Und wenigstens an Kühnheit stand er seinem Vorgänger nicht nach. Schon erhob sich die Meinung, daß man auch in bürgerlichen Dingen nach keiner Menschensatzung, sondern blos nach Gottes Wort sich halten dürfe. Das zog nun der neue Prophet in Betracht. Nachdem er einige Tage geschwiegen, weil Gott ihm den Mund verschlossen habe, erklärte er endlich, daß man in dem neuen Israel zwölf Aelteste haben müsse, wie in dem alten, die er so- gleich bezeichnete. Rottmann versicherte auch seinerseits der Gemeinde, daß dieß der Wille Gottes sey und stellte ihr die Gewählten vor. Der Prediger und der Prophet bezeichneten jetzt ohne alle Wahl der Stadt ihre Vorsteher. Jedermann fügte sich und nahm sie an. Sechs von ihnen sollten immer früh und Nachmittag zu Gericht sitzen; was sie sprechen würden, das sollte der Prophet Jan Bockelson der ganzen israelitischen Gemeinde ankündigen; Knipper- dolling sollte ihre Sprüche mit dem Schwert vollziehn.
Man sieht leicht, daß dieß ein neuer Fortschritt des geistlichen oder vielmehr des fanatisch-prophetischen Ele- ments war. Es ward eine Gesetztafel verkündigt, die auf lauter Stellen der Schrift, besonders der Bücher Mose beruhte.
Und sogleich sollte sich noch weiter zeigen, zu welch abenteuerlichem Mißbrauch diese Anwendung der Schrift führen könne.
Jan Matthys hatte seine schon ältere Frau verlassen, sich mit einem jungen schönen Mädchen, genannt Divara, die er überredete, das sey der Wille des Himmels, verhei- rathet und diese mit nach Münster gebracht. Jan Bockel-
Sechstes Buch. Neuntes Capitel.
Und wenigſtens an Kühnheit ſtand er ſeinem Vorgänger nicht nach. Schon erhob ſich die Meinung, daß man auch in bürgerlichen Dingen nach keiner Menſchenſatzung, ſondern blos nach Gottes Wort ſich halten dürfe. Das zog nun der neue Prophet in Betracht. Nachdem er einige Tage geſchwiegen, weil Gott ihm den Mund verſchloſſen habe, erklärte er endlich, daß man in dem neuen Israel zwölf Aelteſte haben müſſe, wie in dem alten, die er ſo- gleich bezeichnete. Rottmann verſicherte auch ſeinerſeits der Gemeinde, daß dieß der Wille Gottes ſey und ſtellte ihr die Gewählten vor. Der Prediger und der Prophet bezeichneten jetzt ohne alle Wahl der Stadt ihre Vorſteher. Jedermann fügte ſich und nahm ſie an. Sechs von ihnen ſollten immer früh und Nachmittag zu Gericht ſitzen; was ſie ſprechen würden, das ſollte der Prophet Jan Bockelſon der ganzen israelitiſchen Gemeinde ankündigen; Knipper- dolling ſollte ihre Sprüche mit dem Schwert vollziehn.
Man ſieht leicht, daß dieß ein neuer Fortſchritt des geiſtlichen oder vielmehr des fanatiſch-prophetiſchen Ele- ments war. Es ward eine Geſetztafel verkündigt, die auf lauter Stellen der Schrift, beſonders der Bücher Moſe beruhte.
Und ſogleich ſollte ſich noch weiter zeigen, zu welch abenteuerlichem Mißbrauch dieſe Anwendung der Schrift führen könne.
Jan Matthys hatte ſeine ſchon ältere Frau verlaſſen, ſich mit einem jungen ſchönen Mädchen, genannt Divara, die er überredete, das ſey der Wille des Himmels, verhei- rathet und dieſe mit nach Münſter gebracht. Jan Bockel-
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Sechstes Buch. Neuntes Capitel.
Und wenigſtens an Kühnheit ſtand er ſeinem Vorgänger
nicht nach. Schon erhob ſich die Meinung, daß man
auch in bürgerlichen Dingen nach keiner Menſchenſatzung,
ſondern blos nach Gottes Wort ſich halten dürfe. Das
zog nun der neue Prophet in Betracht. Nachdem er einige
Tage geſchwiegen, weil Gott ihm den Mund verſchloſſen
habe, erklärte er endlich, daß man in dem neuen Israel
zwölf Aelteſte haben müſſe, wie in dem alten, die er ſo-
gleich bezeichnete. Rottmann verſicherte auch ſeinerſeits der
Gemeinde, daß dieß der Wille Gottes ſey und ſtellte ihr die
Gewählten vor. Der Prediger und der Prophet bezeichneten
jetzt ohne alle Wahl der Stadt ihre Vorſteher. Jedermann
fügte ſich und nahm ſie an. Sechs von ihnen ſollten
immer früh und Nachmittag zu Gericht ſitzen; was ſie
ſprechen würden, das ſollte der Prophet Jan Bockelſon
der ganzen israelitiſchen Gemeinde ankündigen; Knipper-
dolling ſollte ihre Sprüche mit dem Schwert vollziehn.
Man ſieht leicht, daß dieß ein neuer Fortſchritt des
geiſtlichen oder vielmehr des fanatiſch-prophetiſchen Ele-
ments war. Es ward eine Geſetztafel verkündigt, die auf
lauter Stellen der Schrift, beſonders der Bücher Moſe
beruhte.
Und ſogleich ſollte ſich noch weiter zeigen, zu welch
abenteuerlichem Mißbrauch dieſe Anwendung der Schrift
führen könne.
Jan Matthys hatte ſeine ſchon ältere Frau verlaſſen,
ſich mit einem jungen ſchönen Mädchen, genannt Divara,
die er überredete, das ſey der Wille des Himmels, verhei-
rathet und dieſe mit nach Münſter gebracht. Jan Bockel-
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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 532. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/548>, abgerufen am 16.06.2024.
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