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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840.

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Siege der Reformation.
der nicht durch den großen dazu vorgeschlagen würde; alle
Katholisch-gesinnten verließen den kleinen Rath. 1 Auf der
Stelle hörte man in den Kirchen deutsche Psalmen singen
und schon am 1. April ward eine Anordnung des Gottes-
dienstes nach dem Muster von Zürich publicirt, die ganz
den religiösen Ernst und die sittliche Zucht athmet, welche
eins der vornehmsten inneren Motive dieses Unternehmens
war, und in der man zugleich auf die Abstellung der muth-
willigen Kriege Bedacht nahm.

Zwischen den drei Städten ward nun ein Burgrecht
abgeschlossen, eigentlich ein Bündniß zur Vertheidigung der
vorgenommenen Neuerung, in welches man auch alle an-
deren Eidgenossen aufzunehmen gedenke, "wenn sie," wie es
hier heißt, "des göttlichen Wortes so viel berichtet seyen."

Dazu war in der That viele Aussicht vorhanden. In
Glarus, Appenzell, Graubündten regten sich die Anhänger
der Neuerung gewaltig; in Schafhausen schwankte der Rath
unaufhörlich zwischen den entgegengesetzten Richtungen; 2
in St. Gallen war der Sieg schon entschieden. Noch im
Jahre 1528 wurden hier in der Stadt, nach einer Aende-
rung des Rathes, die katholischen Cerimonien abgestellt, Ar-
tikel einer durchgreifendern Reform verkündigt. 3 Dasselbe

1 Vgl. Ochs Geschichte von Basel V, p. 626 f. Das dioece-
sium suffragio, cum dioecesiis disponenda
in Oekolampads Be-
richt, womit sich Ochs V, 653 so viel plagt, heißt es ohne Zweifel dia-
cosion suffragio, cum diacosiis,
mit welchem Wort Zwingli und
auch Oekolampad (z. B. in dem Briefe bei Heß p. 506) gewöhnlich
den großen Rath bezeichnen.
2 Diese unentschiedene Gesinnung stellt sich individuell in dem
1839 herausgegebenen Tagebuche des Hans Stockar dar.
3 Arx Geschichte von St. Gallen II, 529, in der Hauptsache
flüchtig, in den überdieß gehässigen Nebendingen ausführlich.
7*

Siege der Reformation.
der nicht durch den großen dazu vorgeſchlagen würde; alle
Katholiſch-geſinnten verließen den kleinen Rath. 1 Auf der
Stelle hörte man in den Kirchen deutſche Pſalmen ſingen
und ſchon am 1. April ward eine Anordnung des Gottes-
dienſtes nach dem Muſter von Zürich publicirt, die ganz
den religiöſen Ernſt und die ſittliche Zucht athmet, welche
eins der vornehmſten inneren Motive dieſes Unternehmens
war, und in der man zugleich auf die Abſtellung der muth-
willigen Kriege Bedacht nahm.

Zwiſchen den drei Städten ward nun ein Burgrecht
abgeſchloſſen, eigentlich ein Bündniß zur Vertheidigung der
vorgenommenen Neuerung, in welches man auch alle an-
deren Eidgenoſſen aufzunehmen gedenke, „wenn ſie,“ wie es
hier heißt, „des göttlichen Wortes ſo viel berichtet ſeyen.“

Dazu war in der That viele Ausſicht vorhanden. In
Glarus, Appenzell, Graubündten regten ſich die Anhänger
der Neuerung gewaltig; in Schafhauſen ſchwankte der Rath
unaufhörlich zwiſchen den entgegengeſetzten Richtungen; 2
in St. Gallen war der Sieg ſchon entſchieden. Noch im
Jahre 1528 wurden hier in der Stadt, nach einer Aende-
rung des Rathes, die katholiſchen Cerimonien abgeſtellt, Ar-
tikel einer durchgreifendern Reform verkündigt. 3 Daſſelbe

1 Vgl. Ochs Geſchichte von Baſel V, p. 626 f. Das dioece-
sium suffragio, cum dioecesiis disponenda
in Oekolampads Be-
richt, womit ſich Ochs V, 653 ſo viel plagt, heißt es ohne Zweifel dia-
cosion suffragio, cum diacosiis,
mit welchem Wort Zwingli und
auch Oekolampad (z. B. in dem Briefe bei Heß p. 506) gewoͤhnlich
den großen Rath bezeichnen.
2 Dieſe unentſchiedene Geſinnung ſtellt ſich individuell in dem
1839 herausgegebenen Tagebuche des Hans Stockar dar.
3 Arx Geſchichte von St. Gallen II, 529, in der Hauptſache
fluͤchtig, in den uͤberdieß gehaͤſſigen Nebendingen ausfuͤhrlich.
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[99/0115] Siege der Reformation. der nicht durch den großen dazu vorgeſchlagen würde; alle Katholiſch-geſinnten verließen den kleinen Rath. 1 Auf der Stelle hörte man in den Kirchen deutſche Pſalmen ſingen und ſchon am 1. April ward eine Anordnung des Gottes- dienſtes nach dem Muſter von Zürich publicirt, die ganz den religiöſen Ernſt und die ſittliche Zucht athmet, welche eins der vornehmſten inneren Motive dieſes Unternehmens war, und in der man zugleich auf die Abſtellung der muth- willigen Kriege Bedacht nahm. Zwiſchen den drei Städten ward nun ein Burgrecht abgeſchloſſen, eigentlich ein Bündniß zur Vertheidigung der vorgenommenen Neuerung, in welches man auch alle an- deren Eidgenoſſen aufzunehmen gedenke, „wenn ſie,“ wie es hier heißt, „des göttlichen Wortes ſo viel berichtet ſeyen.“ Dazu war in der That viele Ausſicht vorhanden. In Glarus, Appenzell, Graubündten regten ſich die Anhänger der Neuerung gewaltig; in Schafhauſen ſchwankte der Rath unaufhörlich zwiſchen den entgegengeſetzten Richtungen; 2 in St. Gallen war der Sieg ſchon entſchieden. Noch im Jahre 1528 wurden hier in der Stadt, nach einer Aende- rung des Rathes, die katholiſchen Cerimonien abgeſtellt, Ar- tikel einer durchgreifendern Reform verkündigt. 3 Daſſelbe 1 Vgl. Ochs Geſchichte von Baſel V, p. 626 f. Das dioece- sium suffragio, cum dioecesiis disponenda in Oekolampads Be- richt, womit ſich Ochs V, 653 ſo viel plagt, heißt es ohne Zweifel dia- cosion suffragio, cum diacosiis, mit welchem Wort Zwingli und auch Oekolampad (z. B. in dem Briefe bei Heß p. 506) gewoͤhnlich den großen Rath bezeichnen. 2 Dieſe unentſchiedene Geſinnung ſtellt ſich individuell in dem 1839 herausgegebenen Tagebuche des Hans Stockar dar. 3 Arx Geſchichte von St. Gallen II, 529, in der Hauptſache fluͤchtig, in den uͤberdieß gehaͤſſigen Nebendingen ausfuͤhrlich. 7*

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/115>, abgerufen am 18.05.2024.