Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

Fünftes Buch. Achtes Capitel.
ßer Heftigkeit bekämpft hatten? Sie würden ihr eignes
Werk, von dem sie doch überzeugt waren, daß sie es mit
gutem Fug begonnen, wieder zerstört haben.

Auch zeigte sich bei jedem Schritt der Verhandlungen
eine größere Verschiedenheit der Grundansicht, als man sich
eingestand. Die Katholischen betrachteten die Anordnungen
der kirchlichen Autorität als die Regel, von der höchstens
einstweilige Ausnahmen zu gestatten seyen. Die Protestan-
ten sahen dagegen die Regel des Glaubens und Lebens al-
lein in der Schrift; die Besonderheiten der römischen Kirche
wollten sie nur bedingungsweise, nur in so fern es ganz
unvermeidlich sey, zulassen. 1 Jene leiteten alle äußeren
Kirchenordnungen vom göttlichen Rechte her; diese sahen
darin nur menschliche wiederzurücknehmbare Einrichtungen.
Es war noch nicht viel damit gewonnen, daß die Prote-
stanten das Papstthum als eine irdische menschliche, daher
zu beschränkende Institution anzuerkennen allenfalls geneigt
waren; dem religiösen Begriffe der katholischen Kirche lag
alles an dem göttlichen Rechte, der Stellvertretung Christi.

Und selbst, wenn man sich einigermaaßen verstanden,
Bedingungen eines Vergleiches festgestellt hätte, wie schwer
wäre es geworden dieselben auszuführen. Welche Uneben-
heiten würde allein die Wiedereinführung des Episcopats
veranlaßt haben! Der Charakter der neuen Kirche beruhte
ja eben auf der Selbständigkeit des niedern Clerus und des-
sen unmittelbaren Vereinigung mit der territorialen Gewalt.
Schon erhob sich die Antipathie der Städte dagegen. Die

1 Brenz sprach von einem praeceptum dispensabile in casu
necessitatis
. Die Nothwendigkeit ist ihm der Beschluß der römischen
Kirche, den er aber damit keineswegs als gerechtfertigt betrachtet.

Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.
ßer Heftigkeit bekämpft hatten? Sie würden ihr eignes
Werk, von dem ſie doch überzeugt waren, daß ſie es mit
gutem Fug begonnen, wieder zerſtört haben.

Auch zeigte ſich bei jedem Schritt der Verhandlungen
eine größere Verſchiedenheit der Grundanſicht, als man ſich
eingeſtand. Die Katholiſchen betrachteten die Anordnungen
der kirchlichen Autorität als die Regel, von der höchſtens
einſtweilige Ausnahmen zu geſtatten ſeyen. Die Proteſtan-
ten ſahen dagegen die Regel des Glaubens und Lebens al-
lein in der Schrift; die Beſonderheiten der römiſchen Kirche
wollten ſie nur bedingungsweiſe, nur in ſo fern es ganz
unvermeidlich ſey, zulaſſen. 1 Jene leiteten alle äußeren
Kirchenordnungen vom göttlichen Rechte her; dieſe ſahen
darin nur menſchliche wiederzurücknehmbare Einrichtungen.
Es war noch nicht viel damit gewonnen, daß die Prote-
ſtanten das Papſtthum als eine irdiſche menſchliche, daher
zu beſchränkende Inſtitution anzuerkennen allenfalls geneigt
waren; dem religiöſen Begriffe der katholiſchen Kirche lag
alles an dem göttlichen Rechte, der Stellvertretung Chriſti.

Und ſelbſt, wenn man ſich einigermaaßen verſtanden,
Bedingungen eines Vergleiches feſtgeſtellt hätte, wie ſchwer
wäre es geworden dieſelben auszuführen. Welche Uneben-
heiten würde allein die Wiedereinführung des Episcopats
veranlaßt haben! Der Charakter der neuen Kirche beruhte
ja eben auf der Selbſtändigkeit des niedern Clerus und deſ-
ſen unmittelbaren Vereinigung mit der territorialen Gewalt.
Schon erhob ſich die Antipathie der Städte dagegen. Die

1 Brenz ſprach von einem praeceptum dispensabile in casu
necessitatis
. Die Nothwendigkeit iſt ihm der Beſchluß der römiſchen
Kirche, den er aber damit keineswegs als gerechtfertigt betrachtet.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0296" n="280"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Fu&#x0364;nftes Buch. Achtes Capitel</hi>.</fw><lb/>
ßer Heftigkeit bekämpft hatten? Sie würden ihr eignes<lb/>
Werk, von dem &#x017F;ie doch überzeugt waren, daß &#x017F;ie es mit<lb/>
gutem Fug begonnen, wieder zer&#x017F;tört haben.</p><lb/>
            <p>Auch zeigte &#x017F;ich bei jedem Schritt der Verhandlungen<lb/>
eine größere Ver&#x017F;chiedenheit der Grundan&#x017F;icht, als man &#x017F;ich<lb/>
einge&#x017F;tand. Die Katholi&#x017F;chen betrachteten die Anordnungen<lb/>
der kirchlichen Autorität als die Regel, von der höch&#x017F;tens<lb/>
ein&#x017F;tweilige Ausnahmen zu ge&#x017F;tatten &#x017F;eyen. Die Prote&#x017F;tan-<lb/>
ten &#x017F;ahen dagegen die Regel des Glaubens und Lebens al-<lb/>
lein in der Schrift; die Be&#x017F;onderheiten der römi&#x017F;chen Kirche<lb/>
wollten &#x017F;ie nur bedingungswei&#x017F;e, nur in &#x017F;o fern es ganz<lb/>
unvermeidlich &#x017F;ey, zula&#x017F;&#x017F;en. <note place="foot" n="1">Brenz &#x017F;prach von einem <hi rendition="#aq">praeceptum dispensabile in casu<lb/>
necessitatis</hi>. Die Nothwendigkeit i&#x017F;t ihm der Be&#x017F;chluß der römi&#x017F;chen<lb/>
Kirche, den er aber damit keineswegs als gerechtfertigt betrachtet.</note> Jene leiteten alle äußeren<lb/>
Kirchenordnungen vom göttlichen Rechte her; die&#x017F;e &#x017F;ahen<lb/>
darin nur men&#x017F;chliche wiederzurücknehmbare Einrichtungen.<lb/>
Es war noch nicht viel damit gewonnen, daß die Prote-<lb/>
&#x017F;tanten das Pap&#x017F;tthum als eine irdi&#x017F;che men&#x017F;chliche, daher<lb/>
zu be&#x017F;chränkende In&#x017F;titution anzuerkennen allenfalls geneigt<lb/>
waren; dem religiö&#x017F;en Begriffe der katholi&#x017F;chen Kirche lag<lb/>
alles an dem göttlichen Rechte, der Stellvertretung Chri&#x017F;ti.</p><lb/>
            <p>Und &#x017F;elb&#x017F;t, wenn man &#x017F;ich einigermaaßen ver&#x017F;tanden,<lb/>
Bedingungen eines Vergleiches fe&#x017F;tge&#x017F;tellt hätte, wie &#x017F;chwer<lb/>
wäre es geworden die&#x017F;elben auszuführen. Welche Uneben-<lb/>
heiten würde allein die Wiedereinführung des Episcopats<lb/>
veranlaßt haben! Der Charakter der neuen Kirche beruhte<lb/>
ja eben auf der Selb&#x017F;tändigkeit des niedern Clerus und de&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en unmittelbaren Vereinigung mit der territorialen Gewalt.<lb/>
Schon erhob &#x017F;ich die Antipathie der Städte dagegen. Die<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[280/0296] Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel. ßer Heftigkeit bekämpft hatten? Sie würden ihr eignes Werk, von dem ſie doch überzeugt waren, daß ſie es mit gutem Fug begonnen, wieder zerſtört haben. Auch zeigte ſich bei jedem Schritt der Verhandlungen eine größere Verſchiedenheit der Grundanſicht, als man ſich eingeſtand. Die Katholiſchen betrachteten die Anordnungen der kirchlichen Autorität als die Regel, von der höchſtens einſtweilige Ausnahmen zu geſtatten ſeyen. Die Proteſtan- ten ſahen dagegen die Regel des Glaubens und Lebens al- lein in der Schrift; die Beſonderheiten der römiſchen Kirche wollten ſie nur bedingungsweiſe, nur in ſo fern es ganz unvermeidlich ſey, zulaſſen. 1 Jene leiteten alle äußeren Kirchenordnungen vom göttlichen Rechte her; dieſe ſahen darin nur menſchliche wiederzurücknehmbare Einrichtungen. Es war noch nicht viel damit gewonnen, daß die Prote- ſtanten das Papſtthum als eine irdiſche menſchliche, daher zu beſchränkende Inſtitution anzuerkennen allenfalls geneigt waren; dem religiöſen Begriffe der katholiſchen Kirche lag alles an dem göttlichen Rechte, der Stellvertretung Chriſti. Und ſelbſt, wenn man ſich einigermaaßen verſtanden, Bedingungen eines Vergleiches feſtgeſtellt hätte, wie ſchwer wäre es geworden dieſelben auszuführen. Welche Uneben- heiten würde allein die Wiedereinführung des Episcopats veranlaßt haben! Der Charakter der neuen Kirche beruhte ja eben auf der Selbſtändigkeit des niedern Clerus und deſ- ſen unmittelbaren Vereinigung mit der territorialen Gewalt. Schon erhob ſich die Antipathie der Städte dagegen. Die 1 Brenz ſprach von einem praeceptum dispensabile in casu necessitatis. Die Nothwendigkeit iſt ihm der Beſchluß der römiſchen Kirche, den er aber damit keineswegs als gerechtfertigt betrachtet.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/296
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/296>, abgerufen am 23.11.2024.