sich die Auslegungen der Kirchenväter an. Zuweilen stör- ten ihn noch die theologischen Begriffe, die er von den Uni- versitäten mitgebracht, aber bald faßte er den Entschluß, von allem andern abzusehn, und die Meinung Gottes aus dessen lauterem einfältigem Wort zu lernen. Es ward ihm heller, wenn er sich so unbedingt dem Texte hingab. Aber zugleich bildete sich eine von dem bisherigen Kirchenwesen abgewandte Gesinnung ganz von selbst in ihm aus. In Einsiedeln, wohin er im Jahr 1516 gekommen, sagte er einst dem Cardinal Schiner unverholen, das Papstthum habe keinen Grund in der Schrift.
Zwingli müßte jedoch kein Schweizer, nicht ein in un- aufhörlicher Theilnahme an dem bürgerlichen Gemeinwesen aufgewachsener Republikaner gewesen seyn, wenn er sich da- mit allein hätte beschäftigen, dabei hätte stehen bleiben sol- len. In jenen Jahren brachten die italienischen Kriege alle Lebenskräfte der Eidgenossenschaft in Bewegung, erhoben sie zum Range einer großen Macht in Europa. Mehr als ein- mal hat Zwingli seine kriegerische Gemeinde ins Feld beglei- tet; er zog mit nach Marignano. Allein mit dem Kriege war nun zugleich das Unwesen des Reislaufens und der Jahrgelder eingerissen So sehr es von dem Geiste des Vol- kes mißbilligt wurde, wie die Bewegungen bewiesen, die von Moment zu Moment in Luzern, Solothurn, Bern, Zürich ausbrachen; -- die gemeinen Leute wollten von Bündnissen nichts wissen, durch welche ihre Brüder und Söhne in fremde Länder, in den Tod geführt würden; sie forderten die Be- strafung der "Deutschfranzosen, der Kronenfresser;" zuwei- len mußten die großen Räthe wirklich "Miethe und Gaben"
Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel.
ſich die Auslegungen der Kirchenväter an. Zuweilen ſtör- ten ihn noch die theologiſchen Begriffe, die er von den Uni- verſitäten mitgebracht, aber bald faßte er den Entſchluß, von allem andern abzuſehn, und die Meinung Gottes aus deſſen lauterem einfältigem Wort zu lernen. Es ward ihm heller, wenn er ſich ſo unbedingt dem Texte hingab. Aber zugleich bildete ſich eine von dem bisherigen Kirchenweſen abgewandte Geſinnung ganz von ſelbſt in ihm aus. In Einſiedeln, wohin er im Jahr 1516 gekommen, ſagte er einſt dem Cardinal Schiner unverholen, das Papſtthum habe keinen Grund in der Schrift.
Zwingli müßte jedoch kein Schweizer, nicht ein in un- aufhörlicher Theilnahme an dem bürgerlichen Gemeinweſen aufgewachſener Republikaner geweſen ſeyn, wenn er ſich da- mit allein hätte beſchäftigen, dabei hätte ſtehen bleiben ſol- len. In jenen Jahren brachten die italieniſchen Kriege alle Lebenskräfte der Eidgenoſſenſchaft in Bewegung, erhoben ſie zum Range einer großen Macht in Europa. Mehr als ein- mal hat Zwingli ſeine kriegeriſche Gemeinde ins Feld beglei- tet; er zog mit nach Marignano. Allein mit dem Kriege war nun zugleich das Unweſen des Reislaufens und der Jahrgelder eingeriſſen So ſehr es von dem Geiſte des Vol- kes mißbilligt wurde, wie die Bewegungen bewieſen, die von Moment zu Moment in Luzern, Solothurn, Bern, Zürich ausbrachen; — die gemeinen Leute wollten von Bündniſſen nichts wiſſen, durch welche ihre Brüder und Söhne in fremde Länder, in den Tod geführt würden; ſie forderten die Be- ſtrafung der „Deutſchfranzoſen, der Kronenfreſſer;“ zuwei- len mußten die großen Räthe wirklich „Miethe und Gaben“
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Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel.
ſich die Auslegungen der Kirchenväter an. Zuweilen ſtör-
ten ihn noch die theologiſchen Begriffe, die er von den Uni-
verſitäten mitgebracht, aber bald faßte er den Entſchluß,
von allem andern abzuſehn, und die Meinung Gottes aus
deſſen lauterem einfältigem Wort zu lernen. Es ward ihm
heller, wenn er ſich ſo unbedingt dem Texte hingab. Aber
zugleich bildete ſich eine von dem bisherigen Kirchenweſen
abgewandte Geſinnung ganz von ſelbſt in ihm aus. In
Einſiedeln, wohin er im Jahr 1516 gekommen, ſagte er
einſt dem Cardinal Schiner unverholen, das Papſtthum
habe keinen Grund in der Schrift.
Zwingli müßte jedoch kein Schweizer, nicht ein in un-
aufhörlicher Theilnahme an dem bürgerlichen Gemeinweſen
aufgewachſener Republikaner geweſen ſeyn, wenn er ſich da-
mit allein hätte beſchäftigen, dabei hätte ſtehen bleiben ſol-
len. In jenen Jahren brachten die italieniſchen Kriege alle
Lebenskräfte der Eidgenoſſenſchaft in Bewegung, erhoben ſie
zum Range einer großen Macht in Europa. Mehr als ein-
mal hat Zwingli ſeine kriegeriſche Gemeinde ins Feld beglei-
tet; er zog mit nach Marignano. Allein mit dem Kriege
war nun zugleich das Unweſen des Reislaufens und der
Jahrgelder eingeriſſen So ſehr es von dem Geiſte des Vol-
kes mißbilligt wurde, wie die Bewegungen bewieſen, die von
Moment zu Moment in Luzern, Solothurn, Bern, Zürich
ausbrachen; — die gemeinen Leute wollten von Bündniſſen
nichts wiſſen, durch welche ihre Brüder und Söhne in fremde
Länder, in den Tod geführt würden; ſie forderten die Be-
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len mußten die großen Räthe wirklich „Miethe und Gaben“
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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/74>, abgerufen am 25.11.2024.
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