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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840.

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Reform. in Westfalen. Münster.
gel und Figuralgesang, vor allem aber gewisse Lieder
während der Communion, in welchen der lutherische Be-
griff ausgesprochen war; aber der Rath der Stadt, beson-
ders der Syndicus Levin von Emden erklärten sich gegen
jede Neuerung; sie wollten nicht dulden, daß man im Wi-
derspruch mit der so eben angenommenen Kirchenordnung
wieder etwas Besonderes anrichte: sie fürchteten ohne Zwei-
fel, einer neuen Bewegung nicht sobald wieder Ziel setzen
zu können. In Goßlar finden wir dieselben Erscheinungen.
Zum Theil waren es die von Braunschweig verjagten Zwing-
lianer von denen sie herrührten; aber auch hier wachte Ams-
dorf über die wittenbergische Ordnung; die Gegner wurden
auch hier entfernt.

In Münster nun traten verwandte aber bei weitem stär-
kere Regungen ein. In den Predigern, die in dem Kampfe em-
porgekommen, von denen der Eifrigste Rottmann jetzt die
Aufsicht eines Superintendenten über die andern führen sollte,
zeigte sich nicht allein Hinneigung zu der zwinglischen Auffas-
sung der Abendmahlslehre, sondern was bei der Verflechtung
der Meinungen in jener Zeit noch viel bedeutender war,
eine starke Abweichung selbst von Zwingli in Beziehung auf
das andere Sacrament; Rottmann verwarf die Kindertaufe.
Alles was in Münster die Ruhe liebte, und sich mit dem
bereits Erworbenen zufrieden fühlte, erschrak hierüber; der
Rath, so demokratisch er auch constituirt war, setzte sich
dagegen; es ward eine Disputation veranstaltet, deren Aus-
fall eine förmliche Erklärung wider Rottmann zur Folge
hatte. Auch die Marburger Universität gab ein Gutachten
gegen ihn, und ein paar hessische Theologen erschienen, den

Reform. in Weſtfalen. Muͤnſter.
gel und Figuralgeſang, vor allem aber gewiſſe Lieder
während der Communion, in welchen der lutheriſche Be-
griff ausgeſprochen war; aber der Rath der Stadt, beſon-
ders der Syndicus Levin von Emden erklärten ſich gegen
jede Neuerung; ſie wollten nicht dulden, daß man im Wi-
derſpruch mit der ſo eben angenommenen Kirchenordnung
wieder etwas Beſonderes anrichte: ſie fürchteten ohne Zwei-
fel, einer neuen Bewegung nicht ſobald wieder Ziel ſetzen
zu können. In Goßlar finden wir dieſelben Erſcheinungen.
Zum Theil waren es die von Braunſchweig verjagten Zwing-
lianer von denen ſie herrührten; aber auch hier wachte Ams-
dorf über die wittenbergiſche Ordnung; die Gegner wurden
auch hier entfernt.

In Münſter nun traten verwandte aber bei weitem ſtär-
kere Regungen ein. In den Predigern, die in dem Kampfe em-
porgekommen, von denen der Eifrigſte Rottmann jetzt die
Aufſicht eines Superintendenten über die andern führen ſollte,
zeigte ſich nicht allein Hinneigung zu der zwingliſchen Auffaſ-
ſung der Abendmahlslehre, ſondern was bei der Verflechtung
der Meinungen in jener Zeit noch viel bedeutender war,
eine ſtarke Abweichung ſelbſt von Zwingli in Beziehung auf
das andere Sacrament; Rottmann verwarf die Kindertaufe.
Alles was in Münſter die Ruhe liebte, und ſich mit dem
bereits Erworbenen zufrieden fühlte, erſchrak hierüber; der
Rath, ſo demokratiſch er auch conſtituirt war, ſetzte ſich
dagegen; es ward eine Disputation veranſtaltet, deren Aus-
fall eine förmliche Erklärung wider Rottmann zur Folge
hatte. Auch die Marburger Univerſität gab ein Gutachten
gegen ihn, und ein paar heſſiſche Theologen erſchienen, den

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[503/0519] Reform. in Weſtfalen. Muͤnſter. gel und Figuralgeſang, vor allem aber gewiſſe Lieder während der Communion, in welchen der lutheriſche Be- griff ausgeſprochen war; aber der Rath der Stadt, beſon- ders der Syndicus Levin von Emden erklärten ſich gegen jede Neuerung; ſie wollten nicht dulden, daß man im Wi- derſpruch mit der ſo eben angenommenen Kirchenordnung wieder etwas Beſonderes anrichte: ſie fürchteten ohne Zwei- fel, einer neuen Bewegung nicht ſobald wieder Ziel ſetzen zu können. In Goßlar finden wir dieſelben Erſcheinungen. Zum Theil waren es die von Braunſchweig verjagten Zwing- lianer von denen ſie herrührten; aber auch hier wachte Ams- dorf über die wittenbergiſche Ordnung; die Gegner wurden auch hier entfernt. In Münſter nun traten verwandte aber bei weitem ſtär- kere Regungen ein. In den Predigern, die in dem Kampfe em- porgekommen, von denen der Eifrigſte Rottmann jetzt die Aufſicht eines Superintendenten über die andern führen ſollte, zeigte ſich nicht allein Hinneigung zu der zwingliſchen Auffaſ- ſung der Abendmahlslehre, ſondern was bei der Verflechtung der Meinungen in jener Zeit noch viel bedeutender war, eine ſtarke Abweichung ſelbſt von Zwingli in Beziehung auf das andere Sacrament; Rottmann verwarf die Kindertaufe. Alles was in Münſter die Ruhe liebte, und ſich mit dem bereits Erworbenen zufrieden fühlte, erſchrak hierüber; der Rath, ſo demokratiſch er auch conſtituirt war, ſetzte ſich dagegen; es ward eine Disputation veranſtaltet, deren Aus- fall eine förmliche Erklärung wider Rottmann zur Folge hatte. Auch die Marburger Univerſität gab ein Gutachten gegen ihn, und ein paar heſſiſche Theologen erſchienen, den

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 503. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/519>, abgerufen am 22.11.2024.