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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839.

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Drittes Buch. Drittes Capitel.
teren und anmuthigen Gedichte, mit denen der ehrenfeste
Meister alle Classen der Nation erfreute.

In Deutschland hatte auch die Kunst den Zweck, Ideen
zu versinnbilden, zu lehren, niemals aus den Augen gelas-
sen. Darum war sie so ernst, und ihrer Symbolik halber
doch so phantastisch. Das Glück wollte, daß einer der
großen Meister dieser Epoche, Lucas Kranach zu Witten-
berg Wohnung nahm, und hier in ununterbrochenem ver-
trauten Umgang mit Luther sich mit den reformatorischen
Gesinnungen durchdrang, sein Talent ihrer Darstellung wid-
mete. Zuweilen trat er mit kleinen Werken selbst in die
Schlachtreihen, z. B. mit dem Passional Christi und
Antichristi, in welchem die Gegensätze der Niedrigkeit
und Demuth des Stifters und der Pracht seines Statt-
halters vor das Auge gebracht werden: man hat diese
Holzschnitte gradezu in Luthers Werke aufgenommen. Es
versteht sich, daß sich sein keuscher Pinsel auch übrigens
keinen andern Arbeiten widmete, als solchen die mit der
evangelischen Überzeugung harmonirten. Die Anmuth und
Lieblichkeit, mit der er früher glückliche Gruppen weiblicher
Heiligen ausgestattet, ergoß er nun über die Kinder die
Christus segnet. Das Geheimnißvolle, das die alte Kunst
andeutet, sprach sich in den beibehaltenen Sacramenten,
die zuweilen auf derselben Tafel erscheinen, in dem My-
sterium der Erlösung aus. Die merkwürdigen Männer
die ihn in Staat und Kirche umgaben, boten seiner Auffas-
sung Gestalten und Züge einer so bedeutenden Individualität
dar, daß er nicht in Versuchung kam, über sie hinaus nach
dem Ideale zu streben. Auch Dürer, der seine Ausbildung be-

Drittes Buch. Drittes Capitel.
teren und anmuthigen Gedichte, mit denen der ehrenfeſte
Meiſter alle Claſſen der Nation erfreute.

In Deutſchland hatte auch die Kunſt den Zweck, Ideen
zu verſinnbilden, zu lehren, niemals aus den Augen gelaſ-
ſen. Darum war ſie ſo ernſt, und ihrer Symbolik halber
doch ſo phantaſtiſch. Das Glück wollte, daß einer der
großen Meiſter dieſer Epoche, Lucas Kranach zu Witten-
berg Wohnung nahm, und hier in ununterbrochenem ver-
trauten Umgang mit Luther ſich mit den reformatoriſchen
Geſinnungen durchdrang, ſein Talent ihrer Darſtellung wid-
mete. Zuweilen trat er mit kleinen Werken ſelbſt in die
Schlachtreihen, z. B. mit dem Paſſional Chriſti und
Antichriſti, in welchem die Gegenſätze der Niedrigkeit
und Demuth des Stifters und der Pracht ſeines Statt-
halters vor das Auge gebracht werden: man hat dieſe
Holzſchnitte gradezu in Luthers Werke aufgenommen. Es
verſteht ſich, daß ſich ſein keuſcher Pinſel auch übrigens
keinen andern Arbeiten widmete, als ſolchen die mit der
evangeliſchen Überzeugung harmonirten. Die Anmuth und
Lieblichkeit, mit der er früher glückliche Gruppen weiblicher
Heiligen ausgeſtattet, ergoß er nun über die Kinder die
Chriſtus ſegnet. Das Geheimnißvolle, das die alte Kunſt
andeutet, ſprach ſich in den beibehaltenen Sacramenten,
die zuweilen auf derſelben Tafel erſcheinen, in dem My-
ſterium der Erlöſung aus. Die merkwürdigen Männer
die ihn in Staat und Kirche umgaben, boten ſeiner Auffaſ-
ſung Geſtalten und Züge einer ſo bedeutenden Individualität
dar, daß er nicht in Verſuchung kam, über ſie hinaus nach
dem Ideale zu ſtreben. Auch Dürer, der ſeine Ausbildung be-

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[84/0094] Drittes Buch. Drittes Capitel. teren und anmuthigen Gedichte, mit denen der ehrenfeſte Meiſter alle Claſſen der Nation erfreute. In Deutſchland hatte auch die Kunſt den Zweck, Ideen zu verſinnbilden, zu lehren, niemals aus den Augen gelaſ- ſen. Darum war ſie ſo ernſt, und ihrer Symbolik halber doch ſo phantaſtiſch. Das Glück wollte, daß einer der großen Meiſter dieſer Epoche, Lucas Kranach zu Witten- berg Wohnung nahm, und hier in ununterbrochenem ver- trauten Umgang mit Luther ſich mit den reformatoriſchen Geſinnungen durchdrang, ſein Talent ihrer Darſtellung wid- mete. Zuweilen trat er mit kleinen Werken ſelbſt in die Schlachtreihen, z. B. mit dem Paſſional Chriſti und Antichriſti, in welchem die Gegenſätze der Niedrigkeit und Demuth des Stifters und der Pracht ſeines Statt- halters vor das Auge gebracht werden: man hat dieſe Holzſchnitte gradezu in Luthers Werke aufgenommen. Es verſteht ſich, daß ſich ſein keuſcher Pinſel auch übrigens keinen andern Arbeiten widmete, als ſolchen die mit der evangeliſchen Überzeugung harmonirten. Die Anmuth und Lieblichkeit, mit der er früher glückliche Gruppen weiblicher Heiligen ausgeſtattet, ergoß er nun über die Kinder die Chriſtus ſegnet. Das Geheimnißvolle, das die alte Kunſt andeutet, ſprach ſich in den beibehaltenen Sacramenten, die zuweilen auf derſelben Tafel erſcheinen, in dem My- ſterium der Erlöſung aus. Die merkwürdigen Männer die ihn in Staat und Kirche umgaben, boten ſeiner Auffaſ- ſung Geſtalten und Züge einer ſo bedeutenden Individualität dar, daß er nicht in Verſuchung kam, über ſie hinaus nach dem Ideale zu ſtreben. Auch Dürer, der ſeine Ausbildung be-

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation02_1839/94>, abgerufen am 24.11.2024.