Bei alle dem hätte der Besitz dieser beiden Punkte wohl noch immer eine Möglichkeit zur Wiederaufnahme der al- ten Pläne dargeboten, wäre nicht indessen in Lübeck selbst die bei der ersten Ungunst des Geschickes begonnene Ver- stimmung zu einer vollen Umwandlung gereift.
Endlich nämlich griff auch die Reichsgewalt, wie dieß die kaiserlichen Gesandten schon vor zwei Jahren gefordert hatten, ernstlicher in die innern lübeckschen Angelegenheiten ein. Ein Mandat des Kammergerichts wies die Stadt an, die ausgetriebenen Bürgermeister und alle Rathsglie- der, die sich seitdem entfernt hatten, wiedereinzusetzen. An und für sich hätte dieß Mandat wohl noch nichts entschie- den. Aber es sprach eine Forderung aus, die sich jetzt auch in fast allen andern niederdeutschen Städten geltend gemacht hatte, und von denselben unterstützt wurde. Und vor allem: die Lübecker fühlten sich geschlagen; mit ihren weltumfassenden Plänen waren sie auf unüberwindlichen ja siegreichen Widerstand gestoßen; die Energie der demo- kratischen Tendenzen ward durch ihre eigenen Unfälle ge- brochen.
Am 14. August 1535 rief der Rath die Gemeinde zu- sammen, und legte ihr das kammergerichtliche Mandat vor. Wohl nicht ohne Absicht ward hiezu der Augenblick gewählt, in welchem Wullenweber auf einer Geschäftsreise nach Meklenburg begriffen war. Die Gemeinde überzeugte sich zuerst, daß in dem Mandat nicht von der Herstellung der alten Kirchenformen die Rede sey; hierauf erklärte sie sich bereit, demselben Folge zu leisten und alle Neuerun-
Sechstes Buch. Zehntes Capitel.
Bei alle dem hätte der Beſitz dieſer beiden Punkte wohl noch immer eine Möglichkeit zur Wiederaufnahme der al- ten Pläne dargeboten, wäre nicht indeſſen in Lübeck ſelbſt die bei der erſten Ungunſt des Geſchickes begonnene Ver- ſtimmung zu einer vollen Umwandlung gereift.
Endlich nämlich griff auch die Reichsgewalt, wie dieß die kaiſerlichen Geſandten ſchon vor zwei Jahren gefordert hatten, ernſtlicher in die innern lübeckſchen Angelegenheiten ein. Ein Mandat des Kammergerichts wies die Stadt an, die ausgetriebenen Bürgermeiſter und alle Rathsglie- der, die ſich ſeitdem entfernt hatten, wiedereinzuſetzen. An und für ſich hätte dieß Mandat wohl noch nichts entſchie- den. Aber es ſprach eine Forderung aus, die ſich jetzt auch in faſt allen andern niederdeutſchen Städten geltend gemacht hatte, und von denſelben unterſtützt wurde. Und vor allem: die Lübecker fühlten ſich geſchlagen; mit ihren weltumfaſſenden Plänen waren ſie auf unüberwindlichen ja ſiegreichen Widerſtand geſtoßen; die Energie der demo- kratiſchen Tendenzen ward durch ihre eigenen Unfälle ge- brochen.
Am 14. Auguſt 1535 rief der Rath die Gemeinde zu- ſammen, und legte ihr das kammergerichtliche Mandat vor. Wohl nicht ohne Abſicht ward hiezu der Augenblick gewählt, in welchem Wullenweber auf einer Geſchäftsreiſe nach Meklenburg begriffen war. Die Gemeinde überzeugte ſich zuerſt, daß in dem Mandat nicht von der Herſtellung der alten Kirchenformen die Rede ſey; hierauf erklärte ſie ſich bereit, demſelben Folge zu leiſten und alle Neuerun-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0610"n="594"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Sechstes Buch. Zehntes Capitel</hi>.</fw><lb/><p>Bei alle dem hätte der Beſitz dieſer beiden Punkte wohl<lb/>
noch immer eine Möglichkeit zur Wiederaufnahme der al-<lb/>
ten Pläne dargeboten, wäre nicht indeſſen in Lübeck ſelbſt<lb/>
die bei der erſten Ungunſt des Geſchickes begonnene Ver-<lb/>ſtimmung zu einer vollen Umwandlung gereift.</p><lb/><p>Endlich nämlich griff auch die Reichsgewalt, wie dieß<lb/>
die kaiſerlichen Geſandten ſchon vor zwei Jahren gefordert<lb/>
hatten, ernſtlicher in die innern lübeckſchen Angelegenheiten<lb/>
ein. Ein Mandat des Kammergerichts wies die Stadt<lb/>
an, die ausgetriebenen Bürgermeiſter und alle Rathsglie-<lb/>
der, die ſich ſeitdem entfernt hatten, wiedereinzuſetzen. An<lb/>
und für ſich hätte dieß Mandat wohl noch nichts entſchie-<lb/>
den. Aber es ſprach eine Forderung aus, die ſich jetzt<lb/>
auch in faſt allen andern niederdeutſchen Städten geltend<lb/>
gemacht hatte, und von denſelben unterſtützt wurde. Und<lb/>
vor allem: die Lübecker fühlten ſich geſchlagen; mit ihren<lb/>
weltumfaſſenden Plänen waren ſie auf unüberwindlichen<lb/>
ja ſiegreichen Widerſtand geſtoßen; die Energie der demo-<lb/>
kratiſchen Tendenzen ward durch ihre eigenen Unfälle ge-<lb/>
brochen.</p><lb/><p>Am 14. Auguſt 1535 rief der Rath die Gemeinde zu-<lb/>ſammen, und legte ihr das kammergerichtliche Mandat vor.<lb/>
Wohl nicht ohne Abſicht ward hiezu der Augenblick gewählt,<lb/>
in welchem Wullenweber auf einer Geſchäftsreiſe nach<lb/>
Meklenburg begriffen war. Die Gemeinde überzeugte ſich<lb/>
zuerſt, daß in dem Mandat nicht von der Herſtellung der<lb/>
alten Kirchenformen die Rede ſey; hierauf erklärte ſie<lb/>ſich bereit, demſelben Folge zu leiſten und alle Neuerun-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[594/0610]
Sechstes Buch. Zehntes Capitel.
Bei alle dem hätte der Beſitz dieſer beiden Punkte wohl
noch immer eine Möglichkeit zur Wiederaufnahme der al-
ten Pläne dargeboten, wäre nicht indeſſen in Lübeck ſelbſt
die bei der erſten Ungunſt des Geſchickes begonnene Ver-
ſtimmung zu einer vollen Umwandlung gereift.
Endlich nämlich griff auch die Reichsgewalt, wie dieß
die kaiſerlichen Geſandten ſchon vor zwei Jahren gefordert
hatten, ernſtlicher in die innern lübeckſchen Angelegenheiten
ein. Ein Mandat des Kammergerichts wies die Stadt
an, die ausgetriebenen Bürgermeiſter und alle Rathsglie-
der, die ſich ſeitdem entfernt hatten, wiedereinzuſetzen. An
und für ſich hätte dieß Mandat wohl noch nichts entſchie-
den. Aber es ſprach eine Forderung aus, die ſich jetzt
auch in faſt allen andern niederdeutſchen Städten geltend
gemacht hatte, und von denſelben unterſtützt wurde. Und
vor allem: die Lübecker fühlten ſich geſchlagen; mit ihren
weltumfaſſenden Plänen waren ſie auf unüberwindlichen
ja ſiegreichen Widerſtand geſtoßen; die Energie der demo-
kratiſchen Tendenzen ward durch ihre eigenen Unfälle ge-
brochen.
Am 14. Auguſt 1535 rief der Rath die Gemeinde zu-
ſammen, und legte ihr das kammergerichtliche Mandat vor.
Wohl nicht ohne Abſicht ward hiezu der Augenblick gewählt,
in welchem Wullenweber auf einer Geſchäftsreiſe nach
Meklenburg begriffen war. Die Gemeinde überzeugte ſich
zuerſt, daß in dem Mandat nicht von der Herſtellung der
alten Kirchenformen die Rede ſey; hierauf erklärte ſie
ſich bereit, demſelben Folge zu leiſten und alle Neuerun-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 594. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/610>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.