die Beschlüsse der Majorität und der in ihrem Sinne erfol- genden Gerichtssprüche.
Allein Herzog Heinrich meinte nicht, sich darum küm- mern zu müssen. Schon vom Reichstag von Regensburg schrieb er in sein Land, die kaiserliche Suspension laufe wi- der die Ordnungen des Reiches und könne ihn nicht binden; er befahl seinem Großvogt, einem Stechau, sich kein Man- dat irren zu lassen, möge es nun vom kaiserlichen Hofe oder vom Kammergericht kommen. 1 Demgemäß verfuhr er, als er zurückgekehrt, auch selber. Herzog Heinrich hat später, nach seinem Unglück, auch bessere Zeiten gehabt, damals aber schien er nichts zu kennen als seine Begierden und Wünsche. Ihm machte es nicht so viel Scrupel, wie seinem hessischen Nachbar, seiner Gemahlin untreu zu werden: einem jungen Hoffräulein derselben ließ er in Gandersheim Vigilien und Seelmessen halten, indessen lebte sie auf dem hohen Schloß zur Staufenburg und empfieng Jahre lang seinen regelmäßi- gen Besuch. Den eignen Bruder hat er zwölf Jahre hindurch gefangen gehalten und ihm am Ende nur gegen den nach- theiligsten Vertrag die Freiheit zurückgegeben. Auch im täg- lichen Leben war er nicht gewohnt Rücksicht zu nehmen. Ich finde Bemerkungen darüber, daß er beim Churfürsten von Brandenburg eintritt, während dieser speist, und sich das nicht hindern läßt, Zwiesprach mit ihm zu suchen: daß er beim Gelag, wenn ihm ein älterer Fürst nicht mit gleich starken Zügen Bescheid im Trunke thut, gleichsam beleidigt aufsteht. Auch in öffentlichen Dingen weiß er nur von sich
1 Schreiben Heinrichs Mittwoch nach Dorotheä. Hortleder I, iv, 46, p. 877.
Braunſchweiger Irrung.
die Beſchlüſſe der Majorität und der in ihrem Sinne erfol- genden Gerichtsſprüche.
Allein Herzog Heinrich meinte nicht, ſich darum küm- mern zu müſſen. Schon vom Reichstag von Regensburg ſchrieb er in ſein Land, die kaiſerliche Suspenſion laufe wi- der die Ordnungen des Reiches und könne ihn nicht binden; er befahl ſeinem Großvogt, einem Stechau, ſich kein Man- dat irren zu laſſen, möge es nun vom kaiſerlichen Hofe oder vom Kammergericht kommen. 1 Demgemäß verfuhr er, als er zurückgekehrt, auch ſelber. Herzog Heinrich hat ſpäter, nach ſeinem Unglück, auch beſſere Zeiten gehabt, damals aber ſchien er nichts zu kennen als ſeine Begierden und Wünſche. Ihm machte es nicht ſo viel Scrupel, wie ſeinem heſſiſchen Nachbar, ſeiner Gemahlin untreu zu werden: einem jungen Hoffräulein derſelben ließ er in Gandersheim Vigilien und Seelmeſſen halten, indeſſen lebte ſie auf dem hohen Schloß zur Staufenburg und empfieng Jahre lang ſeinen regelmäßi- gen Beſuch. Den eignen Bruder hat er zwölf Jahre hindurch gefangen gehalten und ihm am Ende nur gegen den nach- theiligſten Vertrag die Freiheit zurückgegeben. Auch im täg- lichen Leben war er nicht gewohnt Rückſicht zu nehmen. Ich finde Bemerkungen darüber, daß er beim Churfürſten von Brandenburg eintritt, während dieſer ſpeiſt, und ſich das nicht hindern läßt, Zwieſprach mit ihm zu ſuchen: daß er beim Gelag, wenn ihm ein älterer Fürſt nicht mit gleich ſtarken Zügen Beſcheid im Trunke thut, gleichſam beleidigt aufſteht. Auch in öffentlichen Dingen weiß er nur von ſich
1 Schreiben Heinrichs Mittwoch nach Dorotheaͤ. Hortleder I, iv, 46, p. 877.
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Braunſchweiger Irrung.
die Beſchlüſſe der Majorität und der in ihrem Sinne erfol-
genden Gerichtsſprüche.
Allein Herzog Heinrich meinte nicht, ſich darum küm-
mern zu müſſen. Schon vom Reichstag von Regensburg
ſchrieb er in ſein Land, die kaiſerliche Suspenſion laufe wi-
der die Ordnungen des Reiches und könne ihn nicht binden;
er befahl ſeinem Großvogt, einem Stechau, ſich kein Man-
dat irren zu laſſen, möge es nun vom kaiſerlichen Hofe oder
vom Kammergericht kommen. 1 Demgemäß verfuhr er, als
er zurückgekehrt, auch ſelber. Herzog Heinrich hat ſpäter,
nach ſeinem Unglück, auch beſſere Zeiten gehabt, damals aber
ſchien er nichts zu kennen als ſeine Begierden und Wünſche.
Ihm machte es nicht ſo viel Scrupel, wie ſeinem heſſiſchen
Nachbar, ſeiner Gemahlin untreu zu werden: einem jungen
Hoffräulein derſelben ließ er in Gandersheim Vigilien und
Seelmeſſen halten, indeſſen lebte ſie auf dem hohen Schloß
zur Staufenburg und empfieng Jahre lang ſeinen regelmäßi-
gen Beſuch. Den eignen Bruder hat er zwölf Jahre hindurch
gefangen gehalten und ihm am Ende nur gegen den nach-
theiligſten Vertrag die Freiheit zurückgegeben. Auch im täg-
lichen Leben war er nicht gewohnt Rückſicht zu nehmen. Ich
finde Bemerkungen darüber, daß er beim Churfürſten von
Brandenburg eintritt, während dieſer ſpeiſt, und ſich das
nicht hindern läßt, Zwieſprach mit ihm zu ſuchen: daß er
beim Gelag, wenn ihm ein älterer Fürſt nicht mit gleich
ſtarken Zügen Beſcheid im Trunke thut, gleichſam beleidigt
aufſteht. Auch in öffentlichen Dingen weiß er nur von ſich
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I, iv, 46, p. 877.
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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 4. Berlin, 1843, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation04_1843/289>, abgerufen am 27.11.2024.
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