Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

Sechstes Buch. Sechstes Capitel.
der Mauer; Jurischitz erwartete nur den Tod: ich freue
mich, sagte er, daß mir die Gnade Gottes ein so ehren-
volles Ende bestimmt hat. Wunderbar, was ihn dennoch
rettete. Jene wehrlosen Flüchtlinge, Weiber, Greise und
Kinder, sahen sich nun doch der Wuth des entsetzlichen
barbarischen Feindes preisgegeben. Indem er auf sie ein-
drang, stießen sie ein Geschrei aus, in dem sich das Anru-
fen der Gottheit mit dem Tone der Verzweiflung vermischte,
jenes durchdringende Geschrei, wie es die Natur aus dem
lebendigen Geschöpf bewußtlos hervortreibt, wenn es sich
von dem unabwendbaren Verderben bedroht sieht. Kann
man dieß ein Gebet nennen, so ward nie ein Gebet un-
mittelbarer erhört. Die siegreichen Osmanen erschraken vor
der Verzweiflung. Längst war ihnen der Widerstand, den
sie hier fanden, wunderbar vorgekommen, jetzt meinten sie,
aus dem Schlosse, aus jedem Hause frische Mannschaften
vordringen zu sehen, sie glaubten in den Lüften einen Rit-
ter in seinem Harnisch zu erblicken, der ihnen mit gezück-
tem Schwerte drohe. So wichen sie zurück. "Der allmäch-
tige Gott," ruft Jurischitz aus, "hat uns sichtbarlich gerettet." 1

Ein Ereigniß, welches an die Delphischen Götter ge-
mahnen könnte, die sich dem Einbruch der Gallier in Grie-
chenland entgegenstellten; an die Erscheinung, die dem Dru-
sus mitten in Deutschland zurief: "Bis hieher und nicht
weiter;" an andere Wendungen des Geschicks, welche die
Meinung der Menschen in dem Moment ihres Geschehens
mit einer höhern Waltung, wie sie dieselbe nun auch auf-

1 Schreiben von Jurischitz in Göbels Beiträgen p. 303. Fer-
ner was Jovius aus seinem Munde hörte lib. XXX, p. 105. Se-
pulveda X,
17--23.

Sechstes Buch. Sechstes Capitel.
der Mauer; Juriſchitz erwartete nur den Tod: ich freue
mich, ſagte er, daß mir die Gnade Gottes ein ſo ehren-
volles Ende beſtimmt hat. Wunderbar, was ihn dennoch
rettete. Jene wehrloſen Flüchtlinge, Weiber, Greiſe und
Kinder, ſahen ſich nun doch der Wuth des entſetzlichen
barbariſchen Feindes preisgegeben. Indem er auf ſie ein-
drang, ſtießen ſie ein Geſchrei aus, in dem ſich das Anru-
fen der Gottheit mit dem Tone der Verzweiflung vermiſchte,
jenes durchdringende Geſchrei, wie es die Natur aus dem
lebendigen Geſchöpf bewußtlos hervortreibt, wenn es ſich
von dem unabwendbaren Verderben bedroht ſieht. Kann
man dieß ein Gebet nennen, ſo ward nie ein Gebet un-
mittelbarer erhört. Die ſiegreichen Osmanen erſchraken vor
der Verzweiflung. Längſt war ihnen der Widerſtand, den
ſie hier fanden, wunderbar vorgekommen, jetzt meinten ſie,
aus dem Schloſſe, aus jedem Hauſe friſche Mannſchaften
vordringen zu ſehen, ſie glaubten in den Lüften einen Rit-
ter in ſeinem Harniſch zu erblicken, der ihnen mit gezück-
tem Schwerte drohe. So wichen ſie zurück. „Der allmäch-
tige Gott,“ ruft Juriſchitz aus, „hat uns ſichtbarlich gerettet.“ 1

Ein Ereigniß, welches an die Delphiſchen Götter ge-
mahnen könnte, die ſich dem Einbruch der Gallier in Grie-
chenland entgegenſtellten; an die Erſcheinung, die dem Dru-
ſus mitten in Deutſchland zurief: „Bis hieher und nicht
weiter;“ an andere Wendungen des Geſchicks, welche die
Meinung der Menſchen in dem Moment ihres Geſchehens
mit einer höhern Waltung, wie ſie dieſelbe nun auch auf-

1 Schreiben von Juriſchitz in Goͤbels Beitraͤgen p. 303. Fer-
ner was Jovius aus ſeinem Munde hoͤrte lib. XXX, p. 105. Se-
pulveda X,
17—23.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0446" n="430"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Sechstes Buch. Sechstes Capitel</hi>.</fw><lb/>
der Mauer; Juri&#x017F;chitz erwartete nur den Tod: ich freue<lb/>
mich, &#x017F;agte er, daß mir die Gnade Gottes ein &#x017F;o ehren-<lb/>
volles Ende be&#x017F;timmt hat. Wunderbar, was ihn dennoch<lb/>
rettete. Jene wehrlo&#x017F;en Flüchtlinge, Weiber, Grei&#x017F;e und<lb/>
Kinder, &#x017F;ahen &#x017F;ich nun doch der Wuth des ent&#x017F;etzlichen<lb/>
barbari&#x017F;chen Feindes preisgegeben. Indem er auf &#x017F;ie ein-<lb/>
drang, &#x017F;tießen &#x017F;ie ein Ge&#x017F;chrei aus, in dem &#x017F;ich das Anru-<lb/>
fen der Gottheit mit dem Tone der Verzweiflung vermi&#x017F;chte,<lb/>
jenes durchdringende Ge&#x017F;chrei, wie es die Natur aus dem<lb/>
lebendigen Ge&#x017F;chöpf bewußtlos hervortreibt, wenn es &#x017F;ich<lb/>
von dem unabwendbaren Verderben bedroht &#x017F;ieht. Kann<lb/>
man dieß ein Gebet nennen, &#x017F;o ward nie ein Gebet un-<lb/>
mittelbarer erhört. Die &#x017F;iegreichen Osmanen er&#x017F;chraken vor<lb/>
der Verzweiflung. Läng&#x017F;t war ihnen der Wider&#x017F;tand, den<lb/>
&#x017F;ie hier fanden, wunderbar vorgekommen, jetzt meinten &#x017F;ie,<lb/>
aus dem Schlo&#x017F;&#x017F;e, aus jedem Hau&#x017F;e fri&#x017F;che Mann&#x017F;chaften<lb/>
vordringen zu &#x017F;ehen, &#x017F;ie glaubten in den Lüften einen Rit-<lb/>
ter in &#x017F;einem Harni&#x017F;ch zu erblicken, der ihnen mit gezück-<lb/>
tem Schwerte drohe. So wichen &#x017F;ie zurück. &#x201E;Der allmäch-<lb/>
tige Gott,&#x201C; ruft Juri&#x017F;chitz aus, &#x201E;hat uns &#x017F;ichtbarlich gerettet.&#x201C; <note place="foot" n="1">Schreiben von Juri&#x017F;chitz in Go&#x0364;bels Beitra&#x0364;gen <hi rendition="#aq">p.</hi> 303. Fer-<lb/>
ner was Jovius aus &#x017F;einem Munde ho&#x0364;rte <hi rendition="#aq">lib. XXX, p. 105. Se-<lb/>
pulveda X,</hi> 17&#x2014;23.</note></p><lb/>
            <p>Ein Ereigniß, welches an die Delphi&#x017F;chen Götter ge-<lb/>
mahnen könnte, die &#x017F;ich dem Einbruch der Gallier in Grie-<lb/>
chenland entgegen&#x017F;tellten; an die Er&#x017F;cheinung, die dem Dru-<lb/>
&#x017F;us mitten in Deut&#x017F;chland zurief: &#x201E;Bis hieher und nicht<lb/>
weiter;&#x201C; an andere Wendungen des Ge&#x017F;chicks, welche die<lb/>
Meinung der Men&#x017F;chen in dem Moment ihres Ge&#x017F;chehens<lb/>
mit einer höhern Waltung, wie &#x017F;ie die&#x017F;elbe nun auch auf-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[430/0446] Sechstes Buch. Sechstes Capitel. der Mauer; Juriſchitz erwartete nur den Tod: ich freue mich, ſagte er, daß mir die Gnade Gottes ein ſo ehren- volles Ende beſtimmt hat. Wunderbar, was ihn dennoch rettete. Jene wehrloſen Flüchtlinge, Weiber, Greiſe und Kinder, ſahen ſich nun doch der Wuth des entſetzlichen barbariſchen Feindes preisgegeben. Indem er auf ſie ein- drang, ſtießen ſie ein Geſchrei aus, in dem ſich das Anru- fen der Gottheit mit dem Tone der Verzweiflung vermiſchte, jenes durchdringende Geſchrei, wie es die Natur aus dem lebendigen Geſchöpf bewußtlos hervortreibt, wenn es ſich von dem unabwendbaren Verderben bedroht ſieht. Kann man dieß ein Gebet nennen, ſo ward nie ein Gebet un- mittelbarer erhört. Die ſiegreichen Osmanen erſchraken vor der Verzweiflung. Längſt war ihnen der Widerſtand, den ſie hier fanden, wunderbar vorgekommen, jetzt meinten ſie, aus dem Schloſſe, aus jedem Hauſe friſche Mannſchaften vordringen zu ſehen, ſie glaubten in den Lüften einen Rit- ter in ſeinem Harniſch zu erblicken, der ihnen mit gezück- tem Schwerte drohe. So wichen ſie zurück. „Der allmäch- tige Gott,“ ruft Juriſchitz aus, „hat uns ſichtbarlich gerettet.“ 1 Ein Ereigniß, welches an die Delphiſchen Götter ge- mahnen könnte, die ſich dem Einbruch der Gallier in Grie- chenland entgegenſtellten; an die Erſcheinung, die dem Dru- ſus mitten in Deutſchland zurief: „Bis hieher und nicht weiter;“ an andere Wendungen des Geſchicks, welche die Meinung der Menſchen in dem Moment ihres Geſchehens mit einer höhern Waltung, wie ſie dieſelbe nun auch auf- 1 Schreiben von Juriſchitz in Goͤbels Beitraͤgen p. 303. Fer- ner was Jovius aus ſeinem Munde hoͤrte lib. XXX, p. 105. Se- pulveda X, 17—23.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/446
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 430. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/446>, abgerufen am 24.11.2024.