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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839.

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Drittes Buch. Erstes Capitel.
ten Gesellen und Freunden, wie er sie nannte, waren die
Meisten gestorben, und gar manches Unangenehme mußte
er erfahren. An der Gesinnung des jungen Kaisers war er
irre geworden: "selig der Mann," rief er aus, "der nichts
am Hofe zu schaffen hätte." Sein nächster Nachbar, sein
stürmischer Vetter Georg, trat in immer stärkern Gegensatz
mit ihm. "Ah mein Vetter Georg," sagte er, -- "Wahr-
lich ich weiß keinen Freund, als meinen Bruder:" dem er
denn auch allmählig die Regierung zum großen Theil über-
ließ. Wenn er Luthern beschützte, so war das im Laufe
der Zeit wohl sehr natürlich so gekommen: anfangs nicht
ohne Rücksichten der Politik, dann eine Pflicht der Ge-
rechtigkeit; 1 aber überdieß theilte er die unbedingte Vereh-
rung für die heilige Schrift, welche Luther geltend machte;
er fand, alles andre, so scharfsinnig es auch laute, lasse
sich am Ende widerlegen: nur das göttliche Wort sey hei-
lig majestätisch und die Wahrheit selbst; er sagte, dieß
Wort solle rein seyn wie ein Auge. Ihm entgegenzutre-
ten, zu widerstehen, hatte er eine tiefe, eine ehrwürdige
Scheu. Es ist die Grundlage aller Religion, daß man
das Heilige anerkennt, das sittliche Geheimniß der Schö-
pfung, und es nicht wagt, ihm mit den unreinen Trieben
des Augenblicks zu nah zu treten. Darin bestand vor al-
lem die Religion unsers Fürsten; dieß hatte ihn abgehalten,
in Luthers Sache selbstthätig und mit eigener Willkühr ein-

1 Seine Räthe erklärten 2 Jan. 22 in Wittenberg: "S. Ch.
G. hatt sich Doctor Martinus Sachen bisher nicht anders -- an-
genommen, denn allein weil er sich zu Recht erboten, daß er nicht
bewältigt würde." (C. Ref. 537.)

Drittes Buch. Erſtes Capitel.
ten Geſellen und Freunden, wie er ſie nannte, waren die
Meiſten geſtorben, und gar manches Unangenehme mußte
er erfahren. An der Geſinnung des jungen Kaiſers war er
irre geworden: „ſelig der Mann,“ rief er aus, „der nichts
am Hofe zu ſchaffen hätte.“ Sein nächſter Nachbar, ſein
ſtürmiſcher Vetter Georg, trat in immer ſtärkern Gegenſatz
mit ihm. „Ah mein Vetter Georg,“ ſagte er, — „Wahr-
lich ich weiß keinen Freund, als meinen Bruder:“ dem er
denn auch allmählig die Regierung zum großen Theil über-
ließ. Wenn er Luthern beſchützte, ſo war das im Laufe
der Zeit wohl ſehr natürlich ſo gekommen: anfangs nicht
ohne Rückſichten der Politik, dann eine Pflicht der Ge-
rechtigkeit; 1 aber überdieß theilte er die unbedingte Vereh-
rung für die heilige Schrift, welche Luther geltend machte;
er fand, alles andre, ſo ſcharfſinnig es auch laute, laſſe
ſich am Ende widerlegen: nur das göttliche Wort ſey hei-
lig majeſtätiſch und die Wahrheit ſelbſt; er ſagte, dieß
Wort ſolle rein ſeyn wie ein Auge. Ihm entgegenzutre-
ten, zu widerſtehen, hatte er eine tiefe, eine ehrwürdige
Scheu. Es iſt die Grundlage aller Religion, daß man
das Heilige anerkennt, das ſittliche Geheimniß der Schö-
pfung, und es nicht wagt, ihm mit den unreinen Trieben
des Augenblicks zu nah zu treten. Darin beſtand vor al-
lem die Religion unſers Fürſten; dieß hatte ihn abgehalten,
in Luthers Sache ſelbſtthätig und mit eigener Willkühr ein-

1 Seine Raͤthe erklaͤrten 2 Jan. 22 in Wittenberg: „S. Ch.
G. hatt ſich Doctor Martinus Sachen bisher nicht anders — an-
genommen, denn allein weil er ſich zu Recht erboten, daß er nicht
bewaͤltigt wuͤrde.“ (C. Ref. 537.)
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[26/0036] Drittes Buch. Erſtes Capitel. ten Geſellen und Freunden, wie er ſie nannte, waren die Meiſten geſtorben, und gar manches Unangenehme mußte er erfahren. An der Geſinnung des jungen Kaiſers war er irre geworden: „ſelig der Mann,“ rief er aus, „der nichts am Hofe zu ſchaffen hätte.“ Sein nächſter Nachbar, ſein ſtürmiſcher Vetter Georg, trat in immer ſtärkern Gegenſatz mit ihm. „Ah mein Vetter Georg,“ ſagte er, — „Wahr- lich ich weiß keinen Freund, als meinen Bruder:“ dem er denn auch allmählig die Regierung zum großen Theil über- ließ. Wenn er Luthern beſchützte, ſo war das im Laufe der Zeit wohl ſehr natürlich ſo gekommen: anfangs nicht ohne Rückſichten der Politik, dann eine Pflicht der Ge- rechtigkeit; 1 aber überdieß theilte er die unbedingte Vereh- rung für die heilige Schrift, welche Luther geltend machte; er fand, alles andre, ſo ſcharfſinnig es auch laute, laſſe ſich am Ende widerlegen: nur das göttliche Wort ſey hei- lig majeſtätiſch und die Wahrheit ſelbſt; er ſagte, dieß Wort ſolle rein ſeyn wie ein Auge. Ihm entgegenzutre- ten, zu widerſtehen, hatte er eine tiefe, eine ehrwürdige Scheu. Es iſt die Grundlage aller Religion, daß man das Heilige anerkennt, das ſittliche Geheimniß der Schö- pfung, und es nicht wagt, ihm mit den unreinen Trieben des Augenblicks zu nah zu treten. Darin beſtand vor al- lem die Religion unſers Fürſten; dieß hatte ihn abgehalten, in Luthers Sache ſelbſtthätig und mit eigener Willkühr ein- 1 Seine Raͤthe erklaͤrten 2 Jan. 22 in Wittenberg: „S. Ch. G. hatt ſich Doctor Martinus Sachen bisher nicht anders — an- genommen, denn allein weil er ſich zu Recht erboten, daß er nicht bewaͤltigt wuͤrde.“ (C. Ref. 537.)

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation02_1839/36>, abgerufen am 21.11.2024.