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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840.

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Sechstes Buch. Drittes Capitel.
burg, und gewannen daselbst nach und nach völlig die
Oberhand; man räumte endlich auch Bilder und Altäre
weg, übertünchte die mit Gemählden geschmückten innern
Wände der Kirchen mit Steinfarbe; die Prediger machten
einen Beweis dekannt, daß bei den Gottgläubigen kein Bild
geduldet werden dürfe; keine Instrumentalmusik ward wei-
ter zugelassen; die Orgel verstummte. 1 -- Auch politisch
hatte Strasburg in so fern dieselben Interessen mit den
Schweizern, als die östreichische Macht im Elsaß beiden
gefährlich war. Im Januar 1530 trat Strasburg in das
Bürgerrecht der Schweizerstädte; sie versprachen einander
wechselseitige Hülfleistung; namentlich machte sich Stras-
burg anheischig, den Schweizern Pulver zuzuführen.

Bei dieser Doppelseitigkeit der politischen und religiö-
sen Haltung war es nun wohl sehr natürlich, daß man
nirgends dringender eine Aussöhnung der streitenden Par-
teien wünschte, als eben in Strasburg.

Und schon war auch der Mann gefunden, der es sich
zu einer Lebensangelegenheit machte, eine solche doctrinell
durchzuführen.

Es war Martin Butzer, der nach dem Fall Sickin-
gens, in dessen Diensten er gestanden, überall verfolgt, mit
einer schwangern Frau -- er war einer der ersten evan-
gelischen Prediger, die sich verheiratheten -- und in großer
Armuth in Strasburg angekommen, und hier nicht allein
Aufnahme, sondern einen großen Schauplatz höherer Thä-
tigkeit gefunden hatte. Man sagt von ihm, er habe sich
in der Jugend, bei den scholastischen Disputationen die

1 Röhrich Ref. v. Strasburg II, p. 8.

Sechstes Buch. Drittes Capitel.
burg, und gewannen daſelbſt nach und nach völlig die
Oberhand; man räumte endlich auch Bilder und Altäre
weg, übertünchte die mit Gemählden geſchmückten innern
Wände der Kirchen mit Steinfarbe; die Prediger machten
einen Beweis dekannt, daß bei den Gottgläubigen kein Bild
geduldet werden dürfe; keine Inſtrumentalmuſik ward wei-
ter zugelaſſen; die Orgel verſtummte. 1 — Auch politiſch
hatte Strasburg in ſo fern dieſelben Intereſſen mit den
Schweizern, als die öſtreichiſche Macht im Elſaß beiden
gefährlich war. Im Januar 1530 trat Strasburg in das
Bürgerrecht der Schweizerſtädte; ſie verſprachen einander
wechſelſeitige Hülfleiſtung; namentlich machte ſich Stras-
burg anheiſchig, den Schweizern Pulver zuzuführen.

Bei dieſer Doppelſeitigkeit der politiſchen und religiö-
ſen Haltung war es nun wohl ſehr natürlich, daß man
nirgends dringender eine Ausſöhnung der ſtreitenden Par-
teien wünſchte, als eben in Strasburg.

Und ſchon war auch der Mann gefunden, der es ſich
zu einer Lebensangelegenheit machte, eine ſolche doctrinell
durchzuführen.

Es war Martin Butzer, der nach dem Fall Sickin-
gens, in deſſen Dienſten er geſtanden, überall verfolgt, mit
einer ſchwangern Frau — er war einer der erſten evan-
geliſchen Prediger, die ſich verheiratheten — und in großer
Armuth in Strasburg angekommen, und hier nicht allein
Aufnahme, ſondern einen großen Schauplatz höherer Thä-
tigkeit gefunden hatte. Man ſagt von ihm, er habe ſich
in der Jugend, bei den ſcholaſtiſchen Disputationen die

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[342/0358] Sechstes Buch. Drittes Capitel. burg, und gewannen daſelbſt nach und nach völlig die Oberhand; man räumte endlich auch Bilder und Altäre weg, übertünchte die mit Gemählden geſchmückten innern Wände der Kirchen mit Steinfarbe; die Prediger machten einen Beweis dekannt, daß bei den Gottgläubigen kein Bild geduldet werden dürfe; keine Inſtrumentalmuſik ward wei- ter zugelaſſen; die Orgel verſtummte. 1 — Auch politiſch hatte Strasburg in ſo fern dieſelben Intereſſen mit den Schweizern, als die öſtreichiſche Macht im Elſaß beiden gefährlich war. Im Januar 1530 trat Strasburg in das Bürgerrecht der Schweizerſtädte; ſie verſprachen einander wechſelſeitige Hülfleiſtung; namentlich machte ſich Stras- burg anheiſchig, den Schweizern Pulver zuzuführen. Bei dieſer Doppelſeitigkeit der politiſchen und religiö- ſen Haltung war es nun wohl ſehr natürlich, daß man nirgends dringender eine Ausſöhnung der ſtreitenden Par- teien wünſchte, als eben in Strasburg. Und ſchon war auch der Mann gefunden, der es ſich zu einer Lebensangelegenheit machte, eine ſolche doctrinell durchzuführen. Es war Martin Butzer, der nach dem Fall Sickin- gens, in deſſen Dienſten er geſtanden, überall verfolgt, mit einer ſchwangern Frau — er war einer der erſten evan- geliſchen Prediger, die ſich verheiratheten — und in großer Armuth in Strasburg angekommen, und hier nicht allein Aufnahme, ſondern einen großen Schauplatz höherer Thä- tigkeit gefunden hatte. Man ſagt von ihm, er habe ſich in der Jugend, bei den ſcholaſtiſchen Disputationen die 1 Roͤhrich Ref. v. Strasburg II, p. 8.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 342. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/358>, abgerufen am 24.11.2024.