Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840.Fünftes Buch. der Stände gegründete Reichsgewalt zu erschaffen: nichtetwa um eine Centralisation im Sinne späterer Zeiten her- vorzubringen, sondern nur um die dringendsten Bedürfnisse zu erledigen, Friede und Recht einzuführen, sich gegen die Nachbarn zu vertheidigen. Aber man kam damit nicht zum Ziele. Einige Formen der Verfassung, welche für die folgenden Zeiten noch von größerer Bedeutung gewesen sind als für die damaligen, wurden aufgestellt: wir sahen jedoch, wie wenig sie zu Wirksamkeit gelangten. Der Er- folg war nur, indem so tiefgreifende Umwandlungen ver- sucht wurden und mißlangen, daß die Nation in allge- meine Aufregung gerieth. Da ein Jeder nur die Be- schränkungen fühlte, die man ihm anmuthete, aber von den Wohlthaten der öffentlichen Ordnung nichts gewahr wurde, so erhob sich der alte Geist der Gewaltsamkeit und Selbsthülfe noch einmal in aller seiner Kraft, nur mit dem merkwürdigen Unterschiede, daß er jetzt zugleich mit einem lebendigen Sinne für das Gemeinwesen, und einem Wi- derwillen gegen die darin obwaltenden Mißbräuche, der an Ingrimm streifte, verbunden war. Und in dieser Stimmung nun warf sich der natio- Fuͤnftes Buch. der Stände gegründete Reichsgewalt zu erſchaffen: nichtetwa um eine Centraliſation im Sinne ſpäterer Zeiten her- vorzubringen, ſondern nur um die dringendſten Bedürfniſſe zu erledigen, Friede und Recht einzuführen, ſich gegen die Nachbarn zu vertheidigen. Aber man kam damit nicht zum Ziele. Einige Formen der Verfaſſung, welche für die folgenden Zeiten noch von größerer Bedeutung geweſen ſind als für die damaligen, wurden aufgeſtellt: wir ſahen jedoch, wie wenig ſie zu Wirkſamkeit gelangten. Der Er- folg war nur, indem ſo tiefgreifende Umwandlungen ver- ſucht wurden und mißlangen, daß die Nation in allge- meine Aufregung gerieth. Da ein Jeder nur die Be- ſchränkungen fühlte, die man ihm anmuthete, aber von den Wohlthaten der öffentlichen Ordnung nichts gewahr wurde, ſo erhob ſich der alte Geiſt der Gewaltſamkeit und Selbſthülfe noch einmal in aller ſeiner Kraft, nur mit dem merkwürdigen Unterſchiede, daß er jetzt zugleich mit einem lebendigen Sinne für das Gemeinweſen, und einem Wi- derwillen gegen die darin obwaltenden Mißbräuche, der an Ingrimm ſtreifte, verbunden war. Und in dieſer Stimmung nun warf ſich der natio- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0020" n="4"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Fuͤnftes Buch</hi>.</fw><lb/> der Stände gegründete Reichsgewalt zu erſchaffen: nicht<lb/> etwa um eine Centraliſation im Sinne ſpäterer Zeiten her-<lb/> vorzubringen, ſondern nur um die dringendſten Bedürfniſſe<lb/> zu erledigen, Friede und Recht einzuführen, ſich gegen die<lb/> Nachbarn zu vertheidigen. Aber man kam damit nicht<lb/> zum Ziele. Einige Formen der Verfaſſung, welche für die<lb/> folgenden Zeiten noch von größerer Bedeutung geweſen<lb/> ſind als für die damaligen, wurden aufgeſtellt: wir ſahen<lb/> jedoch, wie wenig ſie zu Wirkſamkeit gelangten. Der Er-<lb/> folg war nur, indem ſo tiefgreifende Umwandlungen ver-<lb/> ſucht wurden und mißlangen, daß die Nation in allge-<lb/> meine Aufregung gerieth. Da ein Jeder nur die Be-<lb/> ſchränkungen fühlte, die man ihm anmuthete, aber von<lb/> den Wohlthaten der öffentlichen Ordnung nichts gewahr<lb/> wurde, ſo erhob ſich der alte Geiſt der Gewaltſamkeit und<lb/> Selbſthülfe noch einmal in aller ſeiner Kraft, nur mit dem<lb/> merkwürdigen Unterſchiede, daß er jetzt zugleich mit einem<lb/> lebendigen Sinne für das Gemeinweſen, und einem Wi-<lb/> derwillen gegen die darin obwaltenden Mißbräuche, der an<lb/> Ingrimm ſtreifte, verbunden war.</p><lb/> <p>Und in dieſer Stimmung nun warf ſich der natio-<lb/> nale Geiſt, wie wir in unſerm zweiten Buche ſahen, da<lb/> es ihm mit einer Umbildung der weltlichen Verhältniſſe<lb/> nicht gelungen, auf die kirchlichen Angelegenheiten, die At-<lb/> tribute des Papſtthums, das einen ſo großen Theil der<lb/> öffentlichen Gewalt im Reiche beſaß. Hier aber traf er<lb/> mit noch umfaſſendern Regungen des allgemeinen Lebens<lb/> zuſammen. War das Papſtthum noch immer in ſtrengerer<lb/> Ausbildung des Particularismus ſeiner Dogmen und Dienſte<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [4/0020]
Fuͤnftes Buch.
der Stände gegründete Reichsgewalt zu erſchaffen: nicht
etwa um eine Centraliſation im Sinne ſpäterer Zeiten her-
vorzubringen, ſondern nur um die dringendſten Bedürfniſſe
zu erledigen, Friede und Recht einzuführen, ſich gegen die
Nachbarn zu vertheidigen. Aber man kam damit nicht
zum Ziele. Einige Formen der Verfaſſung, welche für die
folgenden Zeiten noch von größerer Bedeutung geweſen
ſind als für die damaligen, wurden aufgeſtellt: wir ſahen
jedoch, wie wenig ſie zu Wirkſamkeit gelangten. Der Er-
folg war nur, indem ſo tiefgreifende Umwandlungen ver-
ſucht wurden und mißlangen, daß die Nation in allge-
meine Aufregung gerieth. Da ein Jeder nur die Be-
ſchränkungen fühlte, die man ihm anmuthete, aber von
den Wohlthaten der öffentlichen Ordnung nichts gewahr
wurde, ſo erhob ſich der alte Geiſt der Gewaltſamkeit und
Selbſthülfe noch einmal in aller ſeiner Kraft, nur mit dem
merkwürdigen Unterſchiede, daß er jetzt zugleich mit einem
lebendigen Sinne für das Gemeinweſen, und einem Wi-
derwillen gegen die darin obwaltenden Mißbräuche, der an
Ingrimm ſtreifte, verbunden war.
Und in dieſer Stimmung nun warf ſich der natio-
nale Geiſt, wie wir in unſerm zweiten Buche ſahen, da
es ihm mit einer Umbildung der weltlichen Verhältniſſe
nicht gelungen, auf die kirchlichen Angelegenheiten, die At-
tribute des Papſtthums, das einen ſo großen Theil der
öffentlichen Gewalt im Reiche beſaß. Hier aber traf er
mit noch umfaſſendern Regungen des allgemeinen Lebens
zuſammen. War das Papſtthum noch immer in ſtrengerer
Ausbildung des Particularismus ſeiner Dogmen und Dienſte
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