Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840.Sechstes Buch. Zweites Capitel. bestand aus den wackeren Männern, welche die Reform mitalle dem sittlichen Ernst in sich aufgenommen, mit welchem Zwingli sie predigte. Keine gemeine Dirne ward geduldet; man hörte kein Fluchen noch Schwören; selbst das Würfel- spiel war verbannt; die Erholung bestand in Leibesübungen, Springen, Werfen, Steinstoßen. Streitigkeiten fielen bei- nahe nicht vor; Niemand hätte versäumt, vor und nach Tische zu beten. Zwingli selbst war zugegen; man hatte ihn der Pflicht überhoben, als Prediger mit dem Banner aus- zuziehn; aber er hatte sich aus freien Stücken zu Pferd ge- setzt und die Hallbarde über die Achsel genommen. Zwingli war vor allen andern von dem Gefühl der Uebermacht durchdrungen, und wie ihn die Nachrichten von allen Sei- ten darin bestätigten -- denn wenigstens von Ferdinand, welcher anderweit beschäftigt war, und sich zu wenig ver- sprechenden Anforderungen an seine Stände genöthigt sah, hatten die Fünforte nichts zu erwarten -- so faßte er die kühnsten Hoffnungen. Jetzt dachte er zu dem Ziele zu ge- langen, welches er sich von Anfang an vor Augen ge- stellt. Er wollte von keinem Frieden wissen, es würden denn die beiden großen Zugeständnisse eingegangen, auf die er schon immer gedrungen hatte. Das Jahrgelderwesen sollte auf ewig verschworen werden; die Predigt des Evan- geliums in allen Cantonen der Schweiz erlaubt seyn. Er stellte den Regierungsmitgliedern vor, daß nur auf diese Weise Einheit in der Regierung wie in der Kirche zu be- wirken sey; "Steht fest in Gott," ruft er ihnen zu: "jetzt geben sie gute Worte, aber laßt Euch nicht irre machen; gebt nichts auf ihr Flehen, bis das Recht aufgerichtet ist. Sechstes Buch. Zweites Capitel. beſtand aus den wackeren Männern, welche die Reform mitalle dem ſittlichen Ernſt in ſich aufgenommen, mit welchem Zwingli ſie predigte. Keine gemeine Dirne ward geduldet; man hörte kein Fluchen noch Schwören; ſelbſt das Würfel- ſpiel war verbannt; die Erholung beſtand in Leibesübungen, Springen, Werfen, Steinſtoßen. Streitigkeiten fielen bei- nahe nicht vor; Niemand hätte verſäumt, vor und nach Tiſche zu beten. Zwingli ſelbſt war zugegen; man hatte ihn der Pflicht überhoben, als Prediger mit dem Banner aus- zuziehn; aber er hatte ſich aus freien Stücken zu Pferd ge- ſetzt und die Hallbarde über die Achſel genommen. Zwingli war vor allen andern von dem Gefühl der Uebermacht durchdrungen, und wie ihn die Nachrichten von allen Sei- ten darin beſtätigten — denn wenigſtens von Ferdinand, welcher anderweit beſchäftigt war, und ſich zu wenig ver- ſprechenden Anforderungen an ſeine Stände genöthigt ſah, hatten die Fünforte nichts zu erwarten — ſo faßte er die kühnſten Hoffnungen. Jetzt dachte er zu dem Ziele zu ge- langen, welches er ſich von Anfang an vor Augen ge- ſtellt. Er wollte von keinem Frieden wiſſen, es würden denn die beiden großen Zugeſtändniſſe eingegangen, auf die er ſchon immer gedrungen hatte. Das Jahrgelderweſen ſollte auf ewig verſchworen werden; die Predigt des Evan- geliums in allen Cantonen der Schweiz erlaubt ſeyn. Er ſtellte den Regierungsmitgliedern vor, daß nur auf dieſe Weiſe Einheit in der Regierung wie in der Kirche zu be- wirken ſey; „Steht feſt in Gott,“ ruft er ihnen zu: „jetzt geben ſie gute Worte, aber laßt Euch nicht irre machen; gebt nichts auf ihr Flehen, bis das Recht aufgerichtet iſt. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0346" n="330"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Sechstes Buch. Zweites Capitel</hi>.</fw><lb/> beſtand aus den wackeren Männern, welche die Reform mit<lb/> alle dem ſittlichen Ernſt in ſich aufgenommen, mit welchem<lb/> Zwingli ſie predigte. Keine gemeine Dirne ward geduldet;<lb/> man hörte kein Fluchen noch Schwören; ſelbſt das Würfel-<lb/> ſpiel war verbannt; die Erholung beſtand in Leibesübungen,<lb/> Springen, Werfen, Steinſtoßen. Streitigkeiten fielen bei-<lb/> nahe nicht vor; Niemand hätte verſäumt, vor und nach<lb/> Tiſche zu beten. 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Sechstes Buch. Zweites Capitel.
beſtand aus den wackeren Männern, welche die Reform mit
alle dem ſittlichen Ernſt in ſich aufgenommen, mit welchem
Zwingli ſie predigte. Keine gemeine Dirne ward geduldet;
man hörte kein Fluchen noch Schwören; ſelbſt das Würfel-
ſpiel war verbannt; die Erholung beſtand in Leibesübungen,
Springen, Werfen, Steinſtoßen. Streitigkeiten fielen bei-
nahe nicht vor; Niemand hätte verſäumt, vor und nach
Tiſche zu beten. Zwingli ſelbſt war zugegen; man hatte ihn
der Pflicht überhoben, als Prediger mit dem Banner aus-
zuziehn; aber er hatte ſich aus freien Stücken zu Pferd ge-
ſetzt und die Hallbarde über die Achſel genommen. Zwingli
war vor allen andern von dem Gefühl der Uebermacht
durchdrungen, und wie ihn die Nachrichten von allen Sei-
ten darin beſtätigten — denn wenigſtens von Ferdinand,
welcher anderweit beſchäftigt war, und ſich zu wenig ver-
ſprechenden Anforderungen an ſeine Stände genöthigt ſah,
hatten die Fünforte nichts zu erwarten — ſo faßte er die
kühnſten Hoffnungen. Jetzt dachte er zu dem Ziele zu ge-
langen, welches er ſich von Anfang an vor Augen ge-
ſtellt. Er wollte von keinem Frieden wiſſen, es würden
denn die beiden großen Zugeſtändniſſe eingegangen, auf die
er ſchon immer gedrungen hatte. Das Jahrgelderweſen
ſollte auf ewig verſchworen werden; die Predigt des Evan-
geliums in allen Cantonen der Schweiz erlaubt ſeyn. Er
ſtellte den Regierungsmitgliedern vor, daß nur auf dieſe
Weiſe Einheit in der Regierung wie in der Kirche zu be-
wirken ſey; „Steht feſt in Gott,“ ruft er ihnen zu: „jetzt
geben ſie gute Worte, aber laßt Euch nicht irre machen;
gebt nichts auf ihr Flehen, bis das Recht aufgerichtet iſt.
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