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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839.

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Drittes Buch. Drittes Capitel.
war es nun in allen Orden. Nicht selten wurden die
Obern am lebendigsten ergriffen: wie jene Prioren der Augu-
stiner und Carmeliterconvente, so unter andern der Propst
am Johanniskloster zu Halberstadt, Eberhard Widensee, und
durch dessen Einfluß die Pröpste zu Neuenwerk, Gottes-
Gnaden, zu St. Moritz zu Halle, der Abt Paulus Lem-
berg zu Sagan, der sich wohl vernehmen ließ, einen Mönch
der sich durch sein Bleiben im Gewissen beschwert fühle,
würde er statt ihn zurückzuhalten, lieber auf seinen Schul-
tern aus dem Kloster tragen. 1

Bei näherer Betrachtung finde ich doch nicht, daß
Weltlust, unordentliche Begierde sich dem Klosterzwange
zu entziehen hier viel gewirkt habe, wenigstens bei den Be-
deutenderen nicht, deren Motive die Zeitgenossen aufbe-
wahrt haben: da ist es immer eine tiefere Überzeugung, sey
es daß sie sich allmählig entwickelt, oder daß sie auch plötz-
lich, etwa beim Anblick einer schlagenden Bibelstelle ent-
springt; -- Viele giengen nicht von selbst, sie wurden ver-
jagt; Andern, an und für sich friedfertigen Gemüthern, ver-
leideten doch die entstehenden Zwistigkeiten den Aufenthalt
in den engen Mauern; die Bettelmönche ekelte selbst vor
ihrem Gewerbe: einen Franciscaner, der mit seiner Büchse
in eine Schmiede zu Nürnberg tritt, fragt der Meister,
warum er sich nicht lieber sein Brod mit seiner Hände
Arbeit verdiene: der starke Mensch wirft den Habit von
sich und tritt als Schmiedeknecht an, Kutte und Büchse
schickt man an sein Kloster.

Wer erinnert sich nicht der indischen Büßer, die in

1 Catalogus Abbatum Saganensium in Stentzel Scriptt.
Rer. Siles. I, p.
457.

Drittes Buch. Drittes Capitel.
war es nun in allen Orden. Nicht ſelten wurden die
Obern am lebendigſten ergriffen: wie jene Prioren der Augu-
ſtiner und Carmeliterconvente, ſo unter andern der Propſt
am Johanniskloſter zu Halberſtadt, Eberhard Widenſee, und
durch deſſen Einfluß die Pröpſte zu Neuenwerk, Gottes-
Gnaden, zu St. Moritz zu Halle, der Abt Paulus Lem-
berg zu Sagan, der ſich wohl vernehmen ließ, einen Mönch
der ſich durch ſein Bleiben im Gewiſſen beſchwert fühle,
würde er ſtatt ihn zurückzuhalten, lieber auf ſeinen Schul-
tern aus dem Kloſter tragen. 1

Bei näherer Betrachtung finde ich doch nicht, daß
Weltluſt, unordentliche Begierde ſich dem Kloſterzwange
zu entziehen hier viel gewirkt habe, wenigſtens bei den Be-
deutenderen nicht, deren Motive die Zeitgenoſſen aufbe-
wahrt haben: da iſt es immer eine tiefere Überzeugung, ſey
es daß ſie ſich allmählig entwickelt, oder daß ſie auch plötz-
lich, etwa beim Anblick einer ſchlagenden Bibelſtelle ent-
ſpringt; — Viele giengen nicht von ſelbſt, ſie wurden ver-
jagt; Andern, an und für ſich friedfertigen Gemüthern, ver-
leideten doch die entſtehenden Zwiſtigkeiten den Aufenthalt
in den engen Mauern; die Bettelmönche ekelte ſelbſt vor
ihrem Gewerbe: einen Franciscaner, der mit ſeiner Büchſe
in eine Schmiede zu Nürnberg tritt, fragt der Meiſter,
warum er ſich nicht lieber ſein Brod mit ſeiner Hände
Arbeit verdiene: der ſtarke Menſch wirft den Habit von
ſich und tritt als Schmiedeknecht an, Kutte und Büchſe
ſchickt man an ſein Kloſter.

Wer erinnert ſich nicht der indiſchen Büßer, die in

1 Catalogus Abbatum Saganensium in Stentzel Scriptt.
Rer. Siles. I, p.
457.
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[70/0080] Drittes Buch. Drittes Capitel. war es nun in allen Orden. Nicht ſelten wurden die Obern am lebendigſten ergriffen: wie jene Prioren der Augu- ſtiner und Carmeliterconvente, ſo unter andern der Propſt am Johanniskloſter zu Halberſtadt, Eberhard Widenſee, und durch deſſen Einfluß die Pröpſte zu Neuenwerk, Gottes- Gnaden, zu St. Moritz zu Halle, der Abt Paulus Lem- berg zu Sagan, der ſich wohl vernehmen ließ, einen Mönch der ſich durch ſein Bleiben im Gewiſſen beſchwert fühle, würde er ſtatt ihn zurückzuhalten, lieber auf ſeinen Schul- tern aus dem Kloſter tragen. 1 Bei näherer Betrachtung finde ich doch nicht, daß Weltluſt, unordentliche Begierde ſich dem Kloſterzwange zu entziehen hier viel gewirkt habe, wenigſtens bei den Be- deutenderen nicht, deren Motive die Zeitgenoſſen aufbe- wahrt haben: da iſt es immer eine tiefere Überzeugung, ſey es daß ſie ſich allmählig entwickelt, oder daß ſie auch plötz- lich, etwa beim Anblick einer ſchlagenden Bibelſtelle ent- ſpringt; — Viele giengen nicht von ſelbſt, ſie wurden ver- jagt; Andern, an und für ſich friedfertigen Gemüthern, ver- leideten doch die entſtehenden Zwiſtigkeiten den Aufenthalt in den engen Mauern; die Bettelmönche ekelte ſelbſt vor ihrem Gewerbe: einen Franciscaner, der mit ſeiner Büchſe in eine Schmiede zu Nürnberg tritt, fragt der Meiſter, warum er ſich nicht lieber ſein Brod mit ſeiner Hände Arbeit verdiene: der ſtarke Menſch wirft den Habit von ſich und tritt als Schmiedeknecht an, Kutte und Büchſe ſchickt man an ſein Kloſter. Wer erinnert ſich nicht der indiſchen Büßer, die in 1 Catalogus Abbatum Saganensium in Stentzel Scriptt. Rer. Siles. I, p. 457.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation02_1839/80>, abgerufen am 21.11.2024.