ßer Heftigkeit bekämpft hatten? Sie würden ihr eignes Werk, von dem sie doch überzeugt waren, daß sie es mit gutem Fug begonnen, wieder zerstört haben.
Auch zeigte sich bei jedem Schritt der Verhandlungen eine größere Verschiedenheit der Grundansicht, als man sich eingestand. Die Katholischen betrachteten die Anordnungen der kirchlichen Autorität als die Regel, von der höchstens einstweilige Ausnahmen zu gestatten seyen. Die Protestan- ten sahen dagegen die Regel des Glaubens und Lebens al- lein in der Schrift; die Besonderheiten der römischen Kirche wollten sie nur bedingungsweise, nur in so fern es ganz unvermeidlich sey, zulassen. 1 Jene leiteten alle äußeren Kirchenordnungen vom göttlichen Rechte her; diese sahen darin nur menschliche wiederzurücknehmbare Einrichtungen. Es war noch nicht viel damit gewonnen, daß die Prote- stanten das Papstthum als eine irdische menschliche, daher zu beschränkende Institution anzuerkennen allenfalls geneigt waren; dem religiösen Begriffe der katholischen Kirche lag alles an dem göttlichen Rechte, der Stellvertretung Christi.
Und selbst, wenn man sich einigermaaßen verstanden, Bedingungen eines Vergleiches festgestellt hätte, wie schwer wäre es geworden dieselben auszuführen. Welche Uneben- heiten würde allein die Wiedereinführung des Episcopats veranlaßt haben! Der Charakter der neuen Kirche beruhte ja eben auf der Selbständigkeit des niedern Clerus und des- sen unmittelbaren Vereinigung mit der territorialen Gewalt. Schon erhob sich die Antipathie der Städte dagegen. Die
1 Brenz sprach von einem praeceptum dispensabile in casu necessitatis. Die Nothwendigkeit ist ihm der Beschluß der römischen Kirche, den er aber damit keineswegs als gerechtfertigt betrachtet.
Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.
ßer Heftigkeit bekämpft hatten? Sie würden ihr eignes Werk, von dem ſie doch überzeugt waren, daß ſie es mit gutem Fug begonnen, wieder zerſtört haben.
Auch zeigte ſich bei jedem Schritt der Verhandlungen eine größere Verſchiedenheit der Grundanſicht, als man ſich eingeſtand. Die Katholiſchen betrachteten die Anordnungen der kirchlichen Autorität als die Regel, von der höchſtens einſtweilige Ausnahmen zu geſtatten ſeyen. Die Proteſtan- ten ſahen dagegen die Regel des Glaubens und Lebens al- lein in der Schrift; die Beſonderheiten der römiſchen Kirche wollten ſie nur bedingungsweiſe, nur in ſo fern es ganz unvermeidlich ſey, zulaſſen. 1 Jene leiteten alle äußeren Kirchenordnungen vom göttlichen Rechte her; dieſe ſahen darin nur menſchliche wiederzurücknehmbare Einrichtungen. Es war noch nicht viel damit gewonnen, daß die Prote- ſtanten das Papſtthum als eine irdiſche menſchliche, daher zu beſchränkende Inſtitution anzuerkennen allenfalls geneigt waren; dem religiöſen Begriffe der katholiſchen Kirche lag alles an dem göttlichen Rechte, der Stellvertretung Chriſti.
Und ſelbſt, wenn man ſich einigermaaßen verſtanden, Bedingungen eines Vergleiches feſtgeſtellt hätte, wie ſchwer wäre es geworden dieſelben auszuführen. Welche Uneben- heiten würde allein die Wiedereinführung des Episcopats veranlaßt haben! Der Charakter der neuen Kirche beruhte ja eben auf der Selbſtändigkeit des niedern Clerus und deſ- ſen unmittelbaren Vereinigung mit der territorialen Gewalt. Schon erhob ſich die Antipathie der Städte dagegen. Die
1 Brenz ſprach von einem praeceptum dispensabile in casu necessitatis. Die Nothwendigkeit iſt ihm der Beſchluß der römiſchen Kirche, den er aber damit keineswegs als gerechtfertigt betrachtet.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0296"n="280"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel</hi>.</fw><lb/>
ßer Heftigkeit bekämpft hatten? Sie würden ihr eignes<lb/>
Werk, von dem ſie doch überzeugt waren, daß ſie es mit<lb/>
gutem Fug begonnen, wieder zerſtört haben.</p><lb/><p>Auch zeigte ſich bei jedem Schritt der Verhandlungen<lb/>
eine größere Verſchiedenheit der Grundanſicht, als man ſich<lb/>
eingeſtand. Die Katholiſchen betrachteten die Anordnungen<lb/>
der kirchlichen Autorität als die Regel, von der höchſtens<lb/>
einſtweilige Ausnahmen zu geſtatten ſeyen. Die Proteſtan-<lb/>
ten ſahen dagegen die Regel des Glaubens und Lebens al-<lb/>
lein in der Schrift; die Beſonderheiten der römiſchen Kirche<lb/>
wollten ſie nur bedingungsweiſe, nur in ſo fern es ganz<lb/>
unvermeidlich ſey, zulaſſen. <noteplace="foot"n="1">Brenz ſprach von einem <hirendition="#aq">praeceptum dispensabile in casu<lb/>
necessitatis</hi>. Die Nothwendigkeit iſt ihm der Beſchluß der römiſchen<lb/>
Kirche, den er aber damit keineswegs als gerechtfertigt betrachtet.</note> Jene leiteten alle äußeren<lb/>
Kirchenordnungen vom göttlichen Rechte her; dieſe ſahen<lb/>
darin nur menſchliche wiederzurücknehmbare Einrichtungen.<lb/>
Es war noch nicht viel damit gewonnen, daß die Prote-<lb/>ſtanten das Papſtthum als eine irdiſche menſchliche, daher<lb/>
zu beſchränkende Inſtitution anzuerkennen allenfalls geneigt<lb/>
waren; dem religiöſen Begriffe der katholiſchen Kirche lag<lb/>
alles an dem göttlichen Rechte, der Stellvertretung Chriſti.</p><lb/><p>Und ſelbſt, wenn man ſich einigermaaßen verſtanden,<lb/>
Bedingungen eines Vergleiches feſtgeſtellt hätte, wie ſchwer<lb/>
wäre es geworden dieſelben auszuführen. Welche Uneben-<lb/>
heiten würde allein die Wiedereinführung des Episcopats<lb/>
veranlaßt haben! Der Charakter der neuen Kirche beruhte<lb/>
ja eben auf der Selbſtändigkeit des niedern Clerus und deſ-<lb/>ſen unmittelbaren Vereinigung mit der territorialen Gewalt.<lb/>
Schon erhob ſich die Antipathie der Städte dagegen. Die<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[280/0296]
Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.
ßer Heftigkeit bekämpft hatten? Sie würden ihr eignes
Werk, von dem ſie doch überzeugt waren, daß ſie es mit
gutem Fug begonnen, wieder zerſtört haben.
Auch zeigte ſich bei jedem Schritt der Verhandlungen
eine größere Verſchiedenheit der Grundanſicht, als man ſich
eingeſtand. Die Katholiſchen betrachteten die Anordnungen
der kirchlichen Autorität als die Regel, von der höchſtens
einſtweilige Ausnahmen zu geſtatten ſeyen. Die Proteſtan-
ten ſahen dagegen die Regel des Glaubens und Lebens al-
lein in der Schrift; die Beſonderheiten der römiſchen Kirche
wollten ſie nur bedingungsweiſe, nur in ſo fern es ganz
unvermeidlich ſey, zulaſſen. 1 Jene leiteten alle äußeren
Kirchenordnungen vom göttlichen Rechte her; dieſe ſahen
darin nur menſchliche wiederzurücknehmbare Einrichtungen.
Es war noch nicht viel damit gewonnen, daß die Prote-
ſtanten das Papſtthum als eine irdiſche menſchliche, daher
zu beſchränkende Inſtitution anzuerkennen allenfalls geneigt
waren; dem religiöſen Begriffe der katholiſchen Kirche lag
alles an dem göttlichen Rechte, der Stellvertretung Chriſti.
Und ſelbſt, wenn man ſich einigermaaßen verſtanden,
Bedingungen eines Vergleiches feſtgeſtellt hätte, wie ſchwer
wäre es geworden dieſelben auszuführen. Welche Uneben-
heiten würde allein die Wiedereinführung des Episcopats
veranlaßt haben! Der Charakter der neuen Kirche beruhte
ja eben auf der Selbſtändigkeit des niedern Clerus und deſ-
ſen unmittelbaren Vereinigung mit der territorialen Gewalt.
Schon erhob ſich die Antipathie der Städte dagegen. Die
1 Brenz ſprach von einem praeceptum dispensabile in casu
necessitatis. Die Nothwendigkeit iſt ihm der Beſchluß der römiſchen
Kirche, den er aber damit keineswegs als gerechtfertigt betrachtet.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/296>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.