht; die Hörſäle wa-
ren eben ſo voll: 2 ſeine Grundſätze wurden in Vortrag und
Schrift mit dem gleichen Eifer verfochten. Ja die kühnſte
Stellung nahm in dieſem Augenblick die neue kleine Uni-
verſität. Als die Sorbonne ihr Stillſchweigen endlich
1 Invectiva in Aleandrum. Opera IV, 240.
2 Spalatini Annales 1521 Octob. „Scholastici, quorum
supra millia ibi tum fuerunt.“ Im Laufe des Winters ward je-
doch die Univerſitaͤt den Braunſchweigiſchen und Brandenburgiſchen
Unterthanen von ihren Fuͤrſten verboten. Mencken Scriptt. II, 611.
Auch nahmen die Inſcriptionen beſonders im Winterſemeſter bedeu-
tend ab. Sennert p. 59.
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