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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839.

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Drittes Buch. Erstes Capitel.
sein Brod essen. Einer seiner entschlossensten Anhänger war
der Rector der Knabenschule, Georg Mohr, der aus dem
Schulfenster heraus die versammelten Bürger aufforderte,
ihre Kinder aus der Schule zu nehmen. Wozu bedurfte
es auch ferner der Gelehrsamkeit? Hier waren die himm-
lischen Propheten aus Zwickau, Storch, Thomä und Stüb-
ner, welche mit Gott redeten und die Fülle der Gnade und
Wissenschaft besaßen ohne alles Studium. Leicht war der
gemeine Mann zu überzeugen, daß auch ein Laie, ein Hand-
werker zu dem Amte eines Priesters und Predigers tauge.

So ließ man die conservativen Ideen fallen, an die
sich Luther noch festgehalten; der Begriff der weltlichen
Obrigkeit, von welchem aus er die Anmaaßungen des Prie-
sterthums bekämpfte, ward jetzt ebenfalls verworfen. Luther
hatte die herrschende Lehre mit den Waffen einer gründli-
chern Gelehrsamkeit angegriffen: eine der rohesten Inspira-
tionstheorien welche je vorgekommen, wollte sich jetzt an
deren Stelle setzen. Nimmermehr wäre das durchzuführen
gewesen. Gegen ein so wildes destructives Beginnen muß-
ten sich alle Kräfte der geordneten Welt erheben, und es
entweder vernichten oder in den engsten Kreisen beschließen.
Kam es zur Herrschaft, so war jede Hofnung der Welt
verloren, die sich an die neue Bewegung knüpfen mochte.

In Wittenberg war Niemand, um dem allgemeinen
Taumel zu widerstehen. Dazu war Melanchthon zu jung
und unerfahren, wenn er auch sonst Standhaftigkeit genug
gehabt hätte; wenn er mit den Zwickauer Propheten sprach,
so fand er doch, daß sie in den Hauptprinzipien des Glau-
bens mit ihm einig und wohlbefestigt seyen; ihre Behaup-

Drittes Buch. Erſtes Capitel.
ſein Brod eſſen. Einer ſeiner entſchloſſenſten Anhänger war
der Rector der Knabenſchule, Georg Mohr, der aus dem
Schulfenſter heraus die verſammelten Bürger aufforderte,
ihre Kinder aus der Schule zu nehmen. Wozu bedurfte
es auch ferner der Gelehrſamkeit? Hier waren die himm-
liſchen Propheten aus Zwickau, Storch, Thomä und Stüb-
ner, welche mit Gott redeten und die Fülle der Gnade und
Wiſſenſchaft beſaßen ohne alles Studium. Leicht war der
gemeine Mann zu überzeugen, daß auch ein Laie, ein Hand-
werker zu dem Amte eines Prieſters und Predigers tauge.

So ließ man die conſervativen Ideen fallen, an die
ſich Luther noch feſtgehalten; der Begriff der weltlichen
Obrigkeit, von welchem aus er die Anmaaßungen des Prie-
ſterthums bekämpfte, ward jetzt ebenfalls verworfen. Luther
hatte die herrſchende Lehre mit den Waffen einer gründli-
chern Gelehrſamkeit angegriffen: eine der roheſten Inſpira-
tionstheorien welche je vorgekommen, wollte ſich jetzt an
deren Stelle ſetzen. Nimmermehr wäre das durchzuführen
geweſen. Gegen ein ſo wildes deſtructives Beginnen muß-
ten ſich alle Kräfte der geordneten Welt erheben, und es
entweder vernichten oder in den engſten Kreiſen beſchließen.
Kam es zur Herrſchaft, ſo war jede Hofnung der Welt
verloren, die ſich an die neue Bewegung knüpfen mochte.

In Wittenberg war Niemand, um dem allgemeinen
Taumel zu widerſtehen. Dazu war Melanchthon zu jung
und unerfahren, wenn er auch ſonſt Standhaftigkeit genug
gehabt hätte; wenn er mit den Zwickauer Propheten ſprach,
ſo fand er doch, daß ſie in den Hauptprinzipien des Glau-
bens mit ihm einig und wohlbefeſtigt ſeyen; ihre Behaup-

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[24/0034] Drittes Buch. Erſtes Capitel. ſein Brod eſſen. Einer ſeiner entſchloſſenſten Anhänger war der Rector der Knabenſchule, Georg Mohr, der aus dem Schulfenſter heraus die verſammelten Bürger aufforderte, ihre Kinder aus der Schule zu nehmen. Wozu bedurfte es auch ferner der Gelehrſamkeit? Hier waren die himm- liſchen Propheten aus Zwickau, Storch, Thomä und Stüb- ner, welche mit Gott redeten und die Fülle der Gnade und Wiſſenſchaft beſaßen ohne alles Studium. Leicht war der gemeine Mann zu überzeugen, daß auch ein Laie, ein Hand- werker zu dem Amte eines Prieſters und Predigers tauge. So ließ man die conſervativen Ideen fallen, an die ſich Luther noch feſtgehalten; der Begriff der weltlichen Obrigkeit, von welchem aus er die Anmaaßungen des Prie- ſterthums bekämpfte, ward jetzt ebenfalls verworfen. Luther hatte die herrſchende Lehre mit den Waffen einer gründli- chern Gelehrſamkeit angegriffen: eine der roheſten Inſpira- tionstheorien welche je vorgekommen, wollte ſich jetzt an deren Stelle ſetzen. Nimmermehr wäre das durchzuführen geweſen. Gegen ein ſo wildes deſtructives Beginnen muß- ten ſich alle Kräfte der geordneten Welt erheben, und es entweder vernichten oder in den engſten Kreiſen beſchließen. Kam es zur Herrſchaft, ſo war jede Hofnung der Welt verloren, die ſich an die neue Bewegung knüpfen mochte. In Wittenberg war Niemand, um dem allgemeinen Taumel zu widerſtehen. Dazu war Melanchthon zu jung und unerfahren, wenn er auch ſonſt Standhaftigkeit genug gehabt hätte; wenn er mit den Zwickauer Propheten ſprach, ſo fand er doch, daß ſie in den Hauptprinzipien des Glau- bens mit ihm einig und wohlbefeſtigt ſeyen; ihre Behaup-

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation02_1839/34>, abgerufen am 23.11.2024.